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# taz.de -- Pro & Contra Bürgerbefragung: Streitpunkt direkte Demokratie
> Muss Politik durch Bürgerbefragungen entstaubt werden? Oder setzt sich
> dann nur der Einzelwille weniger Lobbyisten durch?
Bild: Protestpappen an einer Kastanie auf der Kastanienallee
Pro Bürgerbefragung: GEREON ASMUTH
Im Saal der Bezirksverordnetenversammlung von Pankow ist die Zeit stehen
geblieben. Der ganze Raum hat die Aura einer muffig-verstaubten
Bewegungslosigkeit. Und ganz offensichtlich hat das auch auf die Insassen
abgefärbt. Draußen redet alles von Bürgerbeteiligung, von direkter
Demokratie. Hier drinnen aber werden die Zuschauer schon ermahnt, wenn sie
mal klatschen. Applaus vom Publikum, so erklärt der BVV-Vorsitzende, ist
laut Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Weltfremder kann Politik sich gar
nicht präsentieren.
Nach der Wende war Pankow, war Prenzlauer Berg mal ganz vorne. Runde
Tische, die praktische Beteiligung der Betroffenen war Anfang der
90er-Jahre eine Selbstverständlichkeit. Das ist lange her. Die Grünen,
denen man eine gewisse Nähe zur Basisdemokratie unterstellen möchte, tun
sich sichtlich schwer damit, wenn sie selbst in Regierungsverantwortung
stehen. Und die anderen? Ob SPD, Linke oder CDU, sie pochen auf die Macht
des Mandats und zeigen dem Bürger die lange Nase. Und das, obwohl im
September Wahlen anstehen. Schlimmer geht es nicht.
Diese Arroganz macht überdeutlich, wie nötig eine politische Reform ist.
Offene Bürgerbefragungen zu lokalen Themen wie dem Umbau der Kastanienallee
sollten eine Selbstverständlichkeit sein. Daran könnten sich alle
beteiligen, denen es wichtig ist. Unabhängig vom Wohnort, Nationalität oder
Alter. Wer keine Meinung hat, der bleibt eben zuhause. Und wer Angst vor
einer Abstimmungsniederlage hat, der muss eben an seinen Argumenten feilen.
Das wäre eine zeitgemäße Politik - nicht nur für einst progressive
Stadtviertel wie Prenzlauer Berg.
Contra Bürgerbefragung: UWE RADA
Mit den Protesten gegen Stuttgart 21 im Rücken lassen sich auch in
Prenzlauer Berg große Töne spucken. Der Unterschied ist nur: Der
Kopfbahnhof in Stuttgart gehörte allen - den Stuttgartern und auch den
Berlinern. Die nämlich werden sich ärgern, wenn bald die Strecken im Umland
verfallen, weil die Bahn alles Geld in ihr Prestigeprojekt im Süden der
Republik versenkt.
Die Kastanienallee dagegen, das zeigte auch die Diskussion in der BVV,
scheint bislang nur ihren Anwohnern und Fans zu gehören. Und die sollen nun
über die Zukunft ihrer Straße abstimmen? Was für ein Quatsch. Dann kann man
direkte Demokratie ja gleich zum Selbstbedienungsladen machen.
Beim Umbau der Kastanienallee geht es aber nicht nur um die - böse -
Politik und um die - guten - Betroffenen, es geht auch um Interessen. Die
der Radfahrer zum Beispiel finden sich nicht wieder im "Not in my
backyard"-Protest gegen "K 21". Dabei wäre ein eigener Radstreifen ein
Segen. Dass es bislang so wenig Unfälle gab, lag schließlich weniger am
guten Verhältnis zwischen Rad und Tram. Der Grund war schlicht und
ergreifend, dass die meisten Radler den Hindernisparcours Kastanienallee
mieden. Schön, wenn sich das bald ändert.
Kein Anwohnerentscheid darf den Konflikt deshalb entscheiden, sondern eine
Beteiligungsform, die alle Interessengruppen berücksichtigt. Das ist der
bezirksweite Bürgerentscheid. Wenn die Bewohner der Castingallee von der
Schönheit ihrer Argumente überzeugt sind, müssen sie sich auch die Mühe
machen, die Radfahrer aus Pankow und Weißensee zu überzeugen. Das
entsprechende Quorum inbegriffen.
3 Mar 2011
## AUTOREN
Gereon Asmuth
Uwe Rada
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