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# taz.de -- Debatte Bundeswehr: Kameraden? Demokraten!
> SoldatInnen verteidigen die Demokratie. Doch gleichzeitig gibt es in der
> Bundeswehr sexistische Gewaltstrukturen. Das zeigen nicht nur die
> Vorfälle auf der "Gorch Fock".
Bild: Kadetten des Segelschulschiffs Gorch Fock im guantanamo-orangenen Dress i…
Er hinterlasse ein "weitgehend bestelltes Haus", hat der scheidende
Verteidigungsminister zum Abschied seinem Nachfolger mit auf den Weg
gegeben. Der heißt nun Thomas de Maizière. Und wird bald merken, dass es
Guttenberg auch hier mit der Wahrheit nicht genau genommen hat: sexuelle
Übergriffe, Verabreichung von Stromstößen, Aufnahmerituale mit roher
Schweineleber, Leichenschändung - das sind einige "Einzelfälle", die in den
letzten Jahren aus der Bundeswehr bekannt geworden sind. Die Gründe liegen
in der militärischen Struktur selbst, in einer Vorstellung von
Männlichkeit, die vorsieht, dass auf Stress mit Gewalt und Drill zu
reagieren ist.
Generell fußen militärische Institutionen auf Hierarchien zwischen Männern,
die auf Unterwerfung durch Gehorsam basieren. Befehlsstrukturen dienen
dabei der oberflächlichen Kanalisierung von Aggressionen und Ängsten. So
will man das Funktionieren der Truppe in gefährlichen Situationen
gewährleisten.
An internen Gewaltstrukturen ändert auch der quantitative Anstieg an
Soldatinnen nichts. Vielmehr sind sie, wie Untersuchungen in der
US-amerikanischen und israelischen Armee zeigen, besonders häufig mit
sexuellen Belästigungen und Übergriffen durch Vorgesetzte konfrontiert.
## "Boys will be boys"
Stärker noch sind Zivilistinnen von Gewaltakten betroffen. Diese von
Militärs ausgeübte sexualisierte Gewalt wird jedoch von
Entscheidungsträgern in Militär und Politik systematisch heruntergespielt.
Selbst bei offiziellen Friedensmissionen ist die Bagatellisierung
sexualisierter Gewalt weit verbreitet. "Boys will be boys", kommentierte
lakonisch der UN-Chef in Kambodscha, Akashi, die massenhaften Besuche von
UN-Truppen in örtlichen Bordellen. Die Kritik an der "Nutzung" von
Zwangsprostituierten im Kosovo empfand der damalige Verteidigungsminister
Scharping als Angriff auf die heile Welt: "Verunsichern Sie nicht die
Frauen und Freundinnen unserer Soldaten." Nicht der Gang ins Bordell
scheint hier der Skandal, sondern die Aufdeckung.
Sexualisierte Gewalt in militärischen Einsätzen ist eine effektive und
brutale Form, Verunsicherungen und erlittene Demütigungen der eigenen
Männlichkeit zu kompensieren - durch Unterwerfung von Frauen oder als
schwach angesehenen Männern. Dadurch gewinnen "richtige" Männer ihre
Überlegenheit zurück. In ihrer militärisch geprägten Welt mit regelmäßiger
Schikane und hohem Alkoholkonsum sind die Entlastungsstrategien "männlich":
Gewaltvideos anschauen, in den Puff gehen, es Frauen "besorgen",
Homosexuelle mobben.
Dies betrifft einzelne Soldaten und ganze Truppeneinheiten, die kollektiv
vergewaltigen oder "kameradschaftlich" Zwangsprostituierte sexuell
ausbeuten. Komplette Friedensmissionen gerieten so in Misskredit. Deshalb
erließen die Vereinten Nationen 2003 einen Verhaltenskodex und Strafen für
sexualisierte Übergriffe. Die Umsetzung steht und fällt mit den
militärischen Hierarchien: Wird Gewalt von militärischen Vorgesetzten
ignoriert, toleriert oder gar angeordnet, treten persönliche Tabus außer
Kraft. Dann werden auch Männer vermehrt Opfer von sexualisierter Gewalt.
## Martialische Männlichkeit
Sind sich die Verantwortlichen dieser Mechanismen bewusst, können sie durch
entsprechend klares Auftreten, Sensibilisierung und verbindliche
Verhaltensvorschriften für notwendige Prävention und Sanktionen sorgen.
Hier hat die Bundeswehr Handlungsbedarf: Die Studie des Frauenministeriums
zu "Gewalt gegen Männer" stellte 2006 fest, dass die Bundeswehr die
staatliche Institution mit der höchsten Gewaltakzeptanz nach innen ist.
Weit entschiedeneres Vorgehen von Politik und Oberbefehlshabern gegen die
tolerierte Gewalt ist hier gefragt.
Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr sollten endlich die
negativen Auswirkungen der martialischen Männlichkeitsmuster ernst nehmen.
Je diffuser der Auftrag des Einsatzes ist - wie beispielsweise in
Afghanistan -, desto schwieriger wird es für den einzelnen, der
Pflichterfüllung als SoldatIn einen Sinn zu geben. Es droht der Burn-out.
Wenn dann die Lage gefährlicher wird, ist auf der Grundlage von
unhinterfragten maskulinen Strukturen exzessives Verhalten vorhersehbar.
In den Berichten über die Vorgänge auf der "Gorch Fock" kamen auch Kadetten
zu Wort, die sich mit den kritisierten Umgangsformen auf dem Schulschiff
einverstanden erklärten. Wollen wir Führungskräfte, die solche
Befehlsstrukturen aus Überzeugung übernehmen? Akzeptieren wir Aussagen wie
die eines "Gorch Fock"-Offiziers: Die Soldaten seien da, die Demokratie zu
verteidigen, aber nicht, um sie zu leben? Einer verfassungskonformen
Bundeswehr, der auch im Alltag Artikel 1 des Grundgesetzes geläufig ist -
Achtung und Schutz der Menschenwürde -, werden solche Überzeugungen zur
Gefahr.
## Bundeswehr und Artikel 1 GG
Gewaltprävention stellt die gewohnte militärische Logik infrage. Umso
wichtiger ist es, an diesen Bildern von vermeintlicher männlicher Stärke,
von Stolz und Mut anzusetzen. Soldaten und Soldatinnen müssen sich mit
ihrem Selbstbildnis befassen, sie müssen lernen, dass es zur demokratischen
Grundausstattung gehört, bei allem Respekt des Prinzips von Befehl und
Gehorsam Menschenwürde an erste Stelle zu setzen, sich also des Rechts auf
Befehlsverweigerung bei menschenunwürdigen Befehlen besinnen.
Für alle Friedenstruppen darf es keine Nebensächlichkeit mehr sein, einen
verbindlichen Verhaltenskodex zu haben, der sexualisierte Gewalt und
sexuelle Ausbeutung ohne Wenn und Aber unter Strafe stellt. Der
Imageschaden bei Bagatellisierung von Gewalt muss für jegliche Armee höher
werden als jener, der über Eingeständnis des nicht tolerierbaren
Fehlverhaltens der eigenen Soldaten entsteht.
Dies ist sicher keine weltfremde Vision, sondern eine Frage der
gesellschaftlichen Bewertung. Effiziente und gleichzeitig
verantwortungsbewusste und die Menschenwürde achtende SoldatInnen als
Schutz- und Ordnungsmacht sind nicht nur wünschenswert, sondern auch
realistisch - wenn wir schon die Existenzen von Armeen hinnehmen müssen.
4 Mar 2011
## AUTOREN
Monika Hauser
## TAGS
Bundeswehr
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