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# taz.de -- Debatte Korruption in Indien: Risse in der Glitzerfassade
> In Indien wachsen die Zweifel, ob das Wirtschaftswachstum anhält. Denn
> die ausufernde Korruption droht den Aufstieg des Landes ernsthaft zu
> gefährden.
Bild: Viele Gelder werden zwischen Unternehmern und Politikern geteilt. Das Nac…
Von Weitem sieht alles prima aus im Boomland des 21. Jahrhunderts. Erst
kürzlich setzte das Londoner Wirtschaftsmagazin Economist einen rennenden
Tiger auf die Titelseite und orakelte: "Wie Indiens Wachstum das
chinesische überholen wird". Prompt legte die Weltbank jetzt mit Zahlen
nach: Schon im Jahr 2012 werde Indiens Volkswirtschaft mit 8,7 Prozent um
0,3 Prozentpunkte schneller wachsen als der große Konkurrent im Norden.
Aber auch politisch demonstriert Indien Stabilität und Kontinuität: Seit
sechs Jahren führt Premierminister Manmohan Singh eine scheinbar
konkurrenzlose Koalitionsregierung unter Führung der Kongresspartei. Als
das US-Magazin Newsweek vor kurzem die Leistungen der Regierungschefs in
aller Welt bewertete, eroberte Singh den ersten Platz: wegen seiner
Bescheidenheit und Unbestechlichkeit.
Doch das ist nur der Blick von außen. In Indien selbst rumort es. Inmitten
des Wirtschaftsbooms hat sich ein politisches Unbehagen eingeschlichen, in
dem manche Beobachter mehr als nur ein vorübergehendes Stimmungstief sehen.
Die Rede ist von einer politischen Systemkrise, die dem Wirtschaftswachstum
langfristig ein jähes Ende bereiten und Indiens Weltmachtambitionen um
Jahrzehnte zurückwerfen könnte. Im Zentrum der Kritik steht der Vorwurf:
Korruption.
Gerade in Indien klingt das banal, man hat den Vorwurf oft gehört. Und
blüht Korruption nicht überall, auch in den Erfolgsökonomien Chinas und
Brasiliens? Doch in Indien hat sich ein ungeheurer politischer Frust
aufgestaut, die ersten Risse in der bislang heilen politischen Fassade der
Kongresspartei werden sichtbar.
Gerade musste Premierminister Singh unter öffentlichem Druck sein Kabinett
umbilden - das erste Mal in seiner Amtszeit. Es traf Ministerien wie
Energie, Luftfahrt und Straßenbau, in denen sich die Korruption über Jahre
festgesetzt hat. Beispiel Straßenbau: Dort hatte erst im Mai 2009 der zuvor
erfolgreiche Handelsminister Kamal Nath die Geschäfte übernommen. Er
versprach der Nation bei seiner Amtseinführung, jeden Tag zwanzig neue
Straßenkilometer zu bauen und für Investitionen in den Straßenbau von über
70 Milliarden Dollar innerhalb von drei Jahren zu sorgen.
Nun musste Nath die Segel streichen, weil seither praktisch nichts geschah.
Nicht einmal die größten Städte des Landes, Delhi und Mumbai, verbindet bis
heute eine Autobahn. Und das, obwohl Milliarden Dollar in den Ausbau eines
nationalen Autobahnrings flossen, der auch die Strecke Delhi-Mumbai
abdeckt. Das Versagen des Staates beim Aufbau der Infrastruktur aber ist
eines der entscheidenden Hemmnisse für langfristiges Wirtschaftswachstum.
Demokratie als billige Ausrede
Oft führen indische Politiker demokratische Hürden an, um die Verzögerung
ihrer Projekte zu rechtfertigen. Straßen könnten nicht gebaut werden, weil
Bauern ihre Felder dafür nicht hergäben - und niemand in Indien könnte sie
dazu zwingen. Das aber sind meist bequeme Lebenslügen. In Wirklichkeit
teilen sich Politiker und Unternehmer die unerhört hohen staatlichen
Auftragssummen, die nur wenig mit den anschließend vollbrachten Leistungen
zu tun haben.
Das System wurde vor den Commonwealth-Spielen in Delhi im letzten Jahr
offensichtlich: Für die Vermietung von Kränen für den Straßenbau verlangten
Baufirmen im Vorfeld der Spiele vom Staat das Zehnfache der gewöhnlichen
Mietkosten. Die Gewinnsumme teilten sich Unternehmer und Politiker, das
Nachsehen hatte der Steuerzahler.
Es geht dabei nicht um Peanuts, sondern um volkswirtschaftlich relevante
Summen. Bei der Vergabe von Mobilfunklizenzen entdeckte der indische
Rechnungshof Ende letzten Jahres staatliche Mindereinnahmen über
umgerechnet 40 Milliarden Dollar: Regierungspolitiker hatten die Lizenzen
lieber billig an ihre Freunde in der Telekom-Industrie abgegeben. Der
Verlust für den Staat belief sich auf das Sechsfache seines jährlichen
Gesundheitsbudgets.
Indien braucht dringend staatliche Investitionen in Gesundheit und
Lebensmittelversorgung, da ein Großteil seiner ländlichen Bevölkerung
unterernährt ist. Doch im indischen Korruptionssumpf geht nicht nur viel
Geld verloren, sondern auch die Moral. Vor sechs Jahren war die
Kongresspartei noch mit großen staatlichen Initiativen gegen die Armut
angetreten. Doch einem zunächst erfolgreichen Beschäftigungsprogramm für
die arme Landbevölkerung fehlt heute der politische Schwung. Ein für Singhs
zweite Amtsperiode angekündigtes Staatsprogramm für das Recht auf Ernährung
blieb ein vages Versprechen.
Kampf gegen Armut fällt aus
"Über die nächsten vier, fünf Jahre bestehen in Indien so viele
Unsicherheiten, dass man die Dinge jetzt ändern muss, solange das Wachstum
anhält, sonst wird alles viel schwerer", warnt der indische Politologe
Pratap Bhanu Mehta, Präsident des unabhängigen Zentrums für
Politikforschung in Delhi. Solche Kritiker denken an den Aufbau
unabhängiger Regulierungsinstanzen, fordern eine deutliche Stärkung der
Justiz bei der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität, aber auch klare
staatliche Verantwortlichkeit bei der Bekämpfung der größten Armut. Doch
nichts davon ist in Sicht.
Trotz Demokratie fehlt es in Indien an einer schlagkräftigen Opposition.
Außer bei Wahlen kann die Regierung kaum belangt werden. Die oft bissigen
Medien, die manchen Skandal aufgedeckt haben, gehören am Ende dem Big
Business, die Gewerkschaften haben keinen Einfluss. Die sozialen Bewegungen
allein können die kriminelle Verzahnung zwischen Politik und Wirtschaft
nicht aufhalten.
Veränderung kann deshalb vorerst nur aus dem Inneren der Macht kommen. Die
Hoffnung ruht auf einer jüngeren Generation rechtsbewusster Politiker um
den Nehru-Urenkel Rahul Gandhi und einer neuen, im Ausland geschulten
Managergeneration. Doch die alten Eliten sitzen fester im Sattel denn je.
Die Kabinettsumbildung in der vergangenen Woche war nur ein Stühlerücken.
Ebendas aber beflügelt das Unbehagen: Alles geht weiter wie zuvor. Niemand
wird bestraft. Und das Ausland jubelt den Sündern noch zu.
24 Jan 2011
## AUTOREN
Georg Blume
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