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# taz.de -- Kreative Protestformen gegen Nazis: Andere Städte, andere Sitten
> In Dresden blockieren Bürgerliche und Antifas gemeinsam den Aufmarsch von
> Neonazis. In Magdeburg kommt das Bündnis nicht zusammen. Warum ist das
> so? Eine Analyse.
Bild: Erfolgreich blockiert: Der Nazimarsch am 13. Februar 2010 in Dresden.
Die Rufe schallen durch die Halle im Statthaus Böcklerpark in
Berlin-Kreuzberg: "Nazis raus, Nazis raus". Antifas, Schüler und
Familienväter haken sich unter, bewegen sich auf eine Polizeikette zu. Die
drängt sie mit Schaumstoffknüppeln zurück. Es bleibt friedlich an diesem
Nachmittag. Denn hier in Kreuzberg ist alles nur ein Spiel. Ein Training
für die Blockade des Neonazi-Aufmarsches im Februar in Dresden.
Plakate, Banner und Flugblätter werben im Statthaus Böcklerpark für zivilen
Ungehorsam in der sächsischen Landeshauptstadt. Für Magdeburg wirbt keines.
Dabei werden die Rechtsextremen in Sachsen-Anhalt bereits am Samstag ihren
Gedenkreigen eröffnen. Wie in Dresden wollen sie zu Hunderten die
Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs instrumentalisieren.
Im Kreuzberger Statthaus wissen das nur wenige. Und die zucken mit den
Schultern. Zwei Großmobilisierungen? "Schaffste einfach nicht."
Mark Thärich* will er es dennoch versuchen. Der Antifa-Aktivist ist
Mitglied eines Koordinierungskreises autonomer Gruppen, die mit Blockaden
den Magdeburger Neonazi-Aufmarsch verhindern wollen. Einige Hundert
Blockierer werden sie am Samstag sein, schätzt Thärich. "Überschaubar."
Denn anders als in Dresden wird die Bürgerschaft Magdeburgs nicht
mitziehen. Sie feiert symbolisch an anderer Stelle: mit einer "Meile der
Demokratie" in der Innenstadt.
Mehrere tausend Magdeburger starben im Januar 1945, als das alliierte
Bombardement im Krieg gegen die NS-Diktatur große Teile der Innenstadt
zerstörte. Seit Ende der Neunziger benutzen die Neonazis das Ereignis für
ihren "Trauermarsch", künden auf Transparenten vom "Bombenholocaust". Fast
1.000 Rechtsextreme waren es im vergangenen Jahr, bundesweit angereist.
Die Stadt wehrte sich spät. Erst seit 2009 organisierte sie eine
Demokratiemeile. Bunte Stände von Vereinen und Initiativen, eröffnet von
SPD-Oberbürgermeister Lutz Trümper. Die Rechten marschierten weiter.
Dabei zeigt das Jahr 2010, dass es auch anders geht. In Dresden kesselten
Tausende mit Massenblockaden den Neonazi-Großaufmarsch am Bahnhof Neustadt
ein. Bürger, Autonome, Parteipolitiker - gemeinsam, friedlich. Kein Stück
bewegten sich die Nazis. Und das Erfolgsmodell Massenblockade schwappte
fortan übers Land. In Berlin, Leipzig, Dortmund, selbst in der
Brandenburgischen Provinz setzten sich Bürger gegen Neonazis auf die
Straße. Nach Magdeburg schwappte die Welle nicht.
"Jede Stadt muss ihren eigenen Weg gehen", sagt Holger Platz,
Ordnungsbeigeordneter und Veranstaltungsleiter der Demokratiemeile. Und der
Weg Magdeburgs sei eben dieser. Ein Fest, fernab jeden Krawalls. Das habe
sich bewährt. 5.000 Magdeburger seien im letzten Jahr gekommen, berichtet
Platz, so viele wie zu keinen Gegenprotesten zuvor. Man habe eine
eigenständige Feier der Demokratie etabliert, lasse die Nazis links liegen.
In diesem Jahr erwartet er noch größere Beteiligung.
Für Mark Thärich von der Antifa ist das zu wenig. Gerade jetzt, vor der
Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im März, bei der die NPD den Einzug ins
Parlament anpeilt, sei Widerstand geboten. "Da reicht es nicht, mit einem
Fest eine einzelne Straße zu besetzen", sagt Thärich. Es gehe um
friedlichen Ungehorsam. Und seit Dresden seien Blockaden ja "nichts
Ausgefallenes" mehr.
Dennoch: Dresden war ein Signal, keine Schablone, die sich problemlos
multiplizieren lässt. Hier sammelten sich so viele Neonazis wie sonst
nirgends in der Republik. Es ist der letzte deutsche Großaufmarsch der
Szene, der größte in Europa gar, mit bis zu 7.000 Teilnehmern. Und in
Dresden ballte sich der Frust darüber, mit alljährlichem Begleitprotest am
Rande nichts dagegen ausrichten zu können. Es war dieser Leidensdruck,
unter dem sich Autonome, Gewerkschafter, Politiker und Prominente auf ihren
Ungehorsam einigten: gewaltfreie, aber entschlossene Massenblockaden, so
ihr Aktionskonsens.
Auch in diesem Jahr läuft die Mobilisierung nach Dresden wieder gut. Es
gibt Blockadetraining, einen bundesweiten Aktions- und einen Plakatiertag.
Auch weil die Neonazis mit einer neuen, zweigleisigen Strategie versuchen,
den Blockaden zu entkommen: mit einem Fackelmarsch am 13. Februar und einem
Großaufmarsch am 19. Februar. Die Dresdner wollen beides verhindern. Mit
regionalen Protesten am ersten Termin und mit den großen Massenblockaden am
19. Februar. Riesig sei das Interesse, heißt es vom Bündnis "Dresden
nazifrei!". In diesem Jahr dürften die Blockaden noch größer werden.
In Magdeburg überwiegt derweil das gegenseitige Misstrauen. Nur um
"Imagepflege" gehe es den Stadtoberen, sagen die Autonomen. Nur um Action
gehe es den Autonomen, sagen die Stadtoberen. "Blockieren statt
ignorieren", betitelt das Antifa-Bündnis seinen Protest mit Wink an die
Stadt. Blockieren, heißt es aus der Verwaltung, sei immer noch Nötigung und
so eine Straftat.
Pascal Begrich engagiert sich seit Jahren gegen Neonazis in Magdeburg. Als
Geschäftsführer im Demokratienetzwerk "Miteinander", als Mitglied im
Bündnis gegen rechts. Das Bündnis ruft am Samstag auch zur Demokratiemeile
auf. Zum Blockieren fehle schlicht die Masse, sagt Begrich. Es gebe keine
Protesttradition in Magdeburg, zudem sei das Problem Rechtsextremismus
lange nicht im öffentlichen Bewusstsein gewesen. "Wir befinden uns aber auf
einem guten Weg", sagt Begrich. Vielleicht, wenn sich diesmal noch mehr
Menschen an der Demokratiemeile beteiligten, könne man im nächsten Jahr zu
anderen "kreativen Protestformen" aufrufen.
Mark Thärich von der Magdeburger Antifa glaubt schon dieses Jahr an die
Chance des zivilen Ungehorsams. Wenn die Masse fehle, müsse man eben auf
Überraschung setzen. Mit einer Blockade an einer verabredeten Stelle soll
der Neonazi-Aufzug gestoppt werden. "Zuversichtlich" sei er, sagt Thärich,
dass das gelingt. Und dass am Ende ein Zeichen fürs nächste Jahr steht. Ein
Zeichen, dass Blockaden machbar sind, auch in Magdeburg.
* Name geändert
14 Jan 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Schwerpunkt Pegida
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