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# taz.de -- Rentenexperte Otto Teufel: Einer schuftet im Augiasstall
> Der Bruder von Fritz Teufel ist einer der versiertesten, kritischsten
> Rentenexperten Deutschlands. Seit 30 Jahren kämpft er gegen die
> Rechentricks der Rentengesetzgebung.
Bild: Otto Teufel in seinem Haus in München.
"Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern
und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen."
Altbundeskanzler G. Schröder (SPD)
Otto Teufel, Dipl.-Ing. im Ruhestand. Rentenexperte, Mitgründer und 2.
Vorsitzender der ADG e. V. (Aktion Demokratische Gemeinschaft). Er wurde
1935 in Ingelheim a. Rhein als viertes von sechs Kindern geboren. Der Vater
war Dipl.-Volkswirt, die Mutter Hausfrau. 1946 zog die Familie nach
Ludwigsburg, wo er das Schiller-Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur
arbeitete er ein Jahr, weil nicht genug Geld da war für mehrere studierende
Kinder. 1957/58 nahm er an der TH Stuttgart ein Studium der Elektrotechnik
(Nachrichtentechnik) auf und arbeitete noch 7 Monate nebenbei als
Werksstudent. Nach dem Diplom ging er 1963 zu Siemens nach München, war
zuerst im Entwicklungslabor und wechselte dann zur Vertriebsabteilung. 1969
wurde er für 3 Jahre in die USA versetzt. Anschließend Rückkehr zu Siemens
nach München. In den letzten Jahren war er freigestellter Betriebsrat mit
Schwerpunkt Sozialrecht. 1996 wurde er im Rahmen eines umfangreichen
Personalabbaus wegrationalisiert. 1996 gründete er wegen dieser Erfahrungen
mit betroffenen Kollegen zusammen die ADG, ein Zusammenschluss zur
gemeinsamen Gegenwehr. 1999 wurde er Rentner. Otto Teufel ist verheiratet,
seine Frau war Sozialarbeiterin, später Hausfrau, sie haben zwei Söhne.
Otto Teufel bewohnt mit seiner Frau ein Reihenhaus in einem Vorort
Münchens. Sie bezogen es in den 70er Jahren, und noch heute ist zu sehen,
wie modern sie es damals eingerichtet haben. Wir folgen unserem sanften,
aber dynamischen Gastgeber die Treppe hinauf zu seinem Arbeitszimmer,
vorbei an einer schönen kleinen Dampfmaschine. Sein Arbeitszimmer wirkt mit
den Aktenordnern, Gesetzbüchern und Papieren auf dem Schreibtisch wie die
Kanzlei eines stark beschäftigten Anwalts und nicht wie der geruhsame
Rückzugsort eines Rentners. Hier oben studierte er das Rentenrecht und das
Rentenunrecht und wurde in 30 Jahren zum weithin versiertesten kritischen
Rentenexperten Deutschlands. Und hier schreibt er seine Anklagen,
Aufklärungsschriften und Vorträge.
Er persönlich kommt aus mit seiner Rente und hätte durchaus auch noch
andere Interessen. Warum also gibt er nicht einfach Ruhe? Otto Teufel sagt:
"Ich habe in mir so eine soziale Ader, ein ,Gen' gegen Ungerechtigkeit,
genau wie mein Bruder, nur bei ihm ist es viel früher zum Tragen gekommen."
Er ist der Bruder von Fritz Teufel. Von der Öffentlichkeit kaum
wahrgenommen, existiert eine zunehmend ungemütlicher werdende
außerparlamentarische Opposition aus kritischen Alten, die sich vernetzt
und versucht, öffentlich aufzuklären. Otto Teufel ist einer von ihnen.
Dass aus Otto Teufel, dem braven Ingenieur und Familienvater, letztlich
eine Art Staatsfeind wurde, ein unerbittlicher Verfechter bürgerlicher
Rechte und radikaler Ankläger politischer Willkür, zeigt, wie sehr das Maß
des Zumutbaren überschritten ist. Otto Teufel hat sich seit Mitte der 80er
Jahre akribischer als jeder bezahlte Beamte in die Materie
hineingearbeitet, hat die Finten und Rechentricks, die Lügen und
Propagandafeldzüge der Lobbyisten, der Politiker und Medien entlarvt. Mit
fast 75 hat er als Rentenexperte der Aktion Demokratische Gemeinschaft alle
Hände voll zu tun, er reist herum, hält Vorträge, diskutiert mit Vertretern
der Gegenseite.
Otto Teufel erzählt vom Hergang der Dinge: "Also, seit Anfang der 80er
Jahre eigentlich, nach der ersten großen Rentenreform von 1978, beschäftigt
mich die Sache. Und in den 90er Jahren mussten dann wegen Personalabbau
viele Leute ab 53 bei uns in der Firma in München den Hut nehmen. Dabei
wurde ihnen von einem Rentenexperten errechnet, dass sie ab 60 eine Rente
in einer gewissen Höhe bekommen würden. Das ging praktisch in die
Gesamtberechnung mit ein. Dann kam die Regierung Kohl mit gleich zwei
Rentenreformen, die praktisch Rentenansprüche dieser Leute um bis zu einem
Drittel abgewertet haben. Durch einen rückwirkenden Eingriff! Die Leute
konnten ihre Regelungen mit der Firma nicht mehr rückgängig machen, auch
vor dem Bundesarbeitsgericht hätte man keine Hilfe gefunden. Sie gingen
baden. Wir waren der Meinung, das kann eigentlich in einem Rechtsstaat
nicht sein. Da haben wir gesagt, o.k., wir schließen uns zusammen in einem
Verein, damit wir das gemeinsam stemmen, damit wir ein oder zwei Verfahren
bis zum Bundesverfassungsgericht durchbringen.
Als dann 1999 die Ersten in Rente gegangen sind, haben wir gegen diesen
rückwirkenden Eingriff ins Rentenrecht geklagt. Und damit fing ein
ununterbrochenes Anrennen gegen die Wand an. Zuerst Widerspruch,
Widerspruchsbescheid, Klage beim Sozialgericht. Das beschied, die BfA -
seit 2005 Deutsche Rentenversicherung - hat das Gesetz richtig angewendet.
Das ist praktisch alles mit dem Grundgesetz vereinbar, hat das
Bundesverfassungsgericht 1981 schon mal entschieden. Allmählich haben wir
mitgekriegt, was da bereits gelaufen ist. Wir sind ja alle keine Juristen.
Und waren um so erstaunter, was das BVerfG in seinem Urteil sinngemäß
gesagt hat: dass für Arbeitnehmer und Rentner, wenn es um die
Altersversorgung geht, nicht die gleichen Rechte gelten wie für andere
Bürger, sprich Mitglieder der berufsständischen Versorgung oder für
Beamten.
Die Entscheidung, dass wir kein einheitliches System haben, hat die
Bundesregierung nach dem Zeiten Weltkrieg getroffen. Das Verwaltungswesen,
die höheren Beamten, die ganze Justiz hat praktisch eins zu eins
weitergemacht. Und beim Adenauer war ja jeder quasi entnazifiziert,
automatisch, wenn er CDU-Mitglied war. Die haben es 1948 auch geschafft,
gegen den ursprünglichen Willen der Alliierten, dass sie ins Grundgesetz in
Artikel 33 Abs. 5 reingeschrieben haben: ,Das Recht des öffentlichen
Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des
Berufsbeamtentums zu regeln.' Man geht, auch nach 1945, auf den Feudalstaat
des 19. Jahrhunderts zurück. Oder was heißt ,hergebracht'? Hitlers ,Gesetz
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' von 33 kann ja wohl nicht
gemeint sein?
Klar ist lediglich, dass der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes durch
diesen Artikel relativiert wird. Das hat weitreichende Folgen. In diesem
Zusammenhang wird auch verständlich, warum es die Parteien verhindert
haben, dass wir, so wie es Art. 146 Grundgesetz vorsah, eine gemeinsame
neue Verfassung kriegen nach der Wiedervereinigung. Das hätte die
Parteiendiktatur beendet und das ,hergebrachte' Berufsbeamtentum
abgeschafft.
Zweiklassengesellschaft
Tatsache aber ist, es herrscht eine Zweiklassengesellschaft bei der
Altersversorgung in Deutschland, was so im Grundgesetz nie vorgesehen war.
Grund dafür ist die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen
Altersversorgungssysteme (Rentenversicherung, berufsständische Versorgung,
Beamtenversorgung). Arbeitnehmer erhalten ihre Altersversorgung als Rente,
für die sie ins Solidarsystem der Rentenkasse erhebliche Beträge einbezahlt
haben. Beamte erhalten im Alter angemessene Pensionen aus öffentlichen
Mitteln, für die sie keinerlei Beiträge ins Solidarsystem bezahlt haben.
Eine Mindestforderung ist, es müssen endlich alle Bürger, ohne Ausnahme, in
ein wirkliches Solidarsystem eingebunden werden.
Denn wir haben kein Solidarsystem. Es gibt keinen einzigen demokratischen
Rechtsstaat in Europa, bei dem nicht die Rentenversicherung einheitlich
geregelt ist. Nur Deutschland hat eine Arbeitnehmerversicherung für
abhängig Beschäftigte, während Dänemark, Finnland, die Niederlande,
Schweden und die Schweiz eine Volksversicherung für alle ihre Bürger haben.
Belgien, Frankreich, Luxemburg, Griechenland, Großbritannien, Irland,
Italien, Österreich, Portugal und Spanien haben eine
Erwerbstätigenversicherung für alle Erwerbstätigen.
Es ist erschreckend, mit welchem Selbstverständnis unsere staatlichen
Eliten ein Zweiklassenrecht bei der Altersversorgung verinnerlicht und
durchgesetzt haben. Der Gesetzgeber ist zugleich der Empfänger von
Pensionen. Über Rentenfragen sprechen bei uns öffentlich in der Regel
ausschließlich solche Personen, die davon in keiner Weise betroffen sind.
Sie haben nicht das geringste Interesse, da was zu ändern, weil sie
erheblich davon profitieren. Nicht umsonst haben Bundestag und
Länderparlamente es immer wieder abgelehnt, ihre eigene Altersversorgung
der gesetzlichen Rentenversicherung anzuvertrauen.
Adenauers Umlage
Ein anderes und ganz zentrales Problem ist der Griff des Gesetzgebers in
die Rentenkassen. Das ging schon gleich 1957 weiter, mit der willkürlichen
Umstellung auf das Umlageverfahren. Diese Umstellung war ein Manöver
Adenauers, mit dem er in erster Linie die Entlastung der öffentlichen
Haushalte bezweckt hat. Adenauer hatte das Problem mit der Versorgung von
Millionen Kriegsteilnehmern, Heimatvertriebenen, Kriegerwitwen usw. Er
wollte 57 die Wahl wieder gewinnen und hat gesagt, wir gehen jetzt weg vom
Kapitaldeckungsverfahren der Rentenversicherung, wir machen ein
Umlageverfahren. Beim Umlageverfahren werden die Einzahlungen gleich wieder
ausbezahlt. Man hat also die Rentenversicherung enteignet. Und als dann
damals im Laufe der Zeit die Rentenversicherungsträger erhebliche
Überschüsse ansammeln konnten, weil Wirtschaft und Löhne stetig nach oben
gingen, hat die Bundesregierung sich bedient.
Obwohl die versicherungsfremden Leistungen, für die wir als Versicherte ja
bezahlen mussten und müssen, nicht geringer geworden sind, sondern mehr,
wurden die ,Zuschüsse' dafür gekürzt. Diese versicherungsfremden Leistungen
gibt es seit 1957. Es wurde bewusst von Anfang an keine Buchführung über
Art und Umfang der einzelnen Leistungen gemacht - es gibt sie übrigens bis
heute nicht -, denn wenn man eine Buchführung macht, kann man ja nicht so
leicht betrügen.
Da kann sich der Bürger nur wundern. Jeder kleine Handwerker muss
genauestens Buch führen, seine Ein- und Ausgaben belegen. Es wurde erstmals
1984/85 vom damaligen Verband deutscher Rentenversicherungsträger, dem VDR,
eine Art Überschlagsrechnung gemacht, so über den Daumen, wie hoch der
Anteil an den Rentenausgaben ist. Sie kamen auf 35,4 Prozent, vermuteten
aber, dass es mehr ist! Damals war bereits der Bundeszuschuss unter 20
Prozent.
Versicherungsfremde Leistungen
Nach Definition des VDR sind alle Leistungen als versicherungsfremd
anzusehen, die nicht oder nicht in vollem Umfang durch Beiträge der
Versicherten gedeckt sind." (Zum Beispiel Kriegsfolgelasten,
Anrechnungszeiten, Zwangsarbeiterrenten, Aussiedlerrenten,
Entschädigungsleistungen für NS-Unrecht und für SED-Unrecht und andere
vereinigungsbedingte Leistungen und vieles mehr. Die Wiedervereinigung
wurde ja im Wesentlichen aus der Rentenkasse mitfinanziert. Anm. G.G.)
"Diese versicherungsfremden Leistungen, die der Rentenkasse entnommen
werden, erfüllen gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Ich stelle gar nicht
deren Wichtigkeit in Frage, sondern nur, dass sie, statt mit Steuermitteln
finanziert zu werden, systematisch der Rentenkasse zur Zahlung aufgebürdet
werden. Also von Angestellten, Arbeitern und Rentnern bezahlt werden.
Politiker, Selbständige und Beamte beteiligen sich nicht, obwohl es sich
doch um die Finanzierung von Aufgaben der Allgemeinheit handelt. Und was
nun die sogenannten Bundeszuschüsse beziehungsweise die angebliche
Rentensubvention betrifft, so ist das eine der größten Rentenlügen. Diese
Zahlungen gibt es seit 1957, sie haben die Reichszuschüsse abgelöst. Diese
Bundeszuschüsse werden fälschlicherweise vonseiten der Politik und auch von
den Medien als Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung bezeichnet.
Als Finanzspritze für die notleidende Rentenkasse. Das ist wie gesagt eine
Lüge. Es handelt sich in Wahrheit nicht um einen Zuschuss oder gar um
Subvention, sondern um eine Teilrückzahlung zuvor abgezapfter Gelder.
Und nun kommt es, der große Skandal, der immer verdeckt werden soll."
(Siehe dazu auch die "Teufelstabelle" im Internet. Anm. G.G.) "Es handelt
sich um die Plünderung der Rentenkassen. Die aufgelaufene und nicht durch
zurückgezahlte Bundesmittel gedeckte Summe ist riesig. Seit 1957 haben die
verschiedenen Bundesregierungen rund 700 Milliarden Euro inklusive 300
Milliarden Zinsen quasi veruntreut. Sie wurden zweckentfremdet, für
versicherungsfremde Leistungen aus der Rentenkasse in Anspruch genommen.
Dieses Geld schuldet die Regierung unserer Rentenkasse und die Rentner und
Beitragszahler bestehen auf Rückzahlung.
Es ist immerzu die Rede von der drohenden Pleite der Rentenkasse wegen der
demografischen Entwicklung. Diese Propaganda ist Teil des Konzepts der
systematischen Demontage des Sozialstaats. Solche Schlagworte der
Meinungsmanipulation dienen der gezielten Irreführung der Versicherten und
der Öffentlichkeit. Dafür sorgen hoch bezahlte Experten für Demografie wie
Meinhard Miegel. Sagt ihnen der was? Ein Mietmaul der
Versicherungswirtschaft in Sachen privater Altersvorsorge." (Ebenso ein
gewisser Prof. Raffelhüschen, ehemals Mitglied der Rürup-Kommission.) "Man
muss sich fragen, warum eigentlich wirkt sich der demografische Wandel nur
auf die gesetzliche Rentenversicherung aus? Tatsache ist, bei den
Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich
nachweislich nicht um die Folgen ,langfristiger demografischer
Veränderungen', sondern um die Auswirkungen der Eingriffe des Gesetzgebers
in die Rentenkasse. Wir leiden nicht unter einem demografischen Problem,
wir leiden unter einer wirtschaftspolitischen Elite, die sich bereichert.
Wir haben kein Rentnerproblem, wir haben ein Verteilungsproblem.
Dieses Problem wird uns als Mangel an Eigenverantwortung und Notwendigkeit
zum Sparen dargestellt. Jede Rentenreform hat einschneidende
Verschlechterungen zustande gebracht. Die von 1978 unter Helmut Schmidt
brachte damals schon Nullrunden. Besonders die von 1996, der zweite große
Eingriff unter Kohl, der viele hart getroffen hat, auch von unseren Leuten.
Und das war dann der Moment, da sagten wir, das kann nicht angehen, dass
manchen Leuten per Federstrich die Rente um ein Viertel gekürzt werden kann
in einem Rechtsstaat.
Und Mitte 1999 ging es dann los mit der ersten Klage, die natürlich
abgewiesen wurde, auch in der nächsten Instanz und so weiter. Und es hat
dann länger als zehn Jahre gedauert, bis wir beim BVerfG grade mal die
Verfassungsbeschwerde einreichen konnten, weil uns Sozialgericht und
Landessozialgericht vorher am steifen Arm verhungern ließen. Nach drei
Jahren habe ich mal vorsichtig angefragt, mit Hinweis auf mein Alter, na
ja.
Aber eines Tages hatten wir es geschafft, brauchten aber einen Anwalt. Sie
finden einfach keinen, der sich auskennt. Das lohnt sich für die nicht,
sich in die Materie einzuarbeiten. Und es wird ja auch bewusst verhindert,
dass man eine Sammelklage machen kann. Ich habe dann praktisch für den
Anwalt die ganzen Klagen selbst entworfen. Trotzdem war es richtig teuer.
Wir hatten zwei Beschwerden eingereicht, aber das BVerfG hat beide
Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Und wir haben jetzt
praktisch zwei Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte, die habe ich auch selber verfasst. Von der einen hörte ich
gerade, dass sie zur Bearbeitung angenommen wurde. Das ist quasi die letzte
Instanz.
Ich bin gespannt, ob die zu anderen Ergebnissen kommen, dann hätte
Deutschland nämlich ein massives Problem. Bisher ist ja die
Rechtsauffassung bei uns unerschütterlich. In einer Entscheidung vom
BVferfG zur Sache vom 1. 7. 1981 und auch vom 27. 2. 2007 - die mussten sie
annehmen, weil es eine Vorlage vom Bundessozialgericht war -, da heißt es
kategorisch, dass das Rentenversicherungsverhältnis, ,im Unterschied zum
Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen
Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität
und des sozialen Ausgleichs beruht. Daher gebührt dem Gesetzgeber auch für
Eingriffe in bestehende Rentenanwartschaften Gestaltungsfreiheit.' Der
Gestaltungsfreiheit wird ein höherer Stellenwert beigemessen als dem
Gleichheitsgrundsatz, dem Vertragsrecht und der Zweckbindung der Beiträge.
Für die Betroffenen bedeutet das, bei uns gelten für Arbeitnehmer und
Rentner nicht die gleichen Rechte wie für andere Bürger. Deshalb ist das
Gefasel vom Solidarsystem auch gegenstandslos, weil es keines gibt, wenn
die Eliten draußen bleiben.
Also dieselben Eliten, die das Zweiklassenrecht geschaffen haben und es
rechtfertigen, nehmen für sich selbst ein höherwertiges Recht in Anspruch.
Für Arbeitnehmer und Rentner hingegen wird die politische Beliebigkeit
einer Gestaltungsfreiheit zum Rechtsstaatsprinzip erhoben. Und diese
Gestaltungsfreiheit besteht in der Plünderung unserer Rentenkasse.
Der Schattenhaushalt
Es gibt seit Jahren einen Schattenhaushalt im Bund, in Höhe von 65
Milliarden Euro, der aus der Sozialversicherung der Arbeitnehmer gespeist
wird. Und die GRV-Beitragszahler müssen auch noch die Alimentation der
Politiker bezahlen, von denen sie um ihre Beiträge betrogen werden. Hier
findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Das halte ich für einen
Skandal ersten Ranges. Das BVerfG hat seit 30 Jahren nicht eine einzige
Verfassungsbeschwerde zum Rentenanspruch oder zur Rentenhöhe auch nur zur
Entscheidung angenommen. Weil es keine Aussicht auf Erfolg gibt. Sehr wahr.
Wenn es aber um die eigenen Rechte geht und um die Pensionen der Beamten,
dann schreitet das Gericht ein. Ich kann ihnen zig Fälle nennen.
Die Richter sind alle zwangsläufig abhängig bei uns, weil im Grundgesetz
keine Gewaltenteilung festgeschrieben wurde. Ist Ihnen eigentlich bewusst,
dass also eine Handvoll Politiker entscheidet, wer in der Exekutive, in der
Legislative und in der Judikative das Sagen hat? Haben Sie schon mal
verfolgt, wie ein Richter gewählt wird? Die sind sozusagen handverlesen,
bis zum Landessozialgericht macht dies das Landesjustizministerium, ab
Bundesgericht macht es der Bundesjustizminister, nach Absprache mit den
entsprechenden Leuten von SPD und Union, die abwechselnd benennen dürfen.
Die Richter unterstehen den Gerichtspräsidenten, die Beamte sind und
ihrerseits dem Justizministerium unterstehen. Richterernennung und
Dienstaufsicht erfolgt durch die Exekutive. Es ist eigentlich so, dass die
Justiz von der Regierung verwaltet wird, als wäre sie eine ihrer Behörden.
Wir sind kein Rechtsstaat! Zu dieser Überzeugung musste ich leider kommen
bei meiner Tätigkeit.
Entsprechend kann sich in Deutschland auch ein ungebremster Lobbyismus
erfolgreich überall hin ausbreiten und beliebig Einfluss nehmen. Bei der
rot-grünen Rentenreform 2000/2001, die ja eine Aushebelung des
Rentensystems war, hat die Schröder-Regierung genau gewusst, wenn sie die
Rentner schröpft und einen Zuschuss bietet, dann lassen sich die Leute
willig in eine private Altersvorsorge hineintreiben. Da gab es viele
Pressekampagnen, viele willige Helfer. Auch der Rürup mit seiner
,unabhängigen' Expertenkommission - eine treibende Kraft für die private
Altersvorsorge - hat dann Farbe bekannt und ging als Chefökonom zum
Finanzdienstleister Maschmayer. Mit Maschmayer hat ja auch die rot-grüne
Koalition - angefangen bei Schröder - engste Beziehungen gepflegt, während
sie das System vorangetrieben hat. Die FDP ist selbstverständlich ebenfalls
von der Versicherungswirtschaft gut gesteuert, wie man heute sieht."
(Noch vor der rot-grünen Rentenreform schätzten Experten der
Versicherungswirtschaft den Markt für eine private Altersvorsorge auf bis
zu 3 Billionen Mark. Die Rezeptur zur Realisierung dieses Geschäfts für die
Assekuranz-und Finanzwirtschaft stellten die Politiker her:
Rentenkürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Panikmache mit leeren
Kassen, demografischem Wandel und der bedrohlichen Langlebigkeit der
Rentner. Seit Einführung der Riester-Rente 2002 haben sich etwa 14
Millionen Bürger zu einer Versicherung verleiten lassen. Unlängst erst
wurde bekannt, dass die Renditen für die Riester-Renten auch durch Anlagen
bei Vermarktern von Streubomben erwirtschaftet werden. Anm. G.G.) .
Goldesel Riester-Sparer
"Nehmen wir den Riester. Für mich ist das also wirklich eine Katastrophe,
dass ein leitender Mitarbeiter der IG Metall - Riester war ja mal 2.
Vorsitzender - in seiner Funktion als Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung das durchgezogen hat! Aber er war eben auch Referent eines
Finanzdienstleisters und wurde dann Aufsichtsrat in einem
Versicherungskonzern, der Union Investment, größter Anbieter von
Riester-Renten. Der Herr hat inzwischen mindestens sechstellige Beträge
gekriegt, allein für Vorträge und Werbeauftritte. Und auch dieses Geld
müssen die Riester-Sparer natürlich erwirtschaften. Also die Interessen
sind ganz offensichtlich.
Es ist leider auch offensichtlich, dass die Leute nicht merken, wie sie
betrogen werden. Die Riester-Rente wird als staatlich subventionierte
Altersvorsorge dargestellt, obwohl es sich vor allem um eine
Subventionierung der Versicherungswirtschaft handelt, die der Allgemeinheit
Milliarden entzieht. Das sogenannte Finanzprodukt ist zudem teuer, von der
,Rente' gehen 20 Prozent und mehr für Gebühren, Provisionen und so weiter.
ab. Das meiste Geld kommt bei den Versicherungen an, nicht bei den
Versicherten. Außer sie werden älter als 87.
Aber die Leute lassen sich beeinflussen und haben zu Recht Angst.
Arbeitnehmer erhalten schon lange keine angemessenen Renten mehr. Der
durchschnittliche Rentenbetrag für Männer lag 2009 bei 931 Euro (für Frauen
nur bei 521 Euro), während die durchschnittliche Beamtenpension bei 2.500
Euro lag (12,8-mal pro Jahr). Seit 2003 ist die Kaufkraft der Rente
zurückgegangen, etwa um 20 bis 25 Prozent. Und es gibt keine Instanz oder
Regierungspartei, bei der auf Hilfe zu hoffen wäre. Im Gegenteil, der Jens
Spahn z. B. von der Union hetzt jetzt gerade besonders gegen Rentner, und
auch die Linkspartei will sich das Thema eigentlich vom Hals halten und
fasst die heißesten Kartoffeln gar nicht erst an.
Von den Medien ist auch keine Aufklärung zu erwarten. Im Gegenteil,
Spaltungskampagnen ,Junge gegen Alte' laufen jeden Tag. Man erzählt ihnen,
Solidarität sei nicht mehr finanzierbar. Die Jungen sollen davon abgelenkt
werden, dass jede Rentenreform vor allem sie betrifft. Jede Entwertung der
Renten entwertet auch ihre Entgeldpunkte! Wichtig ist, dass die Jungen
sehen, dass das, was man ihnen heute zusagt, das Papier nicht wert ist, auf
dem es steht."
31 Jan 2011
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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