# taz.de -- Bürgermeister wechselt von der SPD zur NPD: Im Zweifel rechts | |
> Er war Sozialdemokrat und ist Vorstand der Kirchengemeinde - aber Hans | |
> Püschel mag nicht mehr. Jetzt ist er zur NPD in Sachsen-Anhalt | |
> gewechselt. Ein Ortsbesuch in Krauschwitz. | |
Bild: Rechts um: Über Hans Püschels Frontwechsel in Krauschwitz will keiner r… | |
KRAUSCHWITZ taz | Eine Epoche ist zu Ende gegangen in Krauschwitz. Nun | |
quälen sich die zehn Dorfvertreter durch neue Gemeindesatzungen und | |
Entgeltordnungen. Der Bürgermeister und das Dorfparlament sind entmachtet. | |
Ihre Gemeinde, 550 Einwohner in sechs Weilern, ist degradiert - zum | |
Ortsteil der neuen Einheitsgemeinde "Stadt Teuchern". | |
Vier Kilometer liegt das Rathaus jetzt entfernt, doch hier im Krauschwitzer | |
Sportlerheim zwischen Pokalen und Ehrenwimpeln klingt es, als sei Hamburg | |
zum Berliner Vorort erklärt worden. "Ich wollte nie in der Stadt leben", | |
ruft ein Dorfvertreter, "da ist die Luft schlecht!" Ein anderer grummelt: | |
"Ich bin stolz, ein Krauschwitzer zu sein!" Der Jüngste am Tisch fragt | |
gekränkt: "Wozu gibt's uns überhaupt noch? Was hat der Ortschaftsrat noch | |
zu sagen?" Die Stimmung wird ruppiger mit jedem Bier, das über den Tresen | |
geht. | |
Nach zwei Stunden fragt Bürgermeister Hans Püschel in die Runde: "Noch | |
Beschwerden? Irgendwelche Anliegen?" Schweigen im Saal. Das Buffet wird | |
eröffnet: Blutwurst und Mett, rohe Zwiebeln und saure Gurken. | |
Es hätte noch ein anderes brisantes Thema für diese Sitzung gegeben - | |
eines, das weit über Sachsen-Anhalt hinaus Schlagzeilen macht: den | |
Frontenwechsel des Krauschwitzer Bürgermeisters. Hans Püschel, 2008 als | |
SPD-Politiker ins Amt gekommen, hat sich vor drei Tagen als NPD-Kandidat | |
für die Landtagswahl nominieren lassen. Er will der NPD helfen, in ein | |
drittes Landesparlament einzuziehen. Es könnte diesmal klappen: Bisher | |
lagen die Rechtsextremen in Umfragen bei 4 Prozent. | |
Doch darüber möchte keiner im Saal reden. Niemand fordert Püschel auf, sein | |
Amt niederzulegen. Niemand macht ihm Vorwürfe. Obwohl die NPD schon seit | |
Wochen im Internet mit dem abtrünnigen Bürgermeister wirbt. Ausgerechnet | |
mit Hans Püschel! In der DDR stand er als Regimekritiker vor Gericht, von | |
1990 bis zu seinem Parteiaustritt im Dezember war er als SPD-Mann in der | |
Region geschätzt, noch zu Weihnachten hat er in der Kirche die Orgel | |
gespielt, bis heute steht er der Evangelischen Kirchengemeinde vor. | |
Spricht man die Dorfvertreter auf Püschels NPD-Kandidatur an, fallen die | |
Antworten knapp aus. "Da möchte ich keinen Kommentar zu abgeben", sagt eine | |
SPD-Ortschaftsrätin. Ihr Sitznachbar, ebenfalls Sozialdemokrat, findet: | |
"Das ist seine persönliche Entscheidung. Das hat im Gemeinderat nichts zu | |
suchen." Knut Franke, ein CDU-Mann, sagt: "Wir sind auf'm Dorf, das | |
interessiert hier keinen." Und die NPD sei eine "zugelassene Partei". "So | |
ist es", bestätigt sein Sitznachbar. Abwahlpläne? Die Männer schütteln den | |
Kopf. | |
Hans Püschel schenkt sich einen Rotwein nach. Er klingt jetzt vergnügt, | |
trällert: "Nichts ist unmöglich!" | |
"Nur noch Hampelmann" | |
Es gibt auch einen anderen Hans Püschel. Einen aufgewühlten, verbitterten | |
Mann von 62 Jahren. Am Montag vor der Sitzung bittet er in sein Wohnzimmer. | |
Die Wintersonne lässt das Lametta am Weihnachtsbaum funkeln, über dem | |
Couchtisch drehen sich Engelchen aus Stroh. Püschel ist in Rage. "Ich habe | |
schon einen Staat kippen sehen, und dieser Staat wird auch kippen, wenn wir | |
nicht die Kurve kriegen!" Die Frage sei nur: "Kollabiert zuerst das Finanz- | |
oder das Sozialsystem?" | |
Er wendet sich an den Besuch: "Ich werde meine Rente einigermaßen | |
überstehen. Aber Sie junges Blut, Sie werden noch einiges erleben!" Es | |
bricht jetzt aus ihm heraus: Als Bürgermeister sei er seit der | |
Gebietsreform nur noch "ein Hampelmann". Die Bahn wolle zum Global Player | |
werden, aber nach Krauschwitz fahre seit dem 1. Januar kein Zug mehr. | |
"Wenn die Extremen mehr Zuspruch bekommen, dann werden die Parteien der | |
Mitte sich öffnen für nationale Interessen, die ihnen im Moment am Arsch | |
vorbeigehen!", poltert der Bürgermeister. Die 68er hätten den Deutschen das | |
Nationalbewusstsein aberzogen! Die Regierung stecke Millionen in Programme | |
gegen rechts, obwohl der Schaden durch die Linken viel größer sei! Eines | |
Tages würden in Deutschland so viele Ausländer leben, dass es Mord und | |
Totschlag gebe! Es ist eine düstere Kette ohne Anfang, ohne Ende. | |
Irgendwann klingelt das Telefon. Der örtliche NPD-Chef ist dran. Am Abend | |
soll Püschel an geheimem Ort nominiert werden. "Wo isses?", fragt er | |
kumpelhaft. "Gut, ich bin da." | |
Püschels Weg nach rechts begann Anfang November. Die NPD veranstaltete | |
ihren Bundesparteitag in Hohenmölsen, unweit von Krauschwitz. Weil die | |
Stadt den Rechtsextremen das Bürgerhaus nicht verwehren durfte, lud sie zum | |
"Bunt statt Braun"-Aktionstag. Ein Unding, fand Püschel - weil die NPD | |
nicht verboten sei, müsse sie ungestört Parteitage abhalten dürfen. So kam | |
es, dass der Hohenmölsener Pfarrer bei Regen vor dem Bürgerhaus | |
protestierte, während Kirchenvorstand Püschel drinnen der NPD zuhörte. Der | |
offene Brief, den Püschel kurz darauf schrieb, machte ihn bundesweit | |
bekannt. Sein Fazit: "Beinahe wie auf einem SPD-Parteitag" sei es bei der | |
NPD gewesen. Er habe in den Reden kaum einen Satz gefunden, "den ich nicht | |
selbst hätte unterschreiben können". | |
Keine Erklärung | |
Seither versuchen Weggefährten, zu begreifen, was in "den Hans" gefahren | |
ist. "Niemand, der ihn gut kennt, kann sich das erklären", sagt Rüdiger | |
Erben, 43 Jahre, SPD-Chef im Burgenlandkreis und Vizeinnenminister von | |
Sachsen-Anhalt. Zwanzig Jahre haben die beiden gemeinsam Politik gemacht. | |
Nun treten sie bei der Landtagswahl als Direktkandidaten gegeneinander an. | |
"Dass Hans Püschel ein anstrengender Diskutant ist - keine Frage." In den | |
letzten Jahren habe Püschel ihm gegenüber mindestens fünfmal damit gedroht, | |
aus der SPD auszutreten, erzählt Erben. Aber einen Rechtsdrall habe er bei | |
dem Genossen nie bemerkt. "Noch vor acht Wochen hätte ich gesagt: Der | |
wechselt zur Linken - wohin denn sonst?" | |
Während die SPD im Dezember Püschels Ausschluss einleitete, zögert die | |
Kirche bis heute mit Sanktionen gegen ihren ehrenamtlichen Funktionär, hat | |
die Personalie nur intern verhandelt. Erben ärgert das. "Viele in der SPD | |
sagen: Wir werden öffentlich verhauen - warum macht in der Kirche keiner | |
was?" | |
Kurz vor Weihnachten traf bei Thomas Wisch in Hohenmölsen ein böser Brief | |
des SPD-Innenstaatssekretärs ein. Der Pfarrer wunderte sich. Die Kirche | |
habe doch längst gehandelt - mit Püschel geredet, ihm klargemacht, dass sie | |
mit seinem Kurs nicht einverstanden sei. "Wir hätten ihm auch sofort volle | |
Breitseite geben können", sagt Wisch. "Aber damit hätten wir ihn zum | |
Märtyrer gemacht, und die NPD hätte sich noch mehr gefreut." | |
Auch Wisch versucht seit November, den Weg seines treuen Helfers zu | |
verstehen. Stammtischparolen habe Püschel drauf, sagt Wisch. "Aber der ist | |
ja kein Neonazi!" Beim NPD-Parteitag habe Püschel allerdings wohl | |
festgestellt: Die Rechtsextremen sprechen Fragen an, die ihn und viele | |
andere Bürger bewegen. Warum bekommen die Deutschen kaum noch Kinder? Warum | |
entfremdet sich die Politik von den Menschen? "Jetzt sieht er sich als | |
Robin Hood." Der Pfarrer hat das NPD-Programm vor sich auf den Tisch | |
gelegt. Parteiprogramme lese Püschel leider nicht, sagt er ratlos. | |
Chance vom Pfarrer | |
Dann kommt er auf das Schild zu sprechen, das neben der Tür zum Pfarrbüro | |
hängt. Klein, grau, aber nicht zu übersehen: "Alle Sünder willkommen". Es | |
soll kein Gag sein. Wenn er die Bibel ernst nehme, dann könne er nicht | |
agieren wie ein SPD-Chef, sagt Wisch. Habe nicht Jesus der Ehebrecherin | |
eine Chance zum Neuanfang gegeben? "Als Pfarrer bin ich für Herrn Püschel | |
immer da, auch wenn ich sein Verhalten nicht gut finde." | |
Der Fall sei für die Kirche "ein Spagat", sagt Wisch. "Und manchmal reißt | |
da auch die Hose." Darf ein NPD-Kandidat die Orgel spielen? Meist säßen in | |
Gottesdiensten "noch acht alte Mütterchen, da ist Hans der Jüngste". Auf | |
der anderen Seite hätten Gläubige die Christvesper gemieden - weil Püschel | |
an der Orgel saß. | |
Erst wenn die NPD-Kandidatur wirklich feststeht, will der Superintendent | |
der Kirche in Naumburg dem Kreiskirchenrat vorschlagen, Püschel als | |
Kirchenvorstand abzusetzen. "Ich gehe davon aus, dass der Kreiskirchenrat | |
dem folgt", sagt Reinhard Voitzsch. | |
Offen ist, ob Püschel bald auch als Bürgermeister abgewählt wird. Die | |
rechtlichen Hürden sind hoch: Sieben der zehn Dorfvertreter müssten ein | |
Abwahlverfahren beschließen. Das hätte nur Erfolg, wenn 30 Prozent der | |
Krauschwitzer zur Wahl gingen und die Mehrheit mit "Ja" stimmen würde. | |
"Da hat man nur einen Schuss", warnt der SPD-Landtagskandidat Rüdiger | |
Erben. "Sonst feiert die NPD ein Fest, und die Demokraten sind bis auf die | |
Knochen blamiert." Erben will sich nicht öffentlich einmischen. Er | |
fürchtet, dass Druck von außen ein "Jetzt erst recht"-Denken in Krauschwitz | |
befördert. | |
Gerade hat ihn die Verwaltungschefin der Stadt Teuchern alarmiert: Auf | |
ihrem Schreibtisch liegen zwei Mietverträge. Hans Püschel hat den | |
Gemeindesaal an die NPD vermietet. Gleich zweimal im Januar. Schon am | |
Samstag soll in Krauschwitz eine Wahlkampfveranstaltung mit NPD-Chef Udo | |
Voigt stattfinden, eine Woche später ein Schulungstreffen. Sein Ministerium | |
habe die Verträge sofort geprüft, sagt Erben: "Die sind nicht anfechtbar." | |
Auch das Baurecht helfe nicht weiter. Denn in dem 100-Personen-Saal solle | |
kurz darauf der Krauschwitzer Karneval stattfinden. "Wenn der auch abgesagt | |
würde, das wäre ein Turbolader für die NPD!" | |
Noch wissen die wenigsten im Ort davon. Erben aber ist sicher, dass der | |
Bürgermeister mit seinem jüngsten Coup überrissen hat und die Stimmung | |
kippen wird. Schließlich sei Krauschwitz "kein Ort, wo über Gebühr | |
NPD-Sympathisanten herumhängen". Der Ministerialbeamte klingt jetzt | |
beschwingt. Püschel nehme das ganze Dorf "in Mithaftung für sein Ding". Und | |
das dürfte selbst den Gleichgültigen zu weit gehen. "Die haben Angst, dass | |
der seine braune Soße über ihrem Dorf auskippt." Sicher ist jedenfalls | |
eins: Der Ärger in Krauschwitz geht gerade erst richtig los. | |
20 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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NPD | |
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