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# taz.de -- NPD-Wahlkampf in Sachsen-Anhalt: Nehmt der Mama die Pille weg
> Die NPD hat gute Chancen, in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzuziehen.
> Auf der einzigen Wahlkampfveranstaltung zelebriert sie sich selbstbewusst
> und mit kruden Thesen.
Bild: Die NPD auf Wahlkampftour. In Hamburg hat es nicht gereicht, jetzt ist de…
BARLEBEN taz | Star der ersten, letzten und einzigen Wahlkampfveranstaltung
der NPD in Sachsen-Anahlt am Sonnabend in Barleben bei Magdeburg war nicht
Spitzenkandidat Matthias Heyder, sondern der ehemalige Krauschwitzer
SPD-Bürgermeister Hans Püschel. Noch ist er nicht NPD-Mitglied, aber mit
ihm erhofft sich die rechtsextreme Partei sogar ein Direktmandat im Raum
Weißenfels.
Als sei der Karneval noch nicht vorüber, deklamierte er zum Gaudi der 150
Deutschnationalen Otto Reutters Couplet "Kinder, Kinder, sorgt für Kinder!"
Deutsche Kinder selbstverständlich. Die Aufforderung, der Mama "doch mal
die Pille wegzunehmen", quittierte die Handvoll anwesender Damen allerdings
mit Murren.
Ansonsten war von der "Gute-Laune-Partei NPD", so der JN-Landesvorsitzende
Michael Schäfer, wenig zu spüren in der Mittellandhalle, deren Nutzung man
sich mit einem Anmeldetrick erschlichen hatte. Denn "Deutschland liegt in
Leid und Schmerz", wie der nationale Barde Jörg Hähnel klagte. Und nur die
NPD vermag das geliebte Vaterland, in diesem Fall das Bundesland
Sachsen-Anhalt, aus dem Elend zu erlösen.
Der sicher geglaubte "fulminante Erfolg", so Wahlkampfleiter Holger Apfel,
am 20.März soll ein weiterer Schritt auf diesem Weg sein. Wenn die Umfragen
der Partei schon fünf Prozent bescheinigen, scheint das Wahlziel "sieben
plus" nicht einmal so fern.
60 000 Plakate, eine Million Wahlkampfzeitungen, professioneller
Internet-Auftritt, eine Schulhof-CD, 10.000 Erstwähler direkt angeschrieben
– es ist ein Prestigewahlkampf für die vereinigte NPD. Unter der
strategischen Führung des sächsischen Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel
erhofft man sich "Synergieeffekte" für die Folgewahlen in diesem Jahr, wie
er im taz-Gespräch sagt. Das angestrebte Image der "Kümmererpartei" könnte
in Sachsen-Anhalt besonders verfangen. Die neun Amtsjahre des
Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer hätten das Land stabilisiert, lobt sich
die CDU selbst. Doch die NPD zielt sehr gekonnt auf die, die sich in dieser
Behauptung nicht wieder finden.
Da spielt es keine Rolle, dass selbst Spitzenkandidat Heyder in seiner Rede
einräumte, die NPD habe "keine Patentrezepte für die Herausforderungen
dieser Zeit". Denn "die anderen haben sie auch nicht", und darauf baut die
NPD, obschon sie nicht mehr als reine Protestpartei gelten will. Auf diese
Weise war 1998 die nunmehr mit der NPD vereinigte Deutsche Volksunion DVU
in Sachsen-Anhalt aus dem Nichts auf 12,9 Prozent emporgeschnellt.
Auf solche Spontanität verlässt sich die NPD 2011 nicht. Seit einem halben
Jahr bereitet sie den Wahlkampf vor. Wie üblich ein Wahlkampf aus der
Deckung, fast ausschließlich medial und ohne öffentliche Präsenz von
Kandidaten. Die Chancen von Spitzenkandidat Matthias Heyder würden
andernfalls wohl auch drastisch sinken. In Barleben las der steif, aber
fanatisch wirkende Kahlkopf eine hanebüchene Rede ab. Den "Blockparteien"
unterstellte er "Hoch- und Landesverrat", wetterte gegen die
Rechtschreibreform, die den Kindern die Lektüre der Klassiker verwehre, von
der EU will er die Glühlampe wiederhaben und von den Ägyptern erhofft er,
"dass sie uns den Weg in die Freiheit bahnen".
Ob der NPD die [1][Veröffentlichung ihres internen Mailverkehrs in der taz]
und anderen Medien geschadet habe? Holger Apfel grinst. Das sei zwar
unangenehm, aber wirkliche Neuigkeiten seien nicht zu lesen gewesen. Apfel
glaubt nicht an ein U-Boot in den eigenen Reihen, sondern an
Datendiebstahl. Und im Übrigen sei "Negativ-Propaganda immer noch besser
als gar keine Beachtung", wie sich am sächsischen Beispiel gezeigt habe.
Von einer Gegendemonstration war in Barleben nichts zu sehen. Und in
Dessau, wo am gleichen Tag der Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg
gedacht wurde, fanden sich nur 500 Demonstranten gegen 140 marschierende
Nazis ein. "Mehr sind in Dessau nicht zu mobilisieren", bedauerte eine
Teilnehmerin. Auch das lässt die Chancen der NPD in Sachsen-Anhalt steigen.
Für die kommende Woche hat die noch einen nicht näher bezeichneten medialen
Coup angekündigt.
13 Mar 2011
## LINKS
[1] /1/politik/deutschland/npd-mails/
## AUTOREN
Michael Bartsch
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