# taz.de -- Psychiatrie und Patientendaten: Eine Krankheit namens Datenschutz | |
> Ist man paranoid, weil einen ungesicherte Patientenakten, Fotos in der | |
> Praxis und unverschlüsselte Daten stören? Mancher Therapeut tut sich mit | |
> Datenschutz schwer. | |
Bild: Die Ausrüstung stimmt, aber wo bleibt der Datenschutz? Klinikcomputer. | |
In der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung oder um andere aktuelle | |
Datenschutzthemen wird häufig das Patientengeheimnis als Argument | |
eingebracht. Wird mittels der gespeicherten Verbindungsdaten nicht | |
ersichtlich, wer wann, wo und wie oft den Weg zum Arzt oder Therapeuten | |
suchte? Wer sich in manchen Praxen oder Kliniken umschaut, kann | |
feststellten, dass zwar Handy, Laptop oder Netbook zum Standard gehören, | |
das Datenschutzbewusstsein jedoch nur gering ausgeprägt ist. | |
Der 48jährige Systemadministrator Karl G.* entschloss sich, eine Therapie | |
zu beginnen. Der Verlust seiner Arbeitsstelle sowie private | |
Schicksalsschläge hatten bei ihm zu einer Depression geführt. Freunde | |
rieten ihm zu einer ärztlichen Behandlung, der Arzt schließlich zur | |
stationären Therapie. | |
Bereits am ersten Tag begannen für Karl G. die Probleme, da er sich "anders | |
als andere" benahm, wenn es um das Thema Datenschutz ging. "Gleich als ich | |
ankam, wollte die Frau dort ein Foto von mir machen. Ich fragte: 'Wofür das | |
denn?' Die Antwort war: 'Das machen wir immer so.' Ich fragte weiter, es | |
gab keine Antwort auf die Frage und ich sagte: 'Also kein Foto von mir.'" | |
Die anderen Patienten hatten kein Problem damit, warum auch, schließlich | |
waren einige von ihnen damit beschäftigt sich selbst "und die anderen hier" | |
mal eben per Handy zu fotografieren und diese Fotos unbefangen an Freunde | |
zu schicken oder in sozialen Netzwerken einzustellen. | |
"Eine Frau lief hier immer herum und machte Fotos. Ich sagte ihr, dass ich | |
nicht will, dass mein Gesicht darauf zu sehen ist und dass sie nur die | |
fotografieren soll, von denen sie weiß, dass sie einverstanden sind. Danach | |
hatte die Gruppe um sie herum genug damit zu tun, über mich zu tuscheln. | |
Ich sei ja so ein Nörgler und warum ich ein Problem hätte, wenn andere | |
wüssten, wo ich bin." | |
Karl G.'s Frage, ob seine Mitpatienten beim Datenschutz sensibilisiert | |
seien, wurde mit Ratlosigkeit aufgenommen. Karl G. fühlte sich zunehmend | |
unverstanden und kapselte sich von den anderen Patienten ab, führte seine | |
Therapie aber fort. Umso erstaunter war er, als die Ärzte mit einer | |
Abwandlung seiner Diagnose reagierten: Depressionen spielten plötzlich nur | |
noch eine marginale Rolle, im Vordergund stand nun krankhaftes Misstrauen | |
bzw. Paranoia. | |
Karl G. war geschockt: "Ich sehe keine grauen Männchen, die mich verfolgen, | |
ich bin einfach nur vorsichtig und will nicht, dass meine Daten einfach so | |
in der Welt herumfliegen. Mehr nicht. Schlimm genug, dass das kein anderer | |
da draußen versteht und ich in Internetforen schnell als paranoid | |
beschimpft werde. Aber wenn Ärzte dies als Diagnose ansehen, dann ist das | |
wie ein Schlag ins Gesicht." | |
Nach zähen Diskussionen gewährten die Ärzte Karl G. Akteneinsicht ("das | |
sind wir nicht gewohnt") und Karl G. fand die Bestätigung. Als Diagnose war | |
Paranoia angegeben, begründet nicht nur mit seinen Arztgespräche, in denen | |
sein Datenschutzbewusstsein eine Rolle spielte, sondern auch mit seinem | |
Verhalten während der Therapie. Nun bekam Karl G. Angst. Wenn Paranoia | |
diagnostiziert wurde, würden ihm dann nicht auch Medikamente verabreicht – | |
möglicherweise gegen seinen Willen? Drohte gar eine Zwangseinweisung? | |
Während der nächsten Therapiestunde vertraute Karl G. diese Ängste seinem | |
Therapeuten an und erlebte, wie diese Ängste erneut in die Diagnose | |
integriert wurden. "Das war furchtbar. Ich hatte nur noch die Möglichkeit | |
zu sagen: 'Okay, ich bin paranoid' oder 'Hey, ich bin nicht paranoid, ich | |
mache mir nur Sorgen'. Was sollte ich denn jetzt tun? Soll ich jetzt | |
plötzlich anfangen, bei Facebook und Co. zu schreiben, jedem meine | |
Lebensgeschichte erzählen, nur um zu beweisen, dass ich nicht paranoid | |
bin?" | |
Für Karl G. entwickelte sich die Therapie zum Desaster. Seine Bedenken | |
wurden nicht ernstgenommen, die Depressionen verstärkten sich, stärkere | |
Medikamente mussten her und die Frage, warum er denn so extrem misstrauisch | |
sei, nahm immer mehr Raum ein. Dass er auch dem Pflegepersonal und den | |
Ärzten gegenüber misstrauisch sei, wurde zum Kernpunkt der Diagnose. Er | |
müsse sich mit diesem krankhaften Misstrauen auseinandersetzen, hieß es, | |
erst dann könnten auch seine Depressionen behandelt werden. Karl G. | |
entschied sich anders. Er brach die Therapie ab. | |
Im Abschlussbericht stand, dass er nicht bereit sei, sich mit seiner | |
Paranoia zu beschäftigen, sondern weiterhin auf dem Gedanken beharre, es | |
handele sich um ganz normales Datenschutzbewusstsein. "Ich hoffe, dass ich | |
bei der nächsten Therapie mehr Glück habe, aber ich weiß nicht, ob ich | |
überhaupt eine neue Therapie bezahlt bekomme. Denn die Ärzte haben mich ja | |
doch als therapieunfähig angesehen," sagt er. | |
Karl G. ist kein Einzelfall. Die Patienten Hans F.* und Paul S.* berichten | |
von Patientendaten, die auf ungeschützten Rechnern lagern und privaten | |
Ärzte-Laptops voller Krankendaten, die überall hin mitgenommen würden - | |
ebenfalls ungesichert. Es häufen sich Beobachtungen über intime | |
medizinische Befunde, die unverschlüsselt per E-Mail verschickt werden, | |
sowie über sorglose Patienten, die Fotos von "sich und der Gruppe" | |
aufnehmen und online stellen. | |
Es steht zu befürchten, dass es erst zu einem datenschutzrechtlichen GAU | |
kommen muss, bis ein Bewusstsein dafür entsteht, dass neue Techniken auch | |
neue Risiken in sich bergen. Für Karl G., dessen Depressionen stärker | |
geworden sind, dürfte dies nur ein schwacher Trost sein. | |
*Alle Namen geändert. | |
17 Jan 2011 | |
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Schwerpunkt Überwachung | |
Klinik | |
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