# taz.de -- Streit der Woche: „Diktatoren geraten unter Druck“ | |
> Das Zeitalter der willkürlichen Herrscher ist vorbei, meint der | |
> Politologe Lothar Brock. Neue Diktaturen können jederzeit entstehen, | |
> entgegnet die Totalitarismusforscherin Francesca Weil. | |
Bild: "Richtet ihn hin" fordern Demonstranten auf einer Anti-Gaddafi-Kundgebung… | |
BERLIN taz | Vier Wochen nach dem Sturz des ägyptischen Machthabers Husni | |
Mubarak sieht der Politikwissenschaftler Lothar Brock die | |
zusammenbrechenden Diktaturen in der arabischen Welt als Anzeichen für ein | |
generelles Sterben autoritärer Regime. „Diktatoren geraten zunehmend unter | |
Druck“, schreibt Brock im Streit der Woche der sonntaz. | |
Seit der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes im Jahre 2002 | |
würden die Verbrechen, die Diktatoren systematisch an der eigenen | |
Zivilbevölkerung begingen, nicht mehr länger hingenommen. „Natürlich | |
bedeutet die Weiterentwicklung des Rechts kein Ende von Straftaten. Aber | |
sie bedeutet ein Ende der Möglichkeit, willkürliche Gewalt als Wahrnehmung | |
öffentlicher Anliegen zu rechtfertigen“, schreibt Brock. | |
Francesca Weil, Totalitarismusforscherin am Dresdner | |
Hannah-Arendt-Institut, sieht die Gefahr der Entstehung neuer Diktatoren | |
hingegen als noch nicht gebannt. „Die Veränderungen in der arabischen Welt | |
sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der Welt zahlreiche andere | |
Diktatoren herrschen, deren Macht und Einfluss gegenwärtig nicht | |
unmittelbar zur Disposition stehen“, schreibt sie im Streit der Woche. | |
Der Bestand von Demokratien sei nicht dauerhaft gesichert, schreibt Weil. | |
„Solange begründete Verunsicherungen, Ängste wie Zweifel von Teilen der | |
Bevölkerung in demokratisch verfassten Ländern die Sehnsucht nach einem | |
starken Staat und einer damit verbundenen charismatischen Führung wecken.“ | |
Der italienische Philosoph und Journalist Flores D'Arcais wirft der | |
Europäischen Union Versäumnisse bei der Demokratisierung im Nahen Osten | |
vor: „Europa hätte seit Jahren schon eine aktive Rolle zugunsten der | |
Demokratie in Nordafrika einnehmen können und müssen.“ | |
Stattdessen habe die EU jedoch die Unterwürfigkeit gegenüber den Tyrannen | |
vorgezogen, weil Geld nicht stinke - „und womöglich auch, weil die | |
europäischen politischen Kräfte in immer geringerem Maße auch im eigenen | |
Land die Demokratie als Verpflichtung betrachten“, kommentiert D'Arcais in | |
der sonntaz. | |
Florian Musil, der an der Uni Wien zu den Themen Diktatur und | |
Transformation forscht, meint, dass vielen Bürgern in Diktaturen die | |
Notwendigkeit der grundlegenden Freiheitsrechte erst dann bewusst werde, | |
wenn sie beim Versuch, ihr Leben zu meistern, mit dem Regime in Konflikt | |
gerieten. Das genaue Gegenteil könne in Demokratien geschehen, ist sich | |
Musil sicher. | |
„Menschen, die dort Probleme haben, ihr Leben zu meistern, kämpfen manchmal | |
eben nicht um eine Stärkung ihrer Bürgerrechte, sondern verlieren ihr | |
Vertrauen in die Politik und sehnen sich nach einer starken Hand, die alles | |
für sie regelt“, sagte Musil taz.de. So könne sich der historische | |
Kreislauf Demokratie – Hierarchie weiter drehen und mit ein wenig Charisma | |
oder einer entsprechenden Hausmacht setze sich wieder ein Diktator an die | |
Spitze eines Staates. | |
Im Streit der Woche in der aktuellen sonntaz diskutieren außerdem | |
taz.de-Leser Kevin Culina, der ungarische Journalist Márton Gergely und die | |
Autorin Sonja Margolina, die in Moskau geboren wurde und heute in Berlin | |
lebt. | |
11 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Rohm | |
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