# taz.de -- Tote im Afghanistan-Krieg: Tödliche Erfolge | |
> Seit dem Einmarsch in Afghanistan 2001 sind nicht mehr so viele | |
> Zivilisten getötet worden wie 2010. US-Befehlshaber Petraeus spricht von | |
> großen militärischen Fortschritten. | |
Bild: Die Menschen in Afghanistan werden im Krieg zwischen Militär und Aufstä… | |
KABUL taz | 2.777 afghanische Zivilisten wurden im Jahr 2010 getötet - mehr | |
als je zuvor seit der US-geführten Militärintervention gegen das | |
Taliban-Regime Ende 2001 und 15 Prozent mehr als 2009. Das geht aus dem | |
neuen Jahresbericht "zum Schutz von Zivilisten in bewaffneten Zivilisten" | |
hervor, den die Vereinten Nationen sowie die Unabhängige Afghanische | |
Menschenrechtskommission (AIHRC) traditionell gemeinsam herausgeben. | |
Überdurchschnittlich stieg die Zahl der getöteten Kinder - um 21 Prozent. | |
Das Dokument verweist auch auf die Ursachen der erneuten Gewalteskalation. | |
2010 sei von "einem Anstieg der Aktivitäten regierungsfreundlicher Kräfte" | |
- zu denen neben den afghanischen Sicherheitskräften die Schutztruppe Isaf | |
sowie US-Sondereinheiten gehören - "und einer vermehrten Einsatzes | |
improvisierter Sprengsätze und gezielter Morde durch regierungsfeindliche | |
Kräfte" gekennzeichnet gewesen. Dabei werden den Aufständischen drei | |
Viertel aller zivilen Opfer angelastet. 16 Prozent gehen auf das Konto der | |
afghanischen und der westlichen Truppen; die verbleibenden 9 Prozent waren | |
nicht klar zuzuordnen. | |
Die Zahl der bei US- und Nato-Luftangriffen getöteten Zivilisten sank | |
gegenüber 2009 um die Hälfte. 2009 hatte aber auch der mit etwa 90 | |
Todesopfern besonders folgenreiche Angriff auf die beiden Tanklaster bei | |
Kundus stattgefunden, an dem auch Deutschland beteiligt war. | |
Statistik ist eben nicht alles. In der Wahrnehmung in Afghanistan fallen | |
nach wie vor gerade die Opfer westlicher Militäroperationen ins Gewicht. | |
Das zeigen gerade zwei Fälle in der Ostprovinz Kunar. Am 1. März hatte eine | |
US-Hubschraubercrew neun Jungen im Alter zwischen 8 und 14 Jahren beim | |
Holzsammeln im Wald fälschlicherweise für durchziehende Rebellen gehalten | |
und erschossen. | |
Zuvor waren bei viertägigen gemeinsamen Operationen afghanischer und | |
westlicher Soldaten um den 20. Februar, einschließlich Luftangriffen, | |
insgesamt 60 Menschen getötet worden, darunter 20 Frauen und 29 Kinder und | |
Jugendliche. Besonders hatte für böses Blut gesorgt, dass der Befehlshaber | |
aller in Afghanistan eingesetzten Truppen, US-General David Petraeus, in | |
einem anschließenden Treffen mit Präsident Karsai behauptete, Dorfbewohner | |
hätten ihre Kinder verbrannt, um die Zahl ziviler Opfer zu übertreiben und | |
sie den USA anzulasten. | |
Und nicht alle Morde, die UN und AIHRC den Taliban anlasten, gehen auch | |
wirklich auf ihre Kappe - etwa in der Südprovinz in Kandahar. In der | |
Heimatprovinz von Präsident Hamid Karsai verwenden regierungstreue | |
Einheiten Taliban-ähnliche Methoden, allen voran dessen jüngerer Bruder | |
Ahmad Wali Karsai mit seiner Kandahar Strike Force, einer irregulären | |
Miliz, die zusammen mit CIA-Spezialkräften operiert. Sie bildet das Zentrum | |
eines Netzes aus regulären Polizeieinheiten, sogenannten Stammesmilizen | |
sowie privaten Sicherheitsfirmen, die sich nicht immer voneinander | |
abgrenzen lassen. | |
Unterdessen bereit sich General Petraeus auf eine Anhörung nächste Woche in | |
Washington vor. Kernaussagen sind bereits vorab in die Medien gelangt. | |
Demnach will der General eine Erfolgsbilanz ziehen: Erfolge in den | |
Taliban-Zentren in Südafghanistan, um Kabul und im Norden, darunter der | |
"Bundeswehr-Provinz" Kundus - alles dank der 1.600 Einsätze von | |
Spezialeinheiten in den letzten drei Monaten, etwa 18 pro Nacht. Weniger | |
dürfte ihm die Überschrift der Washington Post von Montag gefallen haben: | |
"Zivile US-Offensive unzureichend beim Aufbau der Lokalregierungen". | |
9 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Abzug aus Afghanistan: Die erste Etappe beginnt | |
Drei Provinzen und vier Provinzhaupstädte gehen im Sommer in die | |
Verantwortung des afghanischen Militärs. Die komplette Übergabe soll bis | |
2015 abgeschlossen sein. | |
Tod einer Zivilistin in Afghanistan: Schwere Vorwürfe gegen Bundeswehr | |
Die afghanische Polizei beschuldigt deutsche Soldaten, bei einer Patrouille | |
in Nordafghanistan eine Frau erschossen zu haben. Der Fall werde "mit | |
Hochdruck" untersucht, so ein Bundeswehrsprecher. | |
Kommentar Tote in Afghanistan: Realität off the records | |
Die Nato gibt viel Geld für eine positive Darstellung des | |
Afghanistan-Einsatzes aus. Die Realität sieht anders aus. Das belegen die | |
neuen Zahlen über zivile Opfer einmal mehr. | |
Polizeiausbildung am Ende: Abzug aus Afghanistan beginnt | |
2011 soll im Nordosten Afghanistans keine Schulung einheimischer Polizisten | |
durch deutsche Ausbilder mehr stattfinden. Das lässt den Bundeswehrabzug | |
wahrscheinlich werden. | |
Verteidigungsminister De Maizière: Merkels wichtigster Soldat | |
Ein Darsteller geht, ein Mechaniker kommt. Thomas de Maizière rückt an | |
Guttenbergs Stelle. Gut für den neuen Minister, dass er die Armee von | |
Kindheit an kennt. | |
Frauenhäuser in Afghanistan: Etappensieg für NGOs | |
Die afghanische Regierung lässt den Frauenhäusern im Land ihre | |
Unabhängigkeit. Die Frauenministerin wollte wohl die konservative | |
Parlamentsmehrheit beeindrucken. |