# taz.de -- Neue Studie zur digitalen Kriegsführung: Cyberwar? Cyberhype! | |
> Wie gefährlich sind militärische Internet-Angriffe? Eine Studie | |
> britischer Computerwissenschaftler im Auftrag der OECD sieht die Gefahren | |
> ganz woanders. | |
Bild: Durch diese Leitungen müssen sie kommen: Netzwerkkabel. | |
Im Kino sieht Cyberwar, der Netzkrieg, bombastisch aus. | |
Computerspezialisten im Auftrag des Militärs oder krimineller Banden | |
dringen in die Energieversorgungssysteme gegnerischer Nationen ein und | |
sorgen dafür, dass der Strom ausfällt, das Mobilfunknetz zusammenbricht | |
oder alle Ampeln plötzlich [1][auf Rot schalten]. Derlei | |
Schreckensszenarien rund um die Angreifbarkeit kritischer Infrastrukturen | |
werden derzeit von [2][Berichten] verstärkt, Viren gegen Atomkraftwerke | |
machten die Runde. Reicht das schon zur militärischen Online-Aufrüstung? | |
Eine [3][multidisziplinäre Studie] der Organisation für wirtschaftliche | |
Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die britische Informatiker vom | |
Oxford Internet Institute und Informationswissenschaftler von der London | |
School of Economics (LSE) durchgeführt haben, untersucht den Cyberwar nun | |
jenseits des Hypes. In dem Papier mit der Überschrift „Reduktion | |
systemrelevanter Netzkrieg-Risiken“ kommen die Forscher zu dem Schluss, | |
dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass es jemals zu einem „echten | |
Cyberwar“ kommen werde. | |
Die Liste der Begründungen ist lang. So seien kritische Systeme zumindest | |
gegen bekannte Sicherheitslücken und Datenschädlinge abgesichert, was | |
Cyberkrieger dazu bewegen müsste, stets neue Netzwaffen zu entwickeln. | |
Zudem seien Auswirkungen von Cyberattacken kaum vorherzusehen. Einerseits | |
könne ein Angriff weniger erfolgreich sein als gewünscht, andererseits | |
seien unerwünschte Nebenwirkungen denkbar, weil Systeme miteinander | |
vernetzt seien: „Es könnte deshalb zu Schäden beim Angreifer und seinen | |
Alliierten kommen.“ Zudem sei es strategisch nicht begründbar, dass ein | |
Aggressor sich nur auf eine Waffenklasse verlasse, neben dem Cyberwar also | |
nicht auch konventionell vorgehe. | |
Als wahrscheinlicher bezeichnen die Wissenschaftler, dass Cyberangriffe nur | |
ein Teileiner komplexen militärischen Strategie sei - vom klassischen | |
Erstschlag bis zur Propagandaoffensive. Daneben wachse das Risiko von | |
Internetspionage: „Sie ist sowieso nur ein paar Tastenanschläge vom | |
Cyberwar weg.“ Der Hype um den Internetkrieg führe dazu, dass Regierungen | |
und Militärs Angriffsflächen übersähen, die durchaus real seien. | |
Damit meinen die Forscher unter anderem Denial-of-Service-Angriffe gegen | |
wichtige Websites, die mit einfachen Mitteln durchgeführt werden können. | |
„Wir denken, dass ein vor allem militärischer Ansatz für den Bereich der | |
Cybersicherheit ein Fehler ist.“ Die meisten möglichen Ziele lägen in der | |
Privatwirtschaft. Diese könne sich nur selbst schützen, der Einsatz des | |
Militärs bringe in diesem Bereich nicht viel. | |
Auch einer anderen politisch-militärischen Idee erteilen die Forscher um | |
den LSE-Professor Peter Sommer und seinen Oxforder Kollegen Ian Brown eine | |
deutliche Absage: dem sogenannten „Internet-Killswitch“. Politiker in den | |
USA hatten zwischenzeitlich gefordert, eine Art „Notausknopf“ für das Netz | |
bereitgestellt zu bekommen. Dieser solle im Falle einer Cyberwar-Attacke | |
dafür sorgen, dass Angriffe ins Leere laufen. | |
Die Forscher halten die Idee schon deshalb für absurd, weil sie technisch | |
nicht umsetzbar ist. „Das Internet kann in seiner einfachsten Form nicht | |
einfach abgedreht werden, weil es kein Zentrum hat.“ Sollte man so etwas | |
planen, wären beispielsweise auch Krankenhausinfrastrukturen nicht mehr zu | |
gebrauchen, schreiben Sommer und Brown. | |
Die größte Gefahr sehen die Autoren des OECD-Papiers im Ausfall kritischer | |
Infrastrukturen während einer Katastrophe. Würden Informationssysteme dann | |
zusammenbrechen, würde diese deutlich verschlimmert. Aus diesem Grund, so | |
empfehlen Sommer und Brown, solle eine robuste Kommunikationsinfrastruktur | |
aufgebaut werden, die auch im Notfall noch funktioniere. | |
19 Jan 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.youtube.com/watch?v=3EUJYh32KVw | |
[2] /1/netz/netzpolitik/artikel/1/virus-dringt-in-atomanlage-ein/ | |
[3] http://www.oecd.org/dataoecd/3/42/46894657.pdf | |
## AUTOREN | |
Ben Schwan | |
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