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# taz.de -- Nato-Experte über Cyber-Attacken: "Angriffe sind alltäglich"
> Tatort Internet: Der Nato-Experte Robin Geiß spricht mit der "taz"
> darüber, ob es tatsächlich Anzeichen für einen Krieg im Internet gibt -
> und über das Demonstrationsrecht im virtuellen Raum.
Bild: "Das humanitäre Völkerrecht gilt auch im Cyberspace."
taz: Herr Geiß, wir haben uns daran gewöhnt, dass das Internet als "Tatort"
bezeichnet wird. Was bewegt Militärs und Juristen nun, gar das Wort von
einem "Krieg" im Internet zu verwenden?
Robin Geiß: Das sind eher Slogans aus der Welt der politischen Rhetorik. Um
es juristisch zu sagen: Ob wir im Hinblick auf den Cyberspace bereits von
Kriegen beziehungsweise von bewaffneten Konflikten im Rechtssinne sprechen
können, ist mehr als zweifelhaft. Vieles von dem, was heute
umgangssprachlich als Cyber-Angriff bezeichnet wird, löst noch lange keinen
bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts aus.
Wenn bloß Computer Rechenoperationen vollführen, würden die wenigsten
Menschen von Krieg sprechen.
Ja. Ähnliches gilt sicherlich auch für den Begriff des Verbrechens. Das
heißt aber nicht, dass wir nicht trotzdem darüber nachdenken müssen, wie
wir neue Konfliktsituationen im Netz rechtlich richtig fassen können. Das
müssen wir versuchen - ohne leichtfertig oder voreilig von Krieg oder
Ähnlichem zu sprechen. Dabei stellt sich auch die Frage, wo die Grenze
zwischen Kriminalität im Netz und der Ausübung von Meinungsfreiheit im Netz
verläuft.
Als die Website der Lufthansa bei einer "Online-Demonstration" mit Anfragen
bombardiert wurde, bis sie zusammenbrach, sprach das Oberlandesgericht
Frankfurt die Organisatoren im Jahr 2006 von allen strafrechtlichen
Vorwürfen frei. Begründung: Es verbiete sich, hier von "Gewalt" zu
sprechen.
Ich bin mir nicht sicher, ob die Gerichte ein vergleichbares Verhalten im
nichtvirtuellen Raum noch hätten durchgehen lassen.
Wieso nicht? Als nichtvirtuelle Parallele könnte man an eine Sitzblockade
denken. Hier wie da wird der Betrieb für ein paar Stunden aufgehalten.
Sitzblockaden sind in der Tat das klassische Beispiel für Gewaltfreiheit.
Aber mit dem Begriff der Gewalt, der für unsere Bewertung von
Auseinandersetzungen im nichtvirtuellen Raum so zentral ist, kommen wir im
Cyberspace nicht mehr sehr weit.
Warum?
Stellen Sie sich vor, jemand löscht sämtliche Steuerdaten in Deutschland -
mit drei Mausklicks. Sicherlich: Eine solche Tat würde man nicht als Gewalt
im klassischen Sinne bezeichnen. Aber ist das deswegen bereits ein
legitimes Mittel des Protests? Ich denke, auch wenn Zerstörung im
virtuellen Raum nicht unmittelbar Menschen verletzt, ist es trotzdem
richtig, dass wir beginnen, sie in vergleichbarer Weise ernst zu nehmen.
Die Unterstützer von Wikileaks, die die Webseiten von Mastercard und Paypal
zum Absturz brachten, hielten damit nur kurzfristig das Geschäft auf. War
das nicht gewaltfrei?
Doch - aber auf diese Kategorie kommt es nicht an. Natürlich darf man im
Internet demonstrieren, auch gegen die Politik von Mastercard und Paypal.
Es gibt ja auch unzählige Möglichkeiten dazu. Aber nach Ansicht der meisten
Staaten gibt es eben auch eine Grenze. Webseiten einfach zum Absturz zu
bringen, die einem nicht gefallen, geht zu weit. Die europäischen Staaten
haben diese Grenze vor einigen Jahren mit neuen Strafgesetzen markiert.
Wo hört Cyber-Kriminalität auf und beginnt jene Cyber-Kriegsführung, vor
der die Nato neuerdings warnt?
Darüber müssen wir diskutieren. Cyber-Attacken sind für viele Regierungen
schon heute alltäglich. Die Informationsstrukturen der Nato werden täglich
mehrfach attackiert. Die Frage ist: Ab wann erreichen diese Attacken eine
solche Intensität, dass die Nato, wie bei einer militärischen Bedrohung,
zum Gegenschlag ausholen darf? Etwa erst dann, wenn es in irgendeinem
Kraftwerk kracht und funkt, die Cyber-Attacken sich also physisch
auswirken? Oder muss das Völkerrecht nicht sagen: "Auch Attacken, die nur
virtuell stattfinden, können heute schon dieselbe schreckliche Intensität
erreichen"?
Und - was denken Sie?
Ich denke, unsere Antwort muss davon abhängen, inwieweit wir die virtuellen
Güter einer Gesellschaft - ihr Gedächtnis sozusagen - für lebenswichtig
erachten.
Sie skizzieren eine Auseinandersetzung, die gewaltfrei ist - und dennoch
ein Krieg.
Ja, ich halte das für vorstellbar. Denken Sie an das Chaos, das man etwa
durch das Löschen aller Sozialversicherungsnummern in einem modernen Staat
auslösen könnte. Das Völkerrecht muss neue Sichtweisen wagen, um
Auseinandersetzungen, die im Cyberspace ausgetragen werden, klar benennen -
und dann hoffentlich humanisieren - zu können.
Nach den "Cablegate"-Enthüllungen von Wikileaks forderten rechte
US-Politiker, Julian Assange als feindlichen Kämpfer gezielt zu töten.
Wikileaks hat in den USA zwar eine Menge Chaos geschaffen. Aber sicherlich
nichts, das im Entferntesten vergleichbar wäre mit einem militärischen
Angriff! Da sind wir eher im Bereich der Grenzen der Meinungs- und
Pressefreiheit.
Gibt es überhaupt schon reale Beispiele für Cyber-Kriegsführung?
Nein. Als Estland im Sommer 2007 eine heftige Welle von Cyber-Attacken auf
die Regierung erlebte, sprachen manche vom ersten Cyber-Krieg. Aber Estland
war bei Weitem nicht so schwer getroffen, dass die Situation einem
militärischen Angriff ähnelte. Wenn militärisch relevante Daten oder
Einrichtungen zerstört werden, wie bei der jüngsten Attacke auf iranische
Atomanlagen mit dem Stuxnet-Virus, dann ist man der Schwelle zum
bewaffneten Angriff vielleicht schon ein wenig näher. Aber selbst dort ist
kein Staat von einem bewaffneten Konflikt ausgegangen.
Als israelische Kampfflugzeuge im Jahr 1981 den irakischen Reaktor Osirak
zerstörten, kamen dabei elf Menschen ums Leben. Die jüngsten Virus-Attacken
auf iranische Atomanlagen führten angeblich zu einem ähnlichen Erfolg -
aber diesmal ohne jedes Blutvergießen. Das müsste doch eigentlich eine
begrüßenswerte Entwicklung sein, oder?
Aus humanitärer Sicht begrüßt man natürlich nie einen Angriff! Aber ich
kann mir in der Tat militärische Szenarien vorstellen, wo Cyber-Attacken
schonendere Angriffe ermöglichen als konventionelle Waffen. Cyber-Attacken
können ja grundsätzlich auch reversibel gestaltet sein. Das heißt: Ich
schalte ein Kraftwerk des Gegners aus - aber nur für drei Tage. Danach
gehen die Lichter wieder an.
Die Bundeswehr entwickelt bereits eigene Kapazitäten für Cyber-Attacken.
Welche Regeln des humanitären Völkerrechts wird die Armee im Cyberspace
beachten müssen?
Das humanitäre Völkerrecht gilt in jedem bewaffneten Konflikt, auch im
Cyberspace. Allerdings ergeben sich dort verschiedene praktische
Anwendungsprobleme. Das humanitäre Völkerrecht steht und fällt mit einer
glasklaren Trennung zwischen Zivilisten und Soldaten. Genau diese Trennung
lässt sich aber im Cyberspace oft nicht durchhalten. Erstens, weil zivile
und militärische Strukturen hier technisch eng miteinander verwoben sind.
Und zweitens, weil sich Akteure von Cyber-Attacken typischerweise nicht zu
erkennen geben.
Das heißt: Ich weiß nie, wer von einem Computer aus angegriffen hat -
Zivilisten oder Soldaten.
Genau, und dementsprechend weiß ich nicht, in welcher Schärfe ich
zurückschlagen darf.
Auf welche Art und Weise dürfte ein Staat theoretisch überhaupt
zurückschlagen?
Das ist vielleicht das größte Problem. Ich weiß nach einer Cyber-Attacke
unter Umständen noch nicht einmal, aus welcher Richtung der Angriff kam.
Cyber-Attacken kommen üblicherweise über verzwickte Umwege zum Ziel. Und
selbst wenn ich weiß, aus welchem Staat eine Attacke gegen mich wirklich
kam, weiß ich noch lange nicht, wer an der Tastatur saß! Das schafft die
Gefahr, dass Armeen im Zweifel schlicht auf Verdacht zurückschlagen werden
- wohin auch immer.
6 Mar 2011
## AUTOREN
Ronen Steinke
## TAGS
Cyberkriminalität
Schwerpunkt Überwachung
Schwerpunkt Überwachung
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