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# taz.de -- Mikrokredite in Indien: Krise nach Selbstmordwelle
> Um schnell zu wachsen, haben Institute in Indien zu großzügig
> Mikrokredite vergeben. Das Geld dazu liehen sie sich von den Banken. Nun
> droht ein Dominoeffekt.
Bild: Das Mikrokreditwesen ist längst nicht mehr die Erfolgsgeschichte, als di…
DEHLI taz | Die Erfolgsgeschichte des indischen Mikrofinanzwesens droht in
einem Milliardenfiasko zu enden. "Die Lage der Branche ist derzeit sehr
ernst", sagte ein großer privater Investor diese Woche der indischen
Wirtschaftszeitung mint. Nach Berichten von Rating-Agenturen zahlen derzeit
nur noch 20 bis 30 Prozent der Millionen Mikrokreditkunden im Bundesstaat
Andhra-Pradesh ihre Kredite ab. Deshalb können viele Mikrokreditinstitute
ihre bei den großen indischen Banken aufgenommenen Gelder nicht mehr
zurückzahlen. Hilfe erhoffen sie sich nun von westlichen
Entwicklungsbanken, unter anderem von der deutschen Kreditanstalt für
Wiederaufbau. Schließlich handelt es sich bei Mikrokrediten um ein
vielgelobtes Instrument der Armutsbekämpfung.
Auslöser der Krise war eine Reihe von Selbstmorden unter
Mikrokreditnehmerinnen in Andhra-Pradesh. Mindestens 30 Frauen nahmen sich
innerhalb von 45 Tagen das Leben, weil sie ihre Kleinstkredite von
durchschnittlich 300 Rupien pro Woche (umgerechnet 5 Euro) nicht
zurückzahlen konnten. Daraufhin geriet das Mikrokreditwesen in die Kritik.
Den Instituten wurde Erpresserei und Gewaltanwendung beim Eintreiben ihrer
Kredite vorgeworfen. Indische Medien berichteten, dass Frauen zur
Rückzahlung ihrer Mikrokredite in die Prostitution gezwungen worden seien.
Andhra-Pradesh ist das Zentrum des Mikrokreditwesens. Mit 26,5 Millionen
Kreditnehmern ist Indien der mit Abstand größte Mikrokreditmarkt der Welt.
Und innerhalb des Landes werden rund ein Drittel aller Mikrokredite in
Andhra-Pradesh vergeben. Alle großen Mikrokreditinstitute haben hier in der
Hauptstadt Hyderabad, dem "Manhattan der Mikrofinanzindustrie", ihre
Zentralen. 50 Prozent aller armen Haushalte in Andhra-Pradesh sind ihre
Kunden. Ihr jährliches Kreditvolumen liegt in ganz Indien bei derzeit 5
Milliarden Euro.
Für ihren einmaligen Erfolg aber zahlen die indischen Mikrokreditinstitute
heute einen hohen Preis. Noch im Sommer fuhr der indische Marktführer SKS
bei seiner Börsennotierung in Mumbai 350 Millionen US-Dollar frisches
Kapital ein. Doch nun ist der Aktienkurs auf die Hälfte des
Einführungswertes gefallen. Die Mikrokreditinstitute haben sich übernommen.
Zwar konnte SKS in den letzten fünf Jahren ein Umsatzwachstum von
durchschnittlich 162 Prozent verbuchen und im gleichen Zeitraum die Zahl
seiner Mikrokreditkunden von 80.000 auf 7,3 Millionen fast
verhundertfachen. Doch mit dem Wachstum hielt die Qualität der Kredite
nicht mit. Immer mehr wurden ohne Auflagen vergeben. Die Armen konsumierten
das Geld, statt es in neue Geschäfte zu investieren.
Damit aber ging ein wesentlicher Teil des ursprünglichen Mikrokreditmodells
von Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus verloren. Die von Yunus
gegründete Grameen-Bank, auf deren Vorbild sich SKS und andere nach wie vor
berufen, kümmert sich auch um die Verwendung der Kredite. Sie sollen
investiert werden. Dadurch ist ihr Wachstum allerdings begrenzt.
Bisher gaben die indischen Mikrokreditinstitute stets an, dass 98 Prozent
ihrer Kreditnehmer - alles Frauen - pünktlich zurückzahlen. Doch spätestens
seit Oktober ist die Zahlungsdisziplin eingebrochen. Die
Mikrokreditinstitute machen dafür die Politik verantwortlich, deren neue
Auflagen der Branche das Rückgrat brechen würden. SKS-Chef Vikram Akula
forderte deshalb weniger Regulierung und eine Anerkennung der Institute als
Banken.
Derweil bangen die Banken um umgerechnet 3 Milliarden Euro, die sie den
Mikrokreditinstituten geliehen haben: "Diese Außenstände machen uns große
Sorgen", sagte Sunand Mitra, Vorstandsmitglied der indischen Axis Bank. Das
ist auch neu: Wenn die Armen nicht zahlen, verlieren diesmal auch die
großen Banken.
1 Dec 2010
## AUTOREN
Georg Blume
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