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# taz.de -- Wahlen in Estland: Die Rechten siegen
> Die Esten halten fest an ihrer Regierung, die sie durch die Finanzkrise
> brachte. Die Sozialdemokraten fordern den Ausbau des Sozialsystems und
> eine Steuerreform.
Bild: Darf weitermachen: Mit einem rigiden Sparkurs hatte Premierminister Andru…
STOCKHOLM taz | Klare Verhältnisse herrschen nach den Wahlen vom Sonntag in
Estlands Parlament. Die zwei Rechtsparteien, die auch schon bislang die
Regierung stellten, kamen auf 56 der 101 Sitze, zwei Parteien der linken
Opposition teilen sich die restlichen 45. Die "Grünen" verloren ihre
bisherigen sechs Mandate und scheiterten mit 3,8 Prozent deutlich an der
Fünf-Prozent-Sperrklausel. Auch der linke "Volksverbund" kam nicht mehr ins
Parlament. Premierminister Andrus Ansip kündigte an, er wolle die bisherige
Koalition seiner liberalen "Reformpartei" mit der konservativen "IRL"
fortsetzen.
"Võid kindel olla!" ("Du kannst dir sicher sein!"), der Wahlslogan der
"Reformpartei", überzeugte also offenbar eine Mehrheit der EstInnen in
unsicheren Zeiten auf erprobte politische Kräfte zu setzen. Mit einem
kompromisslosen Sparkurs hatte die Regierung Ansip das Land durch die
schwere Wirtschafts- und Finanzkrise gesteuert und damit verhindert, dass
Estland anders als Nachbar Lettland von EU und Internationalem
Währungsfonds vor dem Staatsbankrott gerettet werden musste.
Nun steht Estland auf dem Papier mit den stärksten Staatsfinanzen der
Euro-Zone da – die Gemeinschaftswährung führte man mitten in der Euro-Krise
als 17. EU-Land zum 1. Januar ein – und die wirtschaftlichen Kennzahlen
zeigen wieder vorsichtig nach oben.
Die Kehrseite der Medaille: Die Wirtschaftskrise kostete ein Fünftel des
Sozialprodukts, der Sparkurs liess die Löhne um teilweise mehr als ein
Viertel schrumpfen und die Arbeitslosigkeit stieg auf über 20 Prozent an.
Offiziell liegt sie nun bei knapp 11 Prozent, tatsächlich wird sie auf über
16 Prozent geschätzt. Zusätzlich leben fast zehn Prozent der Bevölkerung
als Arbeitsmigranten im Ausland. Laut Umfragen würden ihnen weitere 15
Prozent am liebsten so schnell wie möglich folgen.
##
Arbeitslosigkeit, ein unterfinanziertes Sozialsystem mit einem vom Kollaps
bedrohten Gesundheitswesen und ein einheitlicher Steuersatz von 22 Prozent,
der Gutverdienende begünstigt, waren Wahlkampfthemen, mit denen vor allem
die Sozialdemokraten punkten konnten. Mit dem von ihnen geforderten "Uus
algus" ("Neuer Start") konnten sie ihre Mandate von 10 auf 19 fast
verdoppeln und haben sich nun auf dem linken Parteiflügel als
ernstzunehmende Konkurrenz zur linkspopulistischen "Zentrumspartei"
positioniert. Beide Parteien möchten ein Estland, dessen Sozialsystem sich
mehr am skandinavischem Vorbild orientiert.
Um das finanzieren zu können, müsste allerdings als erstes die jetzige
"Flat Tax" zu einem progressiven Einkommenssteuersystem umgebaut werden.
Sozialdemokraten und Zentrum fordern eine solche Reform ebenfalls. Andrus
Ansip, der als Regierungschef seit 2005 verschiedene Koalitionen führte,
lehnt dies mit Hinweis auf den sonst drohenden Verlust der internationalen
Konkurrenzfähigkeit ab. Für die neuen Arbeitsplätze, die das Land so
dringend benötigt, hat Ansip allerdings auch kein Rezept. Ersatzweise
versprach er im Wahlkampf aber schon einmal, Estland werde in einigen
Jahren zu den fünf reichsten Ländern der Welt gehören.
Die derzeitige Realität sieht etwas anders aus. Für Menschen, die von 80
Euro Sozialhilfe oder 130 Euro Rente leben sollen, ist eine fünfprozentige
Preissteigerungsrate keine Kleinigkeit. Und laut letzter Eurostat-Statistik
ist Estland das siebtärmste Land der EU und das ärmste der Euro-Zone.
7 Mar 2011
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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