# taz.de -- Rentenexperte Otto Teufel: Einer schuftet im Augiasstall | |
> Der Bruder von Fritz Teufel ist einer der versiertesten, kritischsten | |
> Rentenexperten Deutschlands. Seit 30 Jahren kämpft er gegen die | |
> Rechentricks der Rentengesetzgebung. | |
Bild: Otto Teufel in seinem Haus in München. | |
"Wir werden die Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern | |
und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen." | |
Altbundeskanzler G. Schröder (SPD) | |
Otto Teufel, Dipl.-Ing. im Ruhestand. Rentenexperte, Mitgründer und 2. | |
Vorsitzender der ADG e. V. (Aktion Demokratische Gemeinschaft). Er wurde | |
1935 in Ingelheim a. Rhein als viertes von sechs Kindern geboren. Der Vater | |
war Dipl.-Volkswirt, die Mutter Hausfrau. 1946 zog die Familie nach | |
Ludwigsburg, wo er das Schiller-Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur | |
arbeitete er ein Jahr, weil nicht genug Geld da war für mehrere studierende | |
Kinder. 1957/58 nahm er an der TH Stuttgart ein Studium der Elektrotechnik | |
(Nachrichtentechnik) auf und arbeitete noch 7 Monate nebenbei als | |
Werksstudent. Nach dem Diplom ging er 1963 zu Siemens nach München, war | |
zuerst im Entwicklungslabor und wechselte dann zur Vertriebsabteilung. 1969 | |
wurde er für 3 Jahre in die USA versetzt. Anschließend Rückkehr zu Siemens | |
nach München. In den letzten Jahren war er freigestellter Betriebsrat mit | |
Schwerpunkt Sozialrecht. 1996 wurde er im Rahmen eines umfangreichen | |
Personalabbaus wegrationalisiert. 1996 gründete er wegen dieser Erfahrungen | |
mit betroffenen Kollegen zusammen die ADG, ein Zusammenschluss zur | |
gemeinsamen Gegenwehr. 1999 wurde er Rentner. Otto Teufel ist verheiratet, | |
seine Frau war Sozialarbeiterin, später Hausfrau, sie haben zwei Söhne. | |
Otto Teufel bewohnt mit seiner Frau ein Reihenhaus in einem Vorort | |
Münchens. Sie bezogen es in den 70er Jahren, und noch heute ist zu sehen, | |
wie modern sie es damals eingerichtet haben. Wir folgen unserem sanften, | |
aber dynamischen Gastgeber die Treppe hinauf zu seinem Arbeitszimmer, | |
vorbei an einer schönen kleinen Dampfmaschine. Sein Arbeitszimmer wirkt mit | |
den Aktenordnern, Gesetzbüchern und Papieren auf dem Schreibtisch wie die | |
Kanzlei eines stark beschäftigten Anwalts und nicht wie der geruhsame | |
Rückzugsort eines Rentners. Hier oben studierte er das Rentenrecht und das | |
Rentenunrecht und wurde in 30 Jahren zum weithin versiertesten kritischen | |
Rentenexperten Deutschlands. Und hier schreibt er seine Anklagen, | |
Aufklärungsschriften und Vorträge. | |
Er persönlich kommt aus mit seiner Rente und hätte durchaus auch noch | |
andere Interessen. Warum also gibt er nicht einfach Ruhe? Otto Teufel sagt: | |
"Ich habe in mir so eine soziale Ader, ein ,Gen' gegen Ungerechtigkeit, | |
genau wie mein Bruder, nur bei ihm ist es viel früher zum Tragen gekommen." | |
Er ist der Bruder von Fritz Teufel. Von der Öffentlichkeit kaum | |
wahrgenommen, existiert eine zunehmend ungemütlicher werdende | |
außerparlamentarische Opposition aus kritischen Alten, die sich vernetzt | |
und versucht, öffentlich aufzuklären. Otto Teufel ist einer von ihnen. | |
Dass aus Otto Teufel, dem braven Ingenieur und Familienvater, letztlich | |
eine Art Staatsfeind wurde, ein unerbittlicher Verfechter bürgerlicher | |
Rechte und radikaler Ankläger politischer Willkür, zeigt, wie sehr das Maß | |
des Zumutbaren überschritten ist. Otto Teufel hat sich seit Mitte der 80er | |
Jahre akribischer als jeder bezahlte Beamte in die Materie | |
hineingearbeitet, hat die Finten und Rechentricks, die Lügen und | |
Propagandafeldzüge der Lobbyisten, der Politiker und Medien entlarvt. Mit | |
fast 75 hat er als Rentenexperte der Aktion Demokratische Gemeinschaft alle | |
Hände voll zu tun, er reist herum, hält Vorträge, diskutiert mit Vertretern | |
der Gegenseite. | |
Otto Teufel erzählt vom Hergang der Dinge: "Also, seit Anfang der 80er | |
Jahre eigentlich, nach der ersten großen Rentenreform von 1978, beschäftigt | |
mich die Sache. Und in den 90er Jahren mussten dann wegen Personalabbau | |
viele Leute ab 53 bei uns in der Firma in München den Hut nehmen. Dabei | |
wurde ihnen von einem Rentenexperten errechnet, dass sie ab 60 eine Rente | |
in einer gewissen Höhe bekommen würden. Das ging praktisch in die | |
Gesamtberechnung mit ein. Dann kam die Regierung Kohl mit gleich zwei | |
Rentenreformen, die praktisch Rentenansprüche dieser Leute um bis zu einem | |
Drittel abgewertet haben. Durch einen rückwirkenden Eingriff! Die Leute | |
konnten ihre Regelungen mit der Firma nicht mehr rückgängig machen, auch | |
vor dem Bundesarbeitsgericht hätte man keine Hilfe gefunden. Sie gingen | |
baden. Wir waren der Meinung, das kann eigentlich in einem Rechtsstaat | |
nicht sein. Da haben wir gesagt, o.k., wir schließen uns zusammen in einem | |
Verein, damit wir das gemeinsam stemmen, damit wir ein oder zwei Verfahren | |
bis zum Bundesverfassungsgericht durchbringen. | |
Als dann 1999 die Ersten in Rente gegangen sind, haben wir gegen diesen | |
rückwirkenden Eingriff ins Rentenrecht geklagt. Und damit fing ein | |
ununterbrochenes Anrennen gegen die Wand an. Zuerst Widerspruch, | |
Widerspruchsbescheid, Klage beim Sozialgericht. Das beschied, die BfA - | |
seit 2005 Deutsche Rentenversicherung - hat das Gesetz richtig angewendet. | |
Das ist praktisch alles mit dem Grundgesetz vereinbar, hat das | |
Bundesverfassungsgericht 1981 schon mal entschieden. Allmählich haben wir | |
mitgekriegt, was da bereits gelaufen ist. Wir sind ja alle keine Juristen. | |
Und waren um so erstaunter, was das BVerfG in seinem Urteil sinngemäß | |
gesagt hat: dass für Arbeitnehmer und Rentner, wenn es um die | |
Altersversorgung geht, nicht die gleichen Rechte gelten wie für andere | |
Bürger, sprich Mitglieder der berufsständischen Versorgung oder für | |
Beamten. | |
Die Entscheidung, dass wir kein einheitliches System haben, hat die | |
Bundesregierung nach dem Zeiten Weltkrieg getroffen. Das Verwaltungswesen, | |
die höheren Beamten, die ganze Justiz hat praktisch eins zu eins | |
weitergemacht. Und beim Adenauer war ja jeder quasi entnazifiziert, | |
automatisch, wenn er CDU-Mitglied war. Die haben es 1948 auch geschafft, | |
gegen den ursprünglichen Willen der Alliierten, dass sie ins Grundgesetz in | |
Artikel 33 Abs. 5 reingeschrieben haben: ,Das Recht des öffentlichen | |
Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des | |
Berufsbeamtentums zu regeln.' Man geht, auch nach 1945, auf den Feudalstaat | |
des 19. Jahrhunderts zurück. Oder was heißt ,hergebracht'? Hitlers ,Gesetz | |
zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums' von 33 kann ja wohl nicht | |
gemeint sein? | |
Klar ist lediglich, dass der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes durch | |
diesen Artikel relativiert wird. Das hat weitreichende Folgen. In diesem | |
Zusammenhang wird auch verständlich, warum es die Parteien verhindert | |
haben, dass wir, so wie es Art. 146 Grundgesetz vorsah, eine gemeinsame | |
neue Verfassung kriegen nach der Wiedervereinigung. Das hätte die | |
Parteiendiktatur beendet und das ,hergebrachte' Berufsbeamtentum | |
abgeschafft. | |
Zweiklassengesellschaft | |
Tatsache aber ist, es herrscht eine Zweiklassengesellschaft bei der | |
Altersversorgung in Deutschland, was so im Grundgesetz nie vorgesehen war. | |
Grund dafür ist die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen | |
Altersversorgungssysteme (Rentenversicherung, berufsständische Versorgung, | |
Beamtenversorgung). Arbeitnehmer erhalten ihre Altersversorgung als Rente, | |
für die sie ins Solidarsystem der Rentenkasse erhebliche Beträge einbezahlt | |
haben. Beamte erhalten im Alter angemessene Pensionen aus öffentlichen | |
Mitteln, für die sie keinerlei Beiträge ins Solidarsystem bezahlt haben. | |
Eine Mindestforderung ist, es müssen endlich alle Bürger, ohne Ausnahme, in | |
ein wirkliches Solidarsystem eingebunden werden. | |
Denn wir haben kein Solidarsystem. Es gibt keinen einzigen demokratischen | |
Rechtsstaat in Europa, bei dem nicht die Rentenversicherung einheitlich | |
geregelt ist. Nur Deutschland hat eine Arbeitnehmerversicherung für | |
abhängig Beschäftigte, während Dänemark, Finnland, die Niederlande, | |
Schweden und die Schweiz eine Volksversicherung für alle ihre Bürger haben. | |
Belgien, Frankreich, Luxemburg, Griechenland, Großbritannien, Irland, | |
Italien, Österreich, Portugal und Spanien haben eine | |
Erwerbstätigenversicherung für alle Erwerbstätigen. | |
Es ist erschreckend, mit welchem Selbstverständnis unsere staatlichen | |
Eliten ein Zweiklassenrecht bei der Altersversorgung verinnerlicht und | |
durchgesetzt haben. Der Gesetzgeber ist zugleich der Empfänger von | |
Pensionen. Über Rentenfragen sprechen bei uns öffentlich in der Regel | |
ausschließlich solche Personen, die davon in keiner Weise betroffen sind. | |
Sie haben nicht das geringste Interesse, da was zu ändern, weil sie | |
erheblich davon profitieren. Nicht umsonst haben Bundestag und | |
Länderparlamente es immer wieder abgelehnt, ihre eigene Altersversorgung | |
der gesetzlichen Rentenversicherung anzuvertrauen. | |
Adenauers Umlage | |
Ein anderes und ganz zentrales Problem ist der Griff des Gesetzgebers in | |
die Rentenkassen. Das ging schon gleich 1957 weiter, mit der willkürlichen | |
Umstellung auf das Umlageverfahren. Diese Umstellung war ein Manöver | |
Adenauers, mit dem er in erster Linie die Entlastung der öffentlichen | |
Haushalte bezweckt hat. Adenauer hatte das Problem mit der Versorgung von | |
Millionen Kriegsteilnehmern, Heimatvertriebenen, Kriegerwitwen usw. Er | |
wollte 57 die Wahl wieder gewinnen und hat gesagt, wir gehen jetzt weg vom | |
Kapitaldeckungsverfahren der Rentenversicherung, wir machen ein | |
Umlageverfahren. Beim Umlageverfahren werden die Einzahlungen gleich wieder | |
ausbezahlt. Man hat also die Rentenversicherung enteignet. Und als dann | |
damals im Laufe der Zeit die Rentenversicherungsträger erhebliche | |
Überschüsse ansammeln konnten, weil Wirtschaft und Löhne stetig nach oben | |
gingen, hat die Bundesregierung sich bedient. | |
Obwohl die versicherungsfremden Leistungen, für die wir als Versicherte ja | |
bezahlen mussten und müssen, nicht geringer geworden sind, sondern mehr, | |
wurden die ,Zuschüsse' dafür gekürzt. Diese versicherungsfremden Leistungen | |
gibt es seit 1957. Es wurde bewusst von Anfang an keine Buchführung über | |
Art und Umfang der einzelnen Leistungen gemacht - es gibt sie übrigens bis | |
heute nicht -, denn wenn man eine Buchführung macht, kann man ja nicht so | |
leicht betrügen. | |
Da kann sich der Bürger nur wundern. Jeder kleine Handwerker muss | |
genauestens Buch führen, seine Ein- und Ausgaben belegen. Es wurde erstmals | |
1984/85 vom damaligen Verband deutscher Rentenversicherungsträger, dem VDR, | |
eine Art Überschlagsrechnung gemacht, so über den Daumen, wie hoch der | |
Anteil an den Rentenausgaben ist. Sie kamen auf 35,4 Prozent, vermuteten | |
aber, dass es mehr ist! Damals war bereits der Bundeszuschuss unter 20 | |
Prozent. | |
Versicherungsfremde Leistungen | |
Nach Definition des VDR sind alle Leistungen als versicherungsfremd | |
anzusehen, die nicht oder nicht in vollem Umfang durch Beiträge der | |
Versicherten gedeckt sind." (Zum Beispiel Kriegsfolgelasten, | |
Anrechnungszeiten, Zwangsarbeiterrenten, Aussiedlerrenten, | |
Entschädigungsleistungen für NS-Unrecht und für SED-Unrecht und andere | |
vereinigungsbedingte Leistungen und vieles mehr. Die Wiedervereinigung | |
wurde ja im Wesentlichen aus der Rentenkasse mitfinanziert. Anm. G.G.) | |
"Diese versicherungsfremden Leistungen, die der Rentenkasse entnommen | |
werden, erfüllen gesamtgesellschaftliche Aufgaben. Ich stelle gar nicht | |
deren Wichtigkeit in Frage, sondern nur, dass sie, statt mit Steuermitteln | |
finanziert zu werden, systematisch der Rentenkasse zur Zahlung aufgebürdet | |
werden. Also von Angestellten, Arbeitern und Rentnern bezahlt werden. | |
Politiker, Selbständige und Beamte beteiligen sich nicht, obwohl es sich | |
doch um die Finanzierung von Aufgaben der Allgemeinheit handelt. Und was | |
nun die sogenannten Bundeszuschüsse beziehungsweise die angebliche | |
Rentensubvention betrifft, so ist das eine der größten Rentenlügen. Diese | |
Zahlungen gibt es seit 1957, sie haben die Reichszuschüsse abgelöst. Diese | |
Bundeszuschüsse werden fälschlicherweise vonseiten der Politik und auch von | |
den Medien als Zuschüsse an die gesetzliche Rentenversicherung bezeichnet. | |
Als Finanzspritze für die notleidende Rentenkasse. Das ist wie gesagt eine | |
Lüge. Es handelt sich in Wahrheit nicht um einen Zuschuss oder gar um | |
Subvention, sondern um eine Teilrückzahlung zuvor abgezapfter Gelder. | |
Und nun kommt es, der große Skandal, der immer verdeckt werden soll." | |
(Siehe dazu auch die "Teufelstabelle" im Internet. Anm. G.G.) "Es handelt | |
sich um die Plünderung der Rentenkassen. Die aufgelaufene und nicht durch | |
zurückgezahlte Bundesmittel gedeckte Summe ist riesig. Seit 1957 haben die | |
verschiedenen Bundesregierungen rund 700 Milliarden Euro inklusive 300 | |
Milliarden Zinsen quasi veruntreut. Sie wurden zweckentfremdet, für | |
versicherungsfremde Leistungen aus der Rentenkasse in Anspruch genommen. | |
Dieses Geld schuldet die Regierung unserer Rentenkasse und die Rentner und | |
Beitragszahler bestehen auf Rückzahlung. | |
Es ist immerzu die Rede von der drohenden Pleite der Rentenkasse wegen der | |
demografischen Entwicklung. Diese Propaganda ist Teil des Konzepts der | |
systematischen Demontage des Sozialstaats. Solche Schlagworte der | |
Meinungsmanipulation dienen der gezielten Irreführung der Versicherten und | |
der Öffentlichkeit. Dafür sorgen hoch bezahlte Experten für Demografie wie | |
Meinhard Miegel. Sagt ihnen der was? Ein Mietmaul der | |
Versicherungswirtschaft in Sachen privater Altersvorsorge." (Ebenso ein | |
gewisser Prof. Raffelhüschen, ehemals Mitglied der Rürup-Kommission.) "Man | |
muss sich fragen, warum eigentlich wirkt sich der demografische Wandel nur | |
auf die gesetzliche Rentenversicherung aus? Tatsache ist, bei den | |
Finanzierungsproblemen der gesetzlichen Rentenversicherung handelt es sich | |
nachweislich nicht um die Folgen ,langfristiger demografischer | |
Veränderungen', sondern um die Auswirkungen der Eingriffe des Gesetzgebers | |
in die Rentenkasse. Wir leiden nicht unter einem demografischen Problem, | |
wir leiden unter einer wirtschaftspolitischen Elite, die sich bereichert. | |
Wir haben kein Rentnerproblem, wir haben ein Verteilungsproblem. | |
Dieses Problem wird uns als Mangel an Eigenverantwortung und Notwendigkeit | |
zum Sparen dargestellt. Jede Rentenreform hat einschneidende | |
Verschlechterungen zustande gebracht. Die von 1978 unter Helmut Schmidt | |
brachte damals schon Nullrunden. Besonders die von 1996, der zweite große | |
Eingriff unter Kohl, der viele hart getroffen hat, auch von unseren Leuten. | |
Und das war dann der Moment, da sagten wir, das kann nicht angehen, dass | |
manchen Leuten per Federstrich die Rente um ein Viertel gekürzt werden kann | |
in einem Rechtsstaat. | |
Und Mitte 1999 ging es dann los mit der ersten Klage, die natürlich | |
abgewiesen wurde, auch in der nächsten Instanz und so weiter. Und es hat | |
dann länger als zehn Jahre gedauert, bis wir beim BVerfG grade mal die | |
Verfassungsbeschwerde einreichen konnten, weil uns Sozialgericht und | |
Landessozialgericht vorher am steifen Arm verhungern ließen. Nach drei | |
Jahren habe ich mal vorsichtig angefragt, mit Hinweis auf mein Alter, na | |
ja. | |
Aber eines Tages hatten wir es geschafft, brauchten aber einen Anwalt. Sie | |
finden einfach keinen, der sich auskennt. Das lohnt sich für die nicht, | |
sich in die Materie einzuarbeiten. Und es wird ja auch bewusst verhindert, | |
dass man eine Sammelklage machen kann. Ich habe dann praktisch für den | |
Anwalt die ganzen Klagen selbst entworfen. Trotzdem war es richtig teuer. | |
Wir hatten zwei Beschwerden eingereicht, aber das BVerfG hat beide | |
Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Und wir haben jetzt | |
praktisch zwei Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte, die habe ich auch selber verfasst. Von der einen hörte ich | |
gerade, dass sie zur Bearbeitung angenommen wurde. Das ist quasi die letzte | |
Instanz. | |
Ich bin gespannt, ob die zu anderen Ergebnissen kommen, dann hätte | |
Deutschland nämlich ein massives Problem. Bisher ist ja die | |
Rechtsauffassung bei uns unerschütterlich. In einer Entscheidung vom | |
BVferfG zur Sache vom 1. 7. 1981 und auch vom 27. 2. 2007 - die mussten sie | |
annehmen, weil es eine Vorlage vom Bundessozialgericht war -, da heißt es | |
kategorisch, dass das Rentenversicherungsverhältnis, ,im Unterschied zum | |
Privatversicherungsverhältnis von Anfang an nicht auf dem reinen | |
Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität | |
und des sozialen Ausgleichs beruht. Daher gebührt dem Gesetzgeber auch für | |
Eingriffe in bestehende Rentenanwartschaften Gestaltungsfreiheit.' Der | |
Gestaltungsfreiheit wird ein höherer Stellenwert beigemessen als dem | |
Gleichheitsgrundsatz, dem Vertragsrecht und der Zweckbindung der Beiträge. | |
Für die Betroffenen bedeutet das, bei uns gelten für Arbeitnehmer und | |
Rentner nicht die gleichen Rechte wie für andere Bürger. Deshalb ist das | |
Gefasel vom Solidarsystem auch gegenstandslos, weil es keines gibt, wenn | |
die Eliten draußen bleiben. | |
Also dieselben Eliten, die das Zweiklassenrecht geschaffen haben und es | |
rechtfertigen, nehmen für sich selbst ein höherwertiges Recht in Anspruch. | |
Für Arbeitnehmer und Rentner hingegen wird die politische Beliebigkeit | |
einer Gestaltungsfreiheit zum Rechtsstaatsprinzip erhoben. Und diese | |
Gestaltungsfreiheit besteht in der Plünderung unserer Rentenkasse. | |
Der Schattenhaushalt | |
Es gibt seit Jahren einen Schattenhaushalt im Bund, in Höhe von 65 | |
Milliarden Euro, der aus der Sozialversicherung der Arbeitnehmer gespeist | |
wird. Und die GRV-Beitragszahler müssen auch noch die Alimentation der | |
Politiker bezahlen, von denen sie um ihre Beiträge betrogen werden. Hier | |
findet eine Umverteilung von unten nach oben statt. Das halte ich für einen | |
Skandal ersten Ranges. Das BVerfG hat seit 30 Jahren nicht eine einzige | |
Verfassungsbeschwerde zum Rentenanspruch oder zur Rentenhöhe auch nur zur | |
Entscheidung angenommen. Weil es keine Aussicht auf Erfolg gibt. Sehr wahr. | |
Wenn es aber um die eigenen Rechte geht und um die Pensionen der Beamten, | |
dann schreitet das Gericht ein. Ich kann ihnen zig Fälle nennen. | |
Die Richter sind alle zwangsläufig abhängig bei uns, weil im Grundgesetz | |
keine Gewaltenteilung festgeschrieben wurde. Ist Ihnen eigentlich bewusst, | |
dass also eine Handvoll Politiker entscheidet, wer in der Exekutive, in der | |
Legislative und in der Judikative das Sagen hat? Haben Sie schon mal | |
verfolgt, wie ein Richter gewählt wird? Die sind sozusagen handverlesen, | |
bis zum Landessozialgericht macht dies das Landesjustizministerium, ab | |
Bundesgericht macht es der Bundesjustizminister, nach Absprache mit den | |
entsprechenden Leuten von SPD und Union, die abwechselnd benennen dürfen. | |
Die Richter unterstehen den Gerichtspräsidenten, die Beamte sind und | |
ihrerseits dem Justizministerium unterstehen. Richterernennung und | |
Dienstaufsicht erfolgt durch die Exekutive. Es ist eigentlich so, dass die | |
Justiz von der Regierung verwaltet wird, als wäre sie eine ihrer Behörden. | |
Wir sind kein Rechtsstaat! Zu dieser Überzeugung musste ich leider kommen | |
bei meiner Tätigkeit. | |
Entsprechend kann sich in Deutschland auch ein ungebremster Lobbyismus | |
erfolgreich überall hin ausbreiten und beliebig Einfluss nehmen. Bei der | |
rot-grünen Rentenreform 2000/2001, die ja eine Aushebelung des | |
Rentensystems war, hat die Schröder-Regierung genau gewusst, wenn sie die | |
Rentner schröpft und einen Zuschuss bietet, dann lassen sich die Leute | |
willig in eine private Altersvorsorge hineintreiben. Da gab es viele | |
Pressekampagnen, viele willige Helfer. Auch der Rürup mit seiner | |
,unabhängigen' Expertenkommission - eine treibende Kraft für die private | |
Altersvorsorge - hat dann Farbe bekannt und ging als Chefökonom zum | |
Finanzdienstleister Maschmayer. Mit Maschmayer hat ja auch die rot-grüne | |
Koalition - angefangen bei Schröder - engste Beziehungen gepflegt, während | |
sie das System vorangetrieben hat. Die FDP ist selbstverständlich ebenfalls | |
von der Versicherungswirtschaft gut gesteuert, wie man heute sieht." | |
(Noch vor der rot-grünen Rentenreform schätzten Experten der | |
Versicherungswirtschaft den Markt für eine private Altersvorsorge auf bis | |
zu 3 Billionen Mark. Die Rezeptur zur Realisierung dieses Geschäfts für die | |
Assekuranz-und Finanzwirtschaft stellten die Politiker her: | |
Rentenkürzungen, Erhöhung des Renteneintrittsalters, Panikmache mit leeren | |
Kassen, demografischem Wandel und der bedrohlichen Langlebigkeit der | |
Rentner. Seit Einführung der Riester-Rente 2002 haben sich etwa 14 | |
Millionen Bürger zu einer Versicherung verleiten lassen. Unlängst erst | |
wurde bekannt, dass die Renditen für die Riester-Renten auch durch Anlagen | |
bei Vermarktern von Streubomben erwirtschaftet werden. Anm. G.G.) . | |
Goldesel Riester-Sparer | |
"Nehmen wir den Riester. Für mich ist das also wirklich eine Katastrophe, | |
dass ein leitender Mitarbeiter der IG Metall - Riester war ja mal 2. | |
Vorsitzender - in seiner Funktion als Bundesminister für Arbeit und | |
Sozialordnung das durchgezogen hat! Aber er war eben auch Referent eines | |
Finanzdienstleisters und wurde dann Aufsichtsrat in einem | |
Versicherungskonzern, der Union Investment, größter Anbieter von | |
Riester-Renten. Der Herr hat inzwischen mindestens sechstellige Beträge | |
gekriegt, allein für Vorträge und Werbeauftritte. Und auch dieses Geld | |
müssen die Riester-Sparer natürlich erwirtschaften. Also die Interessen | |
sind ganz offensichtlich. | |
Es ist leider auch offensichtlich, dass die Leute nicht merken, wie sie | |
betrogen werden. Die Riester-Rente wird als staatlich subventionierte | |
Altersvorsorge dargestellt, obwohl es sich vor allem um eine | |
Subventionierung der Versicherungswirtschaft handelt, die der Allgemeinheit | |
Milliarden entzieht. Das sogenannte Finanzprodukt ist zudem teuer, von der | |
,Rente' gehen 20 Prozent und mehr für Gebühren, Provisionen und so weiter. | |
ab. Das meiste Geld kommt bei den Versicherungen an, nicht bei den | |
Versicherten. Außer sie werden älter als 87. | |
Aber die Leute lassen sich beeinflussen und haben zu Recht Angst. | |
Arbeitnehmer erhalten schon lange keine angemessenen Renten mehr. Der | |
durchschnittliche Rentenbetrag für Männer lag 2009 bei 931 Euro (für Frauen | |
nur bei 521 Euro), während die durchschnittliche Beamtenpension bei 2.500 | |
Euro lag (12,8-mal pro Jahr). Seit 2003 ist die Kaufkraft der Rente | |
zurückgegangen, etwa um 20 bis 25 Prozent. Und es gibt keine Instanz oder | |
Regierungspartei, bei der auf Hilfe zu hoffen wäre. Im Gegenteil, der Jens | |
Spahn z. B. von der Union hetzt jetzt gerade besonders gegen Rentner, und | |
auch die Linkspartei will sich das Thema eigentlich vom Hals halten und | |
fasst die heißesten Kartoffeln gar nicht erst an. | |
Von den Medien ist auch keine Aufklärung zu erwarten. Im Gegenteil, | |
Spaltungskampagnen ,Junge gegen Alte' laufen jeden Tag. Man erzählt ihnen, | |
Solidarität sei nicht mehr finanzierbar. Die Jungen sollen davon abgelenkt | |
werden, dass jede Rentenreform vor allem sie betrifft. Jede Entwertung der | |
Renten entwertet auch ihre Entgeldpunkte! Wichtig ist, dass die Jungen | |
sehen, dass das, was man ihnen heute zusagt, das Papier nicht wert ist, auf | |
dem es steht." | |
31 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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