# taz.de -- Repression im Iran: Der Staatsfeind ist ein Künstler | |
> Eineinhalb Jahre nach der "grünen Revolution" will das Regime vor allem | |
> mit Repression die Kontrolle zurückgewinnen. Die Attacken gelten | |
> verstärkt den Kulturschaffenden. | |
Bild: Für alte Hollywood-Filme darf plakatiert werden, aber einheimische Kultu… | |
Eine sogenannte "Denkfabrik für sanfte Sicherheit" im Iran hat eine | |
überraschende Entdeckung gemacht: Nicht die Protestdemonstrationen im | |
eigenen Land oder ausländische Wirtschaftssanktionen und Kriegsdrohungen | |
seien die eigentliche Gefahr für die Existenz der Islamischen Republik. Es | |
ist die Kultur, es sind die Künstler, Schriftsteller, Filmemacher, | |
Journalisten, die wie eine Schar von Viren, unauffällig und | |
unkontrollierbar, sich mit immer größerem Tempo verbreiten und das ganze | |
Land mit westlicher Dekadenz verseuchen. Ausländische Mächte seien in | |
Zusammenarbeit mit einheimischen Lakaien am Werk, um still und heimlich den | |
Gottesstaat zu unterhöhlen und eine "sanfte Revolution" herbeizuführen. | |
Nun hat die vermutlich im Auftrag des Ministeriums für islamische Führung | |
arbeitende "Denkfabrik" in einer 63-seitigen Broschüre mit dem Titel "Das | |
bunte Geflüster" das Ergebnis ihrer Recherchen zum internen Gebrauch der | |
Regierung und der Sicherheitsdienste vorgelegt. Konkret wird der iranische | |
Buchmarkt unter die Lupe genommen. "Die Ereignisse nach den | |
Präsidentschaftswahlen (Juni 2009) und die Geständnisse der Angeklagten | |
haben eindeutig gezeigt, dass die Islamische Republik seit ihrer Gründung | |
und insbesondere im vergangenen Jahrzehnt mit einer neuartigen Form | |
feindlicher Angriffe konfrontiert worden ist", heißt es in der Einleitung. | |
Schlagworte wie "sanfter Umsturz" und "samtene Revolution" hätten in die | |
politische Literatur Einzug gefunden. Nahezu täglich tauchten neue | |
Varianten einer von langer Hand geplanten Strategie des Umsturzes auf. | |
Selbstkritisch gestehen die Autoren, die Bedeutung dieser Umsturzstrategie | |
nicht hoch genug eingeschätzt und es versäumt zu haben, systematisch | |
dagegen vorzugehen. Man habe sich zu sehr auf politische Aktivitäten | |
konzentriert und kaum wahrgenommen, was sich auf dem Gebiet des Theaters, | |
der Musik, des Films und der Literatur abgespielt habe. Am deutlichsten | |
lasse sich die Entwicklung auf dem Buchmarkt beobachten. | |
Als Beispiel erwähnt die Broschüre ein Buch mit dem Titel: | |
"Zivilgesellschaft, ziviler Kampf" von Gene Sharp und Robert Helvey, ins | |
Persische übersetzt von Mehdi Kalantarzadeh. Das Buch, das in allen | |
Buchhandlungen verkauft und auf Ausstellungen offiziell präsentiert worden | |
sei, sei ein unüberhörbares Warnsignal gewesen. Dennoch habe es nicht | |
vermocht, "die Verantwortlichen aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken". | |
Was die nun aufgewachten Denkfabrikanten für Pläne gegen Kulturschaffende | |
schmieden, lässt nichts Gutes erahnen. Zwar ist die seit Jahrzehnten | |
gepflegte Feindschaft der Gottesmänner gegen kritische Künstler, | |
Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle hinlänglich bekannt. Schon | |
im ersten Jahr nach Gründung der Islamischen Republik erließ | |
Revolutionsführer Ajatollah Chomeini wutentbrannt den Aufruf gegen | |
kritische Journalisten: "Brecht ihre Federn!" Hunderte Zeitungen und | |
Zeitschriften wurden verboten, Verlage und Buchhandlungen in Brand | |
gesteckt, Dutzende Kulturschaffende zu langjährigen Haftstrafen oder zum | |
Tode verurteilt. | |
Der populäre Dichter Said Soltanpur, der das politische Straßentheater in | |
den Iran eingeführt hat, wurde während seiner eigenen Hochzeitsfeier | |
verhaftet und wenige Tage danach hingerichtet. Fortan sollte eine im Rahmen | |
des Ministeriums für islamische Führung eingerichtete Zensurbehörde für die | |
"Islamisierung der Kultur" sorgen. | |
Schreie des Schweigens | |
Ende der neunziger Jahre wurden mit der Regierungsübernahme durch Reformer | |
unter Präsident Mohammed Chatami die Zensurmaßnahmen merklich gelockert. | |
Das genügte schon für einen neuen kulturellen Aufschwung. Kunst und | |
Literatur erlebten eine neue Blüte. Der iranische Film erlangte | |
internationales Ansehen. | |
Dem wollten die Radikalen Einhalt gebieten. Mordanschläge auf | |
Intellektuelle und Schriftsteller, als "Kettenmorde" bekannt, sollten | |
Kritiker das Fürchten lehren. Das Ehepaar Foruhar wurde im eigenen Haus | |
überfallen und bestialisch ermordet. Die Schriftsteller Mohammed Mochtari | |
und Mohammed Jafar Puyandeh sowie der Journalist Ebrahim Zalzadeh wurden | |
entführt und getötet. Irgendwo außerhalb der Stadt fand man ihre Leichen. | |
Mit der Machtübernahme der Radikalen mit Mahmud Ahmadinedschad an der | |
Spitze 2005 wurde der Kampf gegen das kritische, freie Denken wieder | |
verschärft aufgenommen. Revolutionsführer Ali Chamenei beklagte den Einzug | |
des westlichen Gedankenguts, des säkularen und liberalen Denkens an den | |
Universitäten und forderte eine konsequente Islamisierung der Lehrpläne und | |
Lehrbücher, insbesondere für die Geisteswissenschaften. Es folgte eine | |
gründliche Säuberung der Studenten. Hunderte Professoren wurden in den | |
Ruhestand geschickt, darunter der Rechtswissenschaftler Mohammed Reza | |
Bigdel, der Politikwissenschaftler Abdollah Ramesansadeh, der Soziologe | |
Esfandiar Solghadr. Zudem wurde beschlossen, Universitäten und Schulen | |
unter die Kontrolle der Geistlichkeit zu stellen. Tausende Geistliche | |
sollten die Islamisierung des Lehrbetriebs rasch vorantreiben. | |
Eine neue Phase der Repressionen begann im Zuge der Unruhen von 2009. Die | |
fantasievollen Slogans, Plakate, Lieder und Spots bei den Protesten, die | |
millionenfach durch das Internet weltweit verbreitet wurden, schreckten die | |
Staatsführung auf. "Hört, wie laut die Schreie des Schweigens sind", heißt | |
es in einem Lied. | |
Wie war es möglich, dass es den Gottesmännern in den drei Jahrzehnten | |
Islamischer Republik nicht gelungen war, ihre Vorstellung von Kultur und | |
Moral dem Volk und insbesondere der Jugend aufzuzwingen? Trotz aller | |
Maßnahmen hatte sich fast unbemerkt von ihnen eine Lebenshaltung | |
durchgesetzt, die ihnen gänzlich fremd war. Was sollten die radikalen | |
Islamisten mit Rap und Pop-Musik anfangen? Es musste rasch gehandelt | |
werden. Massenfestnahmen und drakonische Strafmaßnahmen sollten dem Treiben | |
ein Ende setzen. | |
Zwanzig Jahre Berufsverbot | |
Der international preisgekrönte Filmemacher Jafar Panahi zum Beispiel wurde | |
zu sechs Jahren Haft und zwanzig Jahren Berufsverbot verurteilt, weil er | |
einen Film über die Unruhen von 2009 geplant hatte. Sein Kollege Mohammed | |
Rasoulow erhielt dieselbe Strafe. Die Journalistin Schiwa Nasar-Ahrari und | |
der Journalist Emadeddin Baghi wurden ebenfalls mit jeweils sechs Jahren | |
Gefängnis bestraft. Viele andere erhielten ähnliche Urteile. | |
Künstler und Autoren, die nicht bereit sind, sich dem Diktat der | |
Staatsführung zu unterwerfen, sollen entweder fortan schweigen oder das | |
Land verlassen. Tatsächlich sind in den letzten Jahren mehrere tausend | |
Journalisten und Kulturschaffende ins Exil gegangen. Der bekannte | |
Journalist Akbar Gandji, die Filmemacher Mohsen Makhmalbaf und Abbas | |
Kiarostami, der Islamforscher und Philosoph Abdolkarim Sorousch oder der | |
kritische Geistliche Mohsen Kadiwar leben inzwischen im Exil. | |
Auf dem Buchmarkt findet man immer weniger kritische Schriften. Hunderte, | |
gar tausende Manuskripte liegen seit Monaten, manche sogar seit Jahren in | |
der Zensurbehörde. Zahlreiche Verlage sind inzwischen ruiniert, | |
Buchhandlungen mussten schließen. Es gibt kaum noch kritische Autoren, die | |
durch Schreiben ihren Unterhalt verdienen können. | |
All dies scheint aber den Denkfabrikanten nicht genug. Sie nennen | |
exemplarisch sieben Verlage, darunter Tscheschmeh, Achtaran und | |
Roschangaran mit jeweils mehreren Autoren, die angeblich an dem Plan einer | |
samtenen Revolution aktiv beteiligt sein sollen. Es handelt sich um | |
bekannte, regierungsunabhängige Verlage, die dank bisheriger | |
Vorsichtsmaßnahmen, Selbstzensur und Kompromissbereitschaft noch existieren | |
können. | |
Zu den Autoren, die namentlich genannt werden, zählen Mahmud Doulatabadi, | |
Ali Darwischian und Simin Behbahani, die zu den populärsten des Landes | |
gehören. Die Verfasser der Broschüre haben einzelne Bücher aus jedem der | |
sieben Verlage recherchiert, wie zum Beispiel das Buch "Das Weltende liegt | |
nah" von Ahmad Sadri. Der Verfasser sei ein Atheist, heißt es in der | |
Broschüre, weil er von einer Welt schwärme, in der alle Menschen, | |
"unabhängig von ihrem Glauben und ihren Neigungen, durch Dialog und | |
gegenseitigen Kompromiss die Probleme demokratisch lösen und ohne | |
Ausgrenzungen und Hegemoniebestrebungen sich gemeinsam für ein | |
fortschrittliches, modernes und demokratisches Iran einsetzen." | |
Sadri sei auch eindeutig gegen den Revolutionsführer, behauptet die | |
Broschüre, denn er kritisiere die "ideologiebehaftete Politik und Planung" | |
und werfe der Staatsführung vor, "nicht kompromissbereit" zu sein. "Sie | |
wollen nicht akzeptieren, dass sie ihre Ideale und Vorstellungen reduzieren | |
und mit der Realität in Einklang bringen müssen", wird Sadri zitiert. | |
Dem Schriftsteller Ehsam Noruzi werden umstürzlerische Absichten | |
unterstellt, weil er schreibt: "In dieser Stadt musst du als Erstes lernen, | |
deine Träume zu vergessen. Denn was du im wachen Zustand siehst, ist die | |
Wirklichkeit deiner Albträume. Wenn du etwas anderes suchst, musst du dich | |
unter die Erde begeben, zu den Gräbern." | |
Dem Verlag Tscheschmeh, der unter anderem die Werke einiger populärer | |
Autoren wie die von Mahmud Dolatabadi verlegt, der auch in Deutschland | |
bekannt ist, wird in der Broschüre vorgeworfen, in einer dem Verlag | |
gehörenden Buchhandlung Sitzungen mit Autoren abgehalten zu haben, auf | |
denen über Zensur, freie Meinungsäußerung und Probleme des Verlagswesens | |
gesprochen worden sei. Außerdem sei der Verleger im Vorstand des Vereins | |
der Verleger und Buchhändler und pflege Kontakt zum iranischen | |
Schriftstellerverband! Auch dem Frauenverlag von Schahla Lahidji wird | |
Mitwirkung bei der Vorbereitung einer samtenen Revolution unterstellt, weil | |
er feministisches Gedankengut verbreite und sich hauptsächlich den Rechten | |
der Frauen widme! | |
Die Broschüre "Das bunte Geflüster" ist eine Aufforderung an die Justiz, zu | |
handeln, ehe es zu spät ist. Für die Autoren und die Verleger bedeutet sie | |
eine ernste Gefahr, die sie nur abwenden können, wenn sie fortan schweigen, | |
ihren Beruf aufgeben oder dem Land den Rücken kehren. | |
31 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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