# taz.de -- Essay Schwulenbewegung und Pädosexualität: Schlüssel zu einer be… | |
> Die linke Schwulenbewegung hat sich von Pädosexuellen nicht distanziert. | |
> Auch in der taz wurde mitfühlend über Täter berichtet. Die damaligen | |
> Wortführer schweigen bis heute. | |
Bild: Spätestens Anfang der Neunziger hätte diese Naivität passé sein müss… | |
Seltsam, dieses Schweigen. Eine Wortlosigkeit, die eventuell mit der | |
Haltung von Eingeschnapptheit zu tun haben könnte - wo gibt es schon Foren, | |
in denen sie zu Wort kommen könnten? Doch wäre es nicht interessant zu | |
erfahren, wie die Denker und Macher der bundesdeutschen Schwulenbewegung | |
der frühen Siebziger bis Ende der Achtzigerjahre diese Fälle inzwischen | |
einschätzen? | |
Monatelang ist die halbe Republik entsetzt ob der Enthüllungen zum | |
sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Priester, um den | |
Klerus in einem für ihn ungewohnten Maße unter Begründungszwang zu setzen; | |
Woche für Woche wird, weiters, der tatsächliche emanzipatorische Gehalt der | |
sogenannten Reformpädagogik gewogen - und für zu leicht befunden. Denn das, | |
was aus den Abgründen der Odenwaldschule bekannt wird, ist dem Publikum | |
unappetitlich. Und stets geht es um sexuelle Gewalt, die mit dem Wort | |
„Pädophilie“ allerdings nur unzulänglich beschrieben ist. | |
Denn es meint Freundschaft mit Kindern und kaum geschlechtsreifen | |
Jugendlichen - aber um Freundschaft geht es Pädosexuellen vielleicht auch, | |
meist jedoch um Sexuelles. Die Schwulenbewegung, die in der Bundesrepublik | |
Anfang der Siebziger mit Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle | |
ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ die Bühne der | |
Öffentlichkeit betrat, hat sich von Pädosexuellen nicht distanziert. Und | |
wollte dies auch nicht. | |
Das verdient Erklärungen, wenigstens annäherungsweise, denn die | |
Protagonisten jener Jahre sind auf dem Altenteil, nicht mehr am Leben, | |
halten jedenfalls die Lippen geschlossen, so, als wolle man mit den | |
Gründungsmythen jener Jahre nicht mehr konfrontiert werden. Einige | |
Schlaglichter? Männer wie die Niederländer Edward Brongersma und Frits | |
Bernard, auch der in Hannover lehrende Sozialpädagogikpapst Helmut Kentler | |
zählten zu den wichtigsten Stichwortgebern einer Bewegung, die nicht allein | |
die Entkriminalisierung von Homosexualität forderten, sondern insgesamt die | |
Abschaffung des Sexualstrafrechts vorschlugen - die, wie es noch in den | |
Neunzigern in Resolutionen linker Initiativen hieß, „intergenerationelle | |
Sexualität“ sollte aus dem Strafrecht getilgt werden. | |
In den Anfangsjahren der taz, als eine kleine Gruppe von HomoaktivistInnen | |
gelegentlich eine Seite der Zeitung zubereiteten, wurde unumwunden „die | |
Möglichkeit“ gefordert, dass sich „Schwule, Lesben, Pädophile, | |
Transsexuelle etc. sich autonom organisieren“ können. Damit waren diese | |
ehemaligen taz-KollegInnen keineswegs avantgardistisch oder gegen den | |
Zeitgeist unterwegs, sondern im Mainstream der linksalternativen Bewegung. | |
Die in Nürnberg beheimatete Indianerkommune war in jenen Jahren ein auf | |
grünen Parteitagen oft erduldeter Faktor - junge, zottelig-hippiesk | |
aussehende Menschen forderten von der eben gegründeten Partei, sich ihrer | |
politisch anzunehmen. Straffreiheit für Sexualität zwischen Erwachsenen und | |
Kindern lautete der Generalbass, und nur mit Mühe konnte sich das früh | |
ökologische Parteivolk sich dieser Zumutung erwehren. | |
Das Thema Pädosexualität war, ließe sich sagen, für die Aktivisten selbst | |
kein grundnötig zu erörterndes. Man war beschäftigt, damals in den | |
Siebzigern, Achtzigern. Zunächst mit der nach wie vor existierenden | |
Strafformel des Paragrafen 175, der immerhin seit 1969 keinen | |
nationalsozialistischen Gehalt mehr hatte und einvernehmliche | |
gleichgeschlechtlichen Sex zwischen Männern nicht mehr unter Strafe | |
stellte. Und man hatte mit der Infektionskrankheit Aids zu tun. Es galt, im | |
Zusammenhang mit dieser drohenden Epidemie jeden Versuch der | |
Neuinszenierung des Hasses auf schwule Männer zu bekämpfen. Pädos? | |
Existierten irgendwie nicht, gibt jeder zu Protokoll, den man heute zu | |
diesem Thema befragt. | |
Die bizarre Weichheit jenen gegenüber, die ihr Recht auf straflos sexuelle | |
Kontakte zu Kindern und Jugendlichen betonten, hat natürlich auch viel mit | |
der Stimmung in den Siebzigern zu tun. Schulen und Elternhäuser waren | |
weithin als Orte von Gewalt in Erinnerung; Kinder und Jugendliche zu | |
schlagen ist erst seit den rot-grünen Koalitionsjahren verboten - gegen den | |
Widerstand der Union. Sexualität, einvernehmliche, zärtliche, galt als | |
Schlüssel zu einer besseren Welt, zu einer, so lauten einschlägige | |
Chiffren, Menschlichkeit ohne neurotischen Panzer. Kinder und Jugendliche | |
galten als Objekte der Befreiung aus den Fängen einer irgendwie noch | |
nationalsozialistisch nachwirkenden Gewaltpädagogik. | |
Spätestens Anfang der Neunziger musste diese Naivität passé sein. | |
Feministische Initiativen wie „Wildwasser“ - wie problematisch deren | |
Erhitzungsfantasien ob des Themas sexueller Missbrauch in juristischer | |
Hinsicht auch waren - holten das Thema aus dem Graufeld des Undeutlichen. | |
Nun konnte nicht mehr ignoriert werden: dass es, zumal in den Zeiten des | |
Internets, eine kriminell organisierte Szene der Pädosexuellen gibt; dass | |
eine einvernehmliche Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern nicht | |
existiert, wie im Übrigen dies auch ein Sexualwissenschaftler wie Martin | |
Dannecker schrieb. Die Zeit, in der man seitens der linken Schwulenbewegung | |
an der Kumpanei mit Pädos festhalten konnte, war nicht mehr günstig. | |
Undenkbar war fortan, sich mit einem pädosexuellen Literaten wie Peter | |
Schult Solidarität zu üben. Der hatte eine astreine pädosexuelle Identität, | |
und zwar bekennenderweise. Sein im linken Trikont-Verlag 1978 erschienenes | |
Buch „Besuche in Sackgassen“ war ein kleiner Bestseller in der alternativen | |
Szene - man goutierte Schults Affinität zur RAF, zu Drogen, zum | |
Anarchismus, seine Mitarbeit in der Roten Hilfe München. | |
Als er 1982 erneut wegen sexueller Handlungen mit Jugendlichen, die noch | |
keine 14 Jahre alt waren, angeklagt wurde, erhielt er öffentliche | |
Unterstützung durch linkskulturelle Promis jener Jahre, etwa Volker | |
Schlöndorff, Margarethe von Trotta oder Brigitta Wolf. Auch die taz | |
berichtete mehrfach mitfühlend über den Mann, der gelegentlich für sie | |
schrieb. Ein Verfolgter wie er - durch ihn hatte auch das Pädosexuelle | |
nicht mehr den fiesen Beigeschmack des Kinderschänderischen. | |
Die Homobewegung, die auf Bürgerrechtlichkeit, auf das Projekt Eingetragene | |
Lebenspartnerschaft und die Gleichheit der Rechte mit denen Heterosexueller | |
setzte, hatte allerdings nichts, gar nichts mehr mit Pädosexuellem zu tun - | |
dafür sorgten schon die Frauen, die in Organisationen wie dem Lesben- und | |
Schwulenverband Gewicht und Stimme hatten. Die Forderungskataloge der CSDs | |
sind frei von Missverständlichkeiten. | |
In der linken Szene träumte man freilich weiter vom Recht auf | |
„intergenerationelle Sexualität“, vor allem taten dies so verschiedene | |
Initiativen aus dem inzwischen gestorbenen Bundesverband Homosexualität. | |
Was deren Aktivisten heute zu sagen haben, ist offen: Sie verweigern das | |
Gespräch. | |
Öffentlich ist immerhin das Buch vom Soziologen und in der Homoforschung | |
rührigen Rüdiger Lautmann, einst an der Universität Bremen tätig. Sein | |
Buch, „Die Lust am Kind“ von 1994, ist keineswegs als ein Plädoyer für die | |
Freigabe von Sex mit Kindern gemeint. Lautmann ließ in seiner Untersuchung | |
Männer zu Wort kommen, die als Sexualobjekte Jungs bevorzugen. Diese Fibel | |
las sich jedoch wie eine missglückte, bejahende Einfühlung in die Gemüter | |
von Pädos - eine Art Beschwichtigung. Die Folgen sind langfristiger Art. | |
Lautmann hat sich in der Homopolitszene mit diesem Essay heftig | |
diskreditiert, bis heute. | |
Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern ist, so der | |
Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, das einzige Tabu, das nach den | |
Zeiten der sexuellen Aufklärung blieb. Alles andere ist erlaubt und sickert | |
mehr und mehr in den Mainstream - und als erste Regel immer, dass das | |
Gesetz der Einvernehmlichkeit zu gelten hat. | |
Publizistisch bagatellisierte der in der taz schreibende Elmar Kraushaar | |
das Pädosexuelle bis in die Neunziger. Die Abgrenzung einer Homogruppe von | |
Pädos ginge nicht an. Das las sich 1995 so: „Die Erpressung der Rechten | |
[Christen, Konservativen, die Red.] zündet allerorten, und Ausschluss und | |
,Nichtbefassung‘ treten an die Stelle von politischer Auseinandersetzung. | |
Für den Eintritt ins Establishment wird bar bezahlt. Wer wird nach den | |
Pädos als Nächster dran sein?“ | |
Schlägt man die Pädos, so diese linke Logik, werden auch die Homos bald in | |
Knäste gesteckt. Eine Denkweise, die wenigstens eine milde Form von | |
Verfolgungswahn umreißt. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Pädosexualität | |
Sex | |
Pädophilie-Debatte | |
Ban Ki Moon | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Uni Hannover: Interne Untersuchungen: Der Pädo-Prof | |
Die Uni Hannover will endlich den Fall Helmut Kentler aufarbeiten: Der | |
Pädophilie-Befürworter war dort 20 Jahre Professor – und hat auch über | |
Sexualerziehung gelehrt. | |
Sexualwissenschaftler Martin Dannecker: Idol, Ikone und dafür viel Applaus | |
Dannecker studieren heißt das gute, schwierige Leben zu studieren: | |
„Faszination Sex“, die Schau zu seinen Ehren läuft im Schwulen Museum* | |
Berlin. | |
Pädosexuelle in Berlin: Von höchster Stelle genehmigt | |
Warum unterstützte der Berliner Senat jahrelang Pädophilen-Organisationen? | |
Ein Göttinger Institut legt eine Untersuchung vor. | |
UN-Erfolg im Kampf gegen HIV: Acht Millionen Tote weniger | |
Die UN meldet rund 40 Prozent weniger Todesfälle und ein Drittel weniger | |
Neuansteckungen. Die Aids-Epidemie gilt als eingedämmt, jetzt soll sie ein | |
Ende finden. | |
Leben mit Pädophilie: Die Angst vor sich selbst | |
Wie lebt man mit dem Wunsch, Sex mit Kindern zu haben? Was tut man, wenn | |
man sich zwar von Kindern fernhält und dann Onkel wird? Ein Betroffener | |
erzählt. | |
Missbrauch an der Odenwaldschule: "Es hat mich mein Leben gekostet" | |
Vor einem Jahr wurden die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule | |
öffentlich. Aber was haben die Pädagogen ihren Schützlingen wirklich | |
angetan? Ein Betroffener berichtet. | |
Wie sich jugendliche Homosexuelle outen: Coming-out. Und dann? | |
Wie geht es homo- und transsexuellen Jugendlichen in Deutschland? Das ist | |
kaum erforscht. Vier Jugendliche erzählen von ihrem Outing. Von Hilfe, | |
Tränen und Suizidversuchen. | |
Bilanz eines Ex-Odenwaldschullehrers: Erziehung nach der Päderastie | |
Warum die Odenwaldschule nicht nur eine Päderastenanstalt war, sondern auch | |
ihre pädagogischen Ziele nie erreicht hat. Und warum sie das überwinden | |
muss. | |
Enthüllungen aus der linksalternativen Szene: Nicht nur die Indianer | |
Im Alternativmilieu der 1970er und 1980er Jahre fühlten sich auch | |
bekennende Pädophile wohl – trotz "sexueller Revolution" mochten aber nicht | |
alle mit Tätern fraternisieren. |