# taz.de -- Freihandelsabkommen EU-Indien: Vertrag gefährdet Gesundheit | |
> Die EU und Indien wollen bald ein Freihandelsabkommen abschließen. Seine | |
> Regeln für die Pharmabranche bedrohen laut Aktivisten das Leben tausender | |
> Menschen. | |
Bild: Eine schlechtere medizinische Versorgung für Ärmere befürchten Aktivis… | |
Schlussspurt bei den Freihandelsgesprächen zwischen der Europäischen Union | |
und Indien in Brüssel: Seit vier Jahren verhandeln beide Seiten hinter | |
verschlossenen Türen über ein Abkommen. Am Freitag fand in Brüssel eine der | |
letzten Verhandlungsrunden dazu statt. Im März 2011 soll das umfassende | |
Liberalisierungsabkommen unterschriftsreif sein. | |
Mit Regeln für eine aggressive Marktöffnung und die Ausbeutung von | |
Rohstoffen dürfte der neue Pakt den Handel zwischen Europa und dem | |
Subkontinent radikal verändern. So sollen große Schleppnetz-Fischbetriebe | |
der EU Zugang zu indischen Gewässern erhalten, was die Existenz vieler | |
kleiner Fischer in Indien gefährden könnte. | |
Zudem sollen für 90 Prozent des Warenaustauschs in einem Wirtschaftsraum | |
mit 1,5 Milliarden Menschen die Zölle entfallen. Auch der industrielle | |
Sektor und Dienstleistungen werden liberalisiert. Die Europäische Union | |
will außerdem weitreichende Rechte zum Schutz des geistigen Eigentums in | |
Indien durchsetzen, die weit über die internationalen Standards der | |
Welthandelsorganisation hinausgehen. Dies würde Änderungen in der indischen | |
Gesetzgebung zum Vorteil europäischer Saat- und Pharmakonzerne erzwingen. | |
Die EU ist Indiens größter Handelspartner. Das bilaterale Handelsvolumen | |
zwischen den beiden betrug im vergangenen Jahr 77 Milliarden Euro. Nach | |
Aussage des indischen Handelsministers Anand Sharma wollen beide Seiten den | |
Handel in den kommenden vier Jahren verdoppeln. | |
Während bei den geheimen Gesprächen mächtige Lobbygruppen aus der Industrie | |
mit am Tisch sitzen, wurden zivilgesellschaftliche Gruppen an der | |
Diskussion nicht beteiligt. Deshalb macht nun ein breites Bündnis gegen die | |
Verhandlungen mobil. Nichtregierungsorganisationen wie Misereor, der | |
Evangelische Entwicklungsdienst, Ärzte ohne Grenzen, die Synode der | |
Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), aber auch der | |
entwicklungspolitische Ausschuss des Deutschen Bundestags warnen vor den | |
Konsequenzen der Liberalisierung. | |
Eine schlechtere medizinische Versorgung für Ärmere wäre eine dieser | |
Folgen. "Das Abkommen würde dazu führen, dass wichtige Nachahmermedikamente | |
in Indien nicht mehr hergestellt werden dürfen", sagte Oliver Moldenhauer | |
von Ärzte ohne Grenzen der taz. Das Land ist weltweit einer der größten | |
Hersteller für sogenannte Generika. Das indische Recht sieht für | |
lebenswichtige patentgeschützte Medikamente Zwangslizenzen vor, um so | |
preiswerte Kopien herzustellen. Durch den Einsatz der wirkstoffgleichen | |
Kopien von Aidsmedikamenten sind die Behandlungskosten in | |
Entwicklungsländern um 98 Prozent gesunken. "Ärzte ohne Grenzen bezieht 80 | |
Prozent seiner Aidsmedikamente für 160.000 Patienten in armen Ländern aus | |
Indien", erklärte Moldenhauer. | |
Für die Zulassung in Indien reicht es bislang aus, die Wirksamkeit der | |
Medikamente mithilfe europäischer Studien zu belegen. Doch das will die EU | |
nun durch das Freihandelsabkommen verbieten lassen: Zukünftig sollen diese | |
Studien dem geistigen Eigentum unterliegen. Dann müssten indische | |
Generikahersteller die Wirksamkeit erneut mit eigenen Studien nachweisen. | |
"Es ist unethisch, die Wirkung bewährter Medikamente erneut mit hohen | |
Kosten nachweisen zu müssen", sagte Moldenhauer. Zudem seien die Kosten im | |
zweistelligen Millionenbereich für solche Untersuchungen für die | |
Generikahersteller nicht finanzierbar. "Unter Federführung Deutschlands | |
wird hier die medizinische Versorgung und das Leben vieler tausender | |
Menschen aufs Spiel gesetzt", sagte Moldenhauer. | |
12 Dec 2010 | |
## AUTOREN | |
Tarik Ahmia | |
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