# taz.de -- Pressefreiheit in China: Polizei verwarnt taz-Korrespondentin | |
> Die Einwanderungspolizei in Peking hat ausländische Journalisten | |
> einbestellt, um sie zu "belehren". Wer von Demos berichten will, dem | |
> droht ab sofort ein Arbeitsverbot. | |
Bild: Bilder nicht erwünscht: Polizist und Fotograf bei der Demonstration am S… | |
PEKING taz | Die Stimme am Telefon war freundlich, aber bestimmt. "Hier ist | |
die Einwanderungspolizei. Kommen Sie heute Nachmittag zu uns ins Amt, wir | |
wollen Sie über die Arbeitsvorschriften für Journalisten belehren." | |
Das Gebäude der Einwanderungspolizei ist ein großer Komplex an der Zweiten | |
Pekinger Ringstraße. Hier müssen sich alle Ausländer registrieren, die | |
längere Zeit in Chinas Hauptstadt leben. Für internationale Journalisten, | |
die alljährlich ihr chinesisches Arbeitsvisum erneuern, gibt es einen | |
speziellen Schalter. Im Saal hängen Transparente mit Sprüchen wie: "Resolut | |
dem Maßstab der Volkszufriedenheit Geltung verschaffen." Neben der | |
Passbildstelle prangen auf rotem Grund die Fotos von sieben "vorbildlichen | |
Polizisten". | |
Die Aufforderung, an diesem Mittwoch zur "Belehrung" zu kommen, gilt nicht | |
allein der Korrespondentin dieser Zeitung: Rund zwei Dutzend ausländische | |
Reporter und Kameraleute haben einen ähnlichen Anruf erhalten. Dazu gehören | |
unter anderem die Korrespondenten der deutschen Rundfunkanstalten ARD und | |
ZDF ebenso wie des österreichischen ORF, der britischen BBC und der | |
Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. | |
Der Bloomberg-Kameramann erscheint trotz starker Schmerzen wegen einer | |
gebrochenen Rippe – er war am Sonntag von fünf Zivilpolizisten zu Boden | |
geworfen und mit Fußtritten ins Gesicht und auf den Körper traktiert | |
worden, als er in der Pekinger Wangfujing-Einkaufsstraße eine | |
[1][angekündigte Demonstration] filmen wollte. | |
Die Journalisten werden einzeln oder in kleinen Gruppen abgeholt, ihre | |
Personalien überprüft. Die Gespräche finden in fensterlosen Zimmern statt. | |
In allen steht eine Kamera auf einem Stativ bereit, das Geschehen zu | |
filmen. | |
Polizist Zheng Jie von der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten führt | |
das Gespräch. Ab und zu springt ihm ein Vertreter des Außenministeriums zur | |
Seite. "Wir sind hier", sagt Zheng, "um ein paar Dinge klarzustellen". | |
Mit Hilfe seines Sprechzettels, der vor ihm liegt, kommt er sofort zum | |
Thema: Die Tatsache, dass sich am vergangenen Sonntag viele ausländische | |
Journalisten auf der Einkaufsstraße Wangfujing aufhielten, habe "die | |
Anwohner erschreckt". Die Menschen hätten deshalb "die Polizei um Hilfe | |
gebeten". Deshalb sei es nötig, die ausländischen Journalisten ein letztes | |
Mal zu ermahnen, sich an die Verordnungen und Gesetze Chinas zu halten, die | |
seit dem Jahr 2008 für sie gelten. | |
## Die Regeln von Olympia neu gedeutet | |
In der entsprechenden Verordnung des Staatsrates Nr. 537, die der | |
Premierminister Wen Jiabao abgezeichnet hat, heißt es in Artikel 17: "Ein | |
ausländischer Journalist, der Organisationen oder Einzelpersonen in China | |
interviewen will, muss dafür zuvor ihre Zustimmung erhalten." Dieser Passus | |
war im Umfeld der Olympischen Spiele eingeführt und als Erleichterung und | |
Fortschritt für die Pressefreiheit empfunden worden. | |
Doch nun, so werden wir Journalisten belehrt, gilt eine andere | |
Interpretation der Regeln: Wer zum Beispiel auf der Einkaufsstraße | |
Wangfujing Interviews führen oder filmen wollte, müsse vorher "die | |
Einwilligung der Straße" erwirken. Diese sei im örtlichen Verwaltungsbüro | |
zu beantragen. | |
Die Umdeutung erscheint auf den ersten Blick lächerlich – wenn sie nicht | |
mit tiefernster Miene und vor laufender Kamera präsentiert– und mit der | |
Drohung des Entzugs der Arbeitserlaubnis in China verbunden würde: "Dies | |
ist eine letzte Warnung!" | |
Man wisse ganz genau, fügte Polizist Zheng hinzu, warum sich die | |
internationalen Medien an jenem Tag auf der Wangfujing-Straße aufgehalten | |
hatten: "Es gibt Leute im Ausland, die eine Jasmin-Revolution entzünden und | |
Chaos in China säen wollen." | |
Aber: "Das wird es in China niemals geben – heute nicht und auch in Zukunft | |
nicht. China ist stabil." Das Volk stehe voller Liebe hinter der Regierung. | |
Polizist Zheng steht auf: "Vielen Dank für Ihre Kooperation." Ende der | |
Belehrung. | |
2 Mar 2011 | |
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## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
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taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ | |
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