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# taz.de -- Teheraner Regisseur Jafar Panahi: Der unsentimentale Humanist
> Jafar Panahi macht revolutionäre Filme ohne Schaum vor dem Mund. Seine
> Protagonistinnen begehren selbst im Film noch auf - zum Beispiel gegen
> den Regisseur.
Bild: "Offside" (2006) von Jafar Panahi: Frauen wollen das entscheidende Lände…
Schon einmal landete Jafar Panahi hinter Gittern. Am New Yorker
JFK-Airport. Im Frühjahr 2003 reiste er vom Hongkonger Filmfestival zum
Filmfestival von Buenos Aires. Als er im Transitbereich aufgefordert wurde,
sich die Fingerabdrücke abnehmen zu lassen, weigerte er sich. Er musste
zehn Stunden in Gewahrsam zubringen.
Jafar Panahi kam 1960 im iranischen Minaeh zur Welt, im armen Teheraner
Süden wuchs er auf, schon früh betätigte er sich als Parteigänger der
Revolution. Doch ehemalige Kollegen berichten, wie aus dem zunächst für die
Zensur arbeitenden Aktivisten in nächtlichen Sichtungen an der Teheraner
Film- und Fernsehhochschule ein passionierter Cineast wurde. Einigen
propagandistischen Auftragsarbeiten, deren Ausführung man besser nicht
ablehnte, folgte dann die Assistenz bei dem großen iranischen Regisseur
Abbas Kiarostami - eine wichtige Station. Nach dem Dreh zu Kiarostamis
"Quer durch den Olivenhain" (1994) half der Meister seinen Assistenten,
eine Skizze, die ursprünglich nur als Kurzfilm gedacht war, auszuarbeiten.
So entstand 1995 "Der weiße Ballon".
Panahi folgt darin der kleinen Razieh bei ihren Wegen durch die große
Stadt. Sie hat den mühsam von der Mutter erbettelten Geldschein, mit dem
sie sich zum persischen Neujahrstag einen Goldfisch kaufen möchte,
verloren. Der Versuch, den Schein aus dem Gully zu fischen, wird zu einem
abenteuerlichen Unterfangen.
Dieses Debüt hat bereits alle Zutaten des iranischen Erfolgskinos:
überzeugende Laiendarsteller, einen humanistischen, unsentimentalen
Grundton; dazu kommen geradezu magische, einen ungreifbaren
Bedeutungsüberschuss produzierende Sequenzen.
Der Folgefilm von 1997, "The Mirror", erzählt eine ähnliche Geschichte: Als
Minas Mutter nach Schulschluss nicht auftaucht, macht sich die Kleine
alleine auf den Weg nachhause, quer durch Chaos und Lärm der gewaltigen
Metropole Teheran.
Seine ersten Filme folgen Kiarostamis Erfolgsrezept des iranischen
Kinderfilms: Ein Kind ist, vielen Widerständen zum Trotz, auf der Suche;
Beharrlichkeit und die tatkräftige Solidarität von Kameraden führen
schließlich zum Ziel. Viel wurde hineininterpretiert in dieses Genre: die
Unmündigkeit des iranischen Volkes angesichts übermächtiger Autoritäten,
das Tabu, urbane Realitäten abzubilden, auch eine gewisse Orientierung an
den Exotismus-Bedürfnissen westlicher Festivals.
Panahi fügte eigenes hinzu. In "The Mirror" kommt es auf halber Strecke zu
einem narrativen Bruch: Plötzlich will Mina beziehungsweise ihre
Darstellerin nicht mehr mitspielen, verweigert sich der Autorität des
Regisseurs und zieht eigener Wege durch die Straßen, derart nun das
Kamerateam dirigierend. Ein Zwergenaufstand gegen die Erzählungen der
Großen und Mächtigen, eine zivile Rebellion gegen die ideologische
Marschroute.
Während Kiarostami und andere iranische Regisseure zumeist Jungen auf die
Heldenreise schicken, halten bei Panahi kleine Heldinnen trotzig die Nase
hoch. Sein nächster Film hat ein fast komplett weibliches Ensemble: "Der
Kreis" bringt dem Vierzigjährigen 2000 den Goldenen Löwen in Venedig ein.
Wie bei einem Staffellauf wechselt die Erzählperspektive von einer
Protagonistin zur nächsten, bis sie wieder bei der ersten anlangt. Sechs
Frauenporträts: zwei Freigängerinnen, eine Davongelaufene, eine
Drogensüchtige, eine ist mit einer ungewollten Tochter schwanger, eine hat
illegal abgetrieben.
Diese Outcasts verkörpern unterschiedliche Altersstufen, so dass "Der
Kreis" auch einen Lebenszyklus durchläuft, hinter den vielen Gesichtern nur
ein Archetyp durchscheint. Die Männer sind hier eher blass gezeichnet, so
wie die Erwachsenen bei den Kinderfilmen, nicht wirklich böse, nur eben
nicht betroffen, redundant. Der jetzt zu sechs Jahren Haft und 20 Jahren
Berufsverbot verurteilte Regisseur verurteilte selber niemanden.
2006 erhält er für seine Komödie "Offside" auf der Berlinale den Silbernen
Bären. Im Iran sind seine Werke verboten. Zuschauer finden sie dennoch auf
dem DVD-Schwarzmarkt. "Ich vermute", sagt Panahi, "dass in Ländern, die
eine Zensur haben, ein mangelndes Vertrauen zu den offiziellen Medien, der
Presse und dem Kino die Piraterie steigert. Der Zuschauer will natürlich
das Original, weiß aber, dass er es im Kino oder im Fernsehen nur zensiert
zu sehen bekommt."
Um Schwarzseher geht es auch in "Offside": Da wollen einige
fußballbegeisterte Teheraner Girlies während eines WM-Qualifikationsspieles
verbotenerweise ins riesige Azadistadion gelangen, als Jungen verkleidet.
Sie werden gestellt, werden festgehalten und beginnen die jugendlichen
Wachsoldaten zu necken. Hier, hinter den Tribünen, vom Schlachtenlärm
umtost, spielt ein Großteil des Filmes.
Wie die Frauen am Ende des "Kreises", so werden auch die Mädchen in
"Offside" im Mannschaftswagen abtransportiert, doch der allgemeine
Siegesjubel der Fans schwappt auch in die Kabine über, die Digitalkamera
wechselt schließlich nach draußen und nimmt ein Bad in der Menge. Im
euphorischen Taumel, in den Verbrüderungsgesten und gesungenen Liedern auf
den Straßen Teherans spürt man dieselbe Sehnsucht, die man im Juli 2009 bei
den Wahlunruhen erleben konnte.
Trotz seines Engagements für die Grüne Bewegung versteht sich Panahi nicht
als "politischer Filmemacher", weil er die westliche Festschreibung des
iranischen Kinos auf die Politik leid ist und auch weil er die iranische
Polemik kennt, seine Filme würden im Ausland nur aus politischen Gründen
ausgezeichnet. "Ein schlechter Film", sagt er, "kann nicht von der Politik
gefördert und ein Film, der etwas aussagt, kann nicht durch die Zensur
beeinträchtigt werden". Und: "Ich bin ein sozialer Filmemacher. Wenn etwas
in einer Gesellschaft unterdrückt wird, wenn es Probleme gibt, taucht das
an anderer Stelle wieder auf, und dort filme ich dann."
7 Feb 2011
## AUTOREN
Amin Farzanefar
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