# taz.de -- Sozialforscher über Freundschaften: Entkrampft euch! | |
> Der Sozialforscher Axel Honneth weist nach, wie stark unsere modernen | |
> Freundschaften noch vom Ideal der Romantik geprägt sind. | |
Bild: Offenheit, Gleichheit, Vertrauen und Solidarität: Wichtige Grundlagen ei… | |
Mit einem Vortrag über den historischen Wandel freundschaftlicher | |
Beziehungen eröffnete der Direktor des Frankfurter Instituts für | |
Sozialforschung Axel Honneth am Samstag die diesjährigen Frankfurter | |
Positionen. Die seit 2001 stattfindende Reihe analysiert mittels | |
verschiedener Sparten der Künste den sich vollziehenden gesellschaftlichen | |
Wandel. Im Frankfurt LAB sprach Honneth über "Den langen Schatten der | |
Romantik - Zum Strukturwandel persönlicher Beziehungen". | |
Was unter Freundschaft zu verstehen ist, unterliegt ihm zufolge einem | |
historischen Wandel. Von der Antike bis ins 18. Jahrhundert war | |
Freundschaft eine Sache unter Männern und beruhte auf ständischen | |
Prinzipien. Freundschaft zwischen Herren und Knechten war ebenso undenkbar | |
wie die zwischen einem verheirateten Mann und einer verheirateten Frau. | |
Solcherlei galt als standes- oder sittenwidrig. Freundschaften unter | |
Männern hatten, wie Honneth betonte, "zeremoniellen Charakter", ihr Zweck | |
war ein gemeinsamer Nutzen. Gefühle spielten dabei keine Rolle, es ging um | |
den gemeinsamen Ehrenkodex, etwa unter Kaufleuten, oder um Netzwerke zur | |
Verfolgung gemeinsamer Interessen, zum Beispiel unter Zunftgenossen. | |
Im Jahrhundert der Aufklärung kam, befördert von der schottisch-englischen | |
Moralphilosophie, ein modernes Verständnis von Freundschaft auf. Der zu | |
Unrecht als Erfinder eines marktradikalen Liberalismus verleumdete Adam | |
Smith legte 1759 eine umfangreiche "Theorie der ethischen Gefühle" vor. In | |
deren Zentrum stehen die Begriffe sentiment und sympathy, und die meinten | |
nicht private Gefühligkeit, sondern bildeten den subjektzentrierten | |
Gegenpol zur commercial society, die Smith als Erster beschrieben hat. | |
"Erst in dem historischen Augenblick, als mit der Aufwertung von | |
wirtschaftlichem Handel und kapitalistischem Markt zugleich auch das | |
Bedürfnis nach einer Gegenwelt des privaten Rückzugs" (Honneth) wächst, | |
wird Freundschaft als Ressource sozialer Freiheit entdeckt. In der | |
gesamteuropäischen Opposition von Klassik und Romantik gegen Utilitarismus | |
und Rationalismus wurden diese Ideen radikalisiert. "Der Andere ist nicht | |
mehr Begrenzung, sondern die Bedingung der individuellen Freiheit", so | |
Honneth, weil er den Einzelnen als vertrauten Interaktionspartnern die | |
Chance gibt, sich kommunikativ zu öffnen. Ob bei Hegel, Hölderlin oder | |
Schleiermacher - die persönliche Beziehung unter Freunden wurde zum | |
geschützten Ort für das individuelle Selbst und seine Verwirklichung durch | |
die egalitäre Beziehung zum Anderen. Hier spielten weder Tradition noch | |
Religion eine Rolle, sondern einzig und allein das, was die Subjekte selbst | |
an Gedanken und Gefühlen in die Freundschaft einbrachten. | |
Natürlich war auch dieses Freundschaftskonzept noch stark | |
geschlechtsspezifisch und schichtenspezifisch beschränkt. Aber am Horizont | |
der idealen Vorstellung von Freundschaft wurde etwas sichtbar, das Honneth | |
als Kern "demokratischer Sittlichkeit" bezeichnet. | |
Eine "durchgreifende Entkrampfung des Subjekts" für Frauen und Männer | |
gleichermaßen wurde freilich erst nach 1945 und verstärkt nach 1968 | |
möglich. Honneth widerspricht entschieden dem beliebten zeitdiagnostischen | |
Gerücht, wonach Individualisierung, Leistungsfanatismus und Karrierezwänge | |
Räume für Freundschaft zerstörten. | |
Den kulturpessimistischen Schluss, wonach steigende Scheidungszahlen und | |
die Zahl von Singlehaushalten das Ende von Liebe und Freundschaft | |
anzeigten, hält Honneth für voreilig. Die zitierten Trends zeigten auch, | |
dass Frauen wie Männer selbstbewusst geworden sind und persönliche | |
Beziehungen aufkündigen, wenn die erlernten normativen Grundlagen wie | |
Offenheit, Gleichheit, Vertrauen und Solidarität verraten werden. | |
Honneths Perspektive ist anspruchsvoll und sympathisch. Man kann ihn so | |
verstehen, dass er das fragile normative Gerüst von Freundschaft für das | |
Verständnis von Politik fruchtbar machen und in die Debatte über das "gute | |
Leben" und demokratisches Selbstverständnis einbringen möchte. | |
6 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Walther | |
## TAGS | |
Stadtland | |
Sozialismus | |
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