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# taz.de -- Die Grünen und das Afghanistan-Mandat: Kriegskinder unter sich
> Die meisten Grünen werden sich wieder enthalten. Nicht so Christian
> Ströbele und Omid Nouripour. Der eine ist gegen das Mandat, der andere
> dafür.
Bild: Für oder gegen das Mandat? Bundeswehr in Afghanistan.
Im Fraktionssaal der Grünen im Reichstag wird es still. Der Außenpolitiker
Frithjof Schmidt ergreift das Wort, um die Aussprache über den Krieg zu
eröffnen. "Ich plädiere für Enthaltung", sagt er mit Blick auf die
bevorstehende Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan und
erläutert die Lage im Land.
Es ist Dienstag, und Diskussionen über den Krieg haben die Grünen in den
vergangenen Wochen einige geführt. Aber jetzt muss ein Ergebnis her,
schließlich stimmt in drei Tagen der Bundestag über das Mandat ab.
"Inzwischen sprechen alle über den Abzug", fährt Schmidt fort, "früher hat
da niemand drüber geredet …". Plötzlich reckt der Abgeordnete
Hans-Christian Ströbele die Hand in die Höhe: "Doch, ich", schallt es durch
den Raum. Manche rufen: "Ich auch." Andere rollen mit den Augen. Ströbele
wieder. Der Linke.
Wenige Wochen zuvor sitzt der Abgeordnete Omid Nouripour in einem Airbus
der Luftwaffe auf dem Weg nach Afghanistan und blättert in einem Stapel von
Dokumenten. Er will sich auf die Diskussionen um das Mandat vorbereiten.
Die Grünen wollen noch in diesem Jahr mit dem Abzug aus Afghanistan
beginnen. Aber Nouripour will sich auf dieser Reise in die fraglichen
Provinzen des Landes erst anschauen, wo und ob das überhaupt möglich ist.
2014 wollen die Grünen die Kampftruppen aus Afghanistan abgezogen wissen.
Mittlerweile wollen das auch die meisten Sozialdemokraten, Guido
Westerwelle und Barack Obama. "Man kann heute noch kein hundertprozentiges
Abzugsdatum nennen, auch wenn es wünschenswert wäre", sagt Nouripour.
Nouripour wieder. Der Realo.
Ströbele und Nouripour sind die Pole der Partei. Wenn es um die Grünen und
den Krieg geht, hört man in der Öffentlichkeit vor allem die beiden.
Ströbele spricht immer von einem sofortigen Ende des Kampfeinsatzes,
Nouripour immer davon, was möglich ist, ohne die Afghanen im Stich zu
lassen.
Anfragen und Besuche
Ströbele nutzt alle parlamentarische Mittel, um so viel wie möglich über
die dunkle Seite des Krieges herauszufinden. Nouripour kennt Afghanistan so
gut wie kaum ein anderer Parlamentarier. Auch die Ecken, in die sonst nie
jemand geht.
Die Grünen erleben derzeit einen Höhenflug und haben gute Aussichten,
erstmals einen Ministerpräsidenten zu stellen; die Kanzlerin hält sie für
den wichtigsten Gegner. Aber wenn es um Krieg geht, ist sind die Grünen
immer noch zerrissen. So wie 2001, als die Grünen das erste
Afghanistan-Mandat mittragen mussten. Bis heute hält sich die Legende, dass
ausgelost wurde, wer das Mandat ablehnen durfte.
Zurück ins Jahr 2011. Die Probeabstimmung nach der Aussprache endet mit
einem eindeutigen Ergebnis: Die Mehrheit wird der Empfehlung der
Fraktionsführung folgen und sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten.
Frithjof Schmidt begründet das damit, dass es im neuen Mandat "eine ganze
Reihe von unklaren Punkten und Widersprüchen" gebe. Grundsätzlich sei ein
"Stabilisierungseinsatz" für Afghanistan aber auch aus Sicht der Grünen
weiterhin sinnvoll.
Ströbele macht da nicht mit, er stimmt mit "Nein", wie immer. Nouripour
macht auch nicht mit, er stimmt mit "Ja". Auch wie immer. Für beide ist der
Krieg auch ein persönliches Thema. Der 1939 geborene Ströbele sagt: "Ich
bin ein Kriegskind." Der 1975 geborene Nouripour ist das auch. Seine Eltern
flohen am Ende des Iran-Irak-Krieges nach Frankfurt, als er ein Kind war.
Ströbele sagt: "10.000 Tote im Jahr in Afghanistan sind nicht zu
verantworten. Deshalb müssen wir den Kampfeinsatz sofort stoppen."
Nouripour sagt: "Das Mandat nicht mitzutragen wäre für mich das falsche
Signal an die Menschen in Afghanistan und an die Soldaten."
Am Tag nach seiner Ankunft in Afghanistan besucht Omid Nouripour den
Gouverneur der Provinz Badachstan im Nordosten des Landes. Beide sitzen
sich in mächtigen Ledersesseln gegenüber, über dem Schreibtisch des
Gouverneurs hängt ein Bild des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai.
Nouripour ist der erste Bundestagsabgeordnete, der mit dem Gouverneur der
Provinz spricht, aus der die Bundeswehr vielleicht bald abziehen will.
Nouripour faltet die Hände und sagt einige Worte auf Dari, einer der beiden
Amtssprachen. Dann schaut er zum Sprachmittler und sagt: "Das müssen sie
jetzt nicht übersetzen." Der Gouverneur lächelt. Die Gesprächsebene ist
gefunden. Nouripour ist seit 2005 zum achten Mal in Afghanistan. Die
Sprache ist sein großer Trumpf, er erfährt so viel mehr vom Land, als wenn
er sich auf die oft schwachen Übersetzungen verlassen müsste.
Reden dürfen beide nicht
Christian Ströbele war erst einmal in Afghanistan, in einer der
Landessprachen verständigen kann er sich nicht. Er ist erst seit dieser
Legislaturperiode im Auswärtigen Ausschuss, davor hat er sich immer um
Innen- und Rechtspolitik gekümmert. Trotzdem wurde er immer gehört, wenn es
um den Krieg ging. Das wurmt viele Verteidigungspolitiker, früher wie
heute. Gleichwohl genießt er in der Partei Respekt, was sicher auch daran
liegt, dass er in Berlin-Kreuzberg als erster Grüner ein Direktmandat für
den Bundestag holte, obwohl ihn einige, allen voran der damalige
Außenminister Joschka Fischer, so gerne losgeworden wären.
Zum Mandat reden darf er trotzdem nicht. "Seit zehn Jahren möchte ich dazu
im Bundestag sprechen", sagt er, "aber die Fraktion lässt mich nicht." Die
Grünen haben insgesamt nur acht Minuten Redezeit bekommen - der
Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin wird der einzige Redner der Partei
sein. Auch der Verteidigungspolitische Sprecher Nouripour muss zuhören.
Ströbele arbeitet anders als Nouripour. Er produziert parlamentarische
Anfragen wie kaum ein anderer Abgeordneter. Er fragt darin das
Verteidigungsministerium nach dem Einsatz geheimer Kampftruppen in
Afghanistan oder will herausfinden, was es mit den Todeslisten auf sich
hat, die durch Wikileaks enthüllt wurden. "Ich nutze das Kontingent
eigentlich fast immer voll aus", sagt er, "und ich schreibe die Anfragen
auch selber."
Im 3. Stock des Abgeordnetenhauses Unter den Linden wollte es der Zufall
so, dass die Büros der beiden nebeneinander liegen. Man sieht sich auf dem
Flur, und trotz all der Unterschiede in den Ansichten schätzen sich die
Kontrahenten. Ströbele sagt, "Wir können offen miteinander umgehen", man
könne gut über konkrete Fälle diskutieren und stimme sich zuweilen
gegenseitig zu. Nouripour lobt Ströbele als "ungewöhnlich guten
Abgeordneten". Er sagt. "Ströbele ist ein großer Mann."
In den vergangenen Wochen gab es Druck auf beide. Die Fraktionsführung
würde es gerne sehen, wenn es viele Enthaltungen gibt, wenn die
Fraktionslinie eingehalten wird. Aber auch Nouripour und Ströbele werben um
ihre Positionen. Sie schreiben an ihre befreundeten Abgeordneten über
E-Mail-Verteiler oder suchen das Gespräch. Sie streiten um die Position der
einstigen Friedenspartei.
Die Grünen streiten also doch noch. "Es gibt keine Partei, die sich so hart
mit dem Thema Krieg auseinandersetzt, wie die Grünen", sagt Winfried
Nachtwei, Nouripours von vielen geschätzter Vorgänger als
Verteidigungsobmann und bis zum Jahr 2009 Abgeordneter im Deutschen
Bundestag. "Das ist auch heute noch so."
Natürlich habe sich die Einstellung der Partei verändert, seit sie nicht
mehr in Regierungsverantwortung einen solchen Einsatz wie in Afghanistan
mittragen muss. "2001 waren wir noch militärskeptischer", sagt Nachtwei.
Heute diskutiere man "ohne die Aufwallungen wie vor 10 oder 15 Jahren".
Über seine Nachfolger äußert sich Nachtwei nur ungern, er sagt nur, er sei
"schwer erleichtert" über das ganze Team der Verteidigungspolitiker.
Und was wäre das richtige Abstimmungsverhalten für eine Partei wie die
Grünen? Wie würde er abstimmen? "Auf jeden Fall Nichtzustimmung, aber
Ablehnung sieht aus wie die Forderung nach dem sofortigen Abzug", sagt er.
"Ich würde mich enthalten."
28 Jan 2011
## AUTOREN
Gordon Repinski
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