# taz.de -- Debatte Libyen: Helft dem neuen Libyen! | |
> Eine junge, linke Bewegung trägt die Revolte in Libyen. Sie will keinen | |
> Einmarsch - braucht aber die Flugverbotszone gegen Gaddafi. | |
Bild: Ein Gaddafi-treuer Soldat posiert vor einem Tor zu Adschdabija. | |
Was in Libyen vor sich geht, ist kein Bürgerkrieg, sondern der Aufstand | |
eines Volkes gegen einen Tyrannen, seine Familie und seine Söldner. Dieser | |
Aufstand ist vergleichbar mit dem europäischen Widerstand gegen die Mächte | |
des Faschismus in den 1930er- und 1940er-Jahren. | |
Die libysche Revolution vom 17. Februar 2011 wird angeführt von der Jugend | |
und von Demokraten, die ihre Geschichte im Land selbst haben. Mit dem Wind | |
der Ereignisse von Tunesien und Ägypten im Rücken haben sie sich gegen die | |
Tyrannei erhoben. Wenn wir diesen Schrei nach Freiheit nicht in den | |
Mittelpunkt all unserer Aufmerksamkeit stellen, diesen Schrei, der von | |
unten kommt, dann missverstehen wir völlig den Charakter dieser Erhebung. | |
Das neue Libyen, das aus der Zerstörungen und aus den Massakern an | |
Zivilisten entstehen muss, wird ein junges Land sein. Die Jungen, die nie | |
ein anderes System kennen gelernt haben, sind die Protagonisten. Was | |
Freiheit bedeutet, haben sie im Internet gelernt. Das Netz hat das | |
politische Vakuum aufgefüllt, das durch Gaddafis Repression in Libyen | |
entstanden war. An all den Informationen aus dem Ausland, aber auch aus | |
Libyen selbst, an den Möglichkeiten der Vernetzung ist diese Generation | |
gewachsen und hat dem Protest gegen das Regime eine ganz neue Energie | |
gegeben. | |
## Die libysche Gesellschaft ist aufgewacht | |
Aber was hat die Revolte ausgelöst? Libyen ist ein reiches Land. Aber die | |
Libyer sind arm. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Schere zwischen den | |
wenigen Reichen und den vielen Armen klafft immer weiter auseinander. Die | |
Daten der libyschen Zentralbank sprechen eine klare Sprache: 30 Prozent der | |
Jungen im arbeitsfähigen Alter sind ohne Beschäftigung, 20 Prozent der | |
Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Merkwürdige Zahlen für ein Land | |
mit nur 6 Millionen Einwohnern, aber mit Gas- und Ölvorkommen, die zu den | |
bedeutendsten in Afrika zählen. | |
Die Jungen blicken nach Europa, in die USA, sie haben im Internet die | |
Freiheit gefunden, die ihr Land ihnen verweigert hat. Sie sind die | |
entscheidenden, aber nicht die einzigen Träger der Revolte. Es gab und gibt | |
eine libysche Zivilgesellschaft - und sie ist aufgewacht: Anwälte, Richter, | |
Freiberufler und Kaufleute, Angestellte und Arbeiter, die lange mit | |
gesenktem Haupt unterwegs waren, sagen: Es ist genug! Schon vor fünf | |
Jahren, im Februar 2006, zeigten sich die ersten Anzeichen dafür, als es | |
eben in Bengasi, dem Zentrum der heutigen Revolution, zu Demonstrationen | |
vor dem italienischen Konsulat kam. | |
Dabei ging es keineswegs, wie behauptet, nur um die Mohammed-Karikaturen: | |
Das Gespenst einer radikal-islamischen Bewegung haben der Tyrann und sein | |
Sohn, Seif Islam, heraufbeschworen, um die Opposition im Westen zu | |
diskreditieren. In der Kyreneika gibt es kein islamisches Emirat und auch | |
keine Zelle von al-Qaida. In allen befreiten Städten gab es Demonstrationen | |
von Frauen - und sie waren nicht verschleiert. Drei Frauen sitzen im | |
Provisorischen Nationalrat. | |
Die Fahne, welche die Revolutionäre schwenken, ist auch nicht die Fahne des | |
Königs oder des Stammes der Senussi, sondern der libyschen Unabhängigkeit. | |
Ich selbst hätte auf Grund meiner persönlichen und politischen Geschichte | |
mit der roten Fahne in der Hand demonstriert - aber ich und meine | |
Generation sind eben nicht die Träger dieser Bewegung. Die monarchistische | |
Strömung in ihr ist jedenfalls sehr klein. | |
## Angst vor einem Machtvakuum | |
Man hört immer wieder von der Angst vor einem Machtvakuum. Dabei ist die | |
alternative Struktur in den befreiten Städten bereits voll funktionsfähig. | |
Dort haben sich Volkskomitees gebildet, die über alle Belange des | |
städtischen Lebens entscheiden. Sie bestehen aus Freiwilligen, die sich all | |
der Versäumnisse der Vergangenheit annehmen. Die Beschlüsse werden in | |
Fotokopien auf den Straßen verteilt. In Bengasi konnte nicht nur der | |
öffentliche Nahverkehr wieder aufgenommen werden, sondern auch der Schutz | |
öffentlichen Eigentums durch freiwillige Wachtrupps ist gesichert. | |
Die Koordinationsstelle dieser Komitees arbeitet bereits am Entwurf zu | |
einer Verfassung - der ersten seit 42 Jahren, in der die Menschenrechte und | |
der Pluralismus verankert sein werden. Doch wie auch immer der Kampf | |
ausgeht: Das Antlitz des Landes hat sich bereits fundamental verändert. | |
Der libysche Frühling ist eine junge und eine linke Bewegung. Doch um auf | |
diesem Weg weiter voranzugehen, muss die Struktur der libyschen | |
Gesellschaft verändert werden. Sorge bereitet vor allem die soziale und | |
rechtliche Lage der Millionen ausländischer Arbeiter (circa 25 Prozent der | |
Bevölkerung), die das alte Regime in sklavenähnlichen Zuständen ausbeutete. | |
Gaddafi ist am Ende. Schon 1973, vier Jahre nach der Revolution, war von | |
dem freiheitlichem Programm seiner damaligen Offiziere nichts mehr übrig | |
als brutale Unterdrückung. Die Universitäten wurden mundtot gemacht, die | |
alten Mitstreiter entfernt oder ermordet, die Gewerkschaften verboten. Im | |
Ausland ließ Gaddafi zahllose Oppositionelle töten. Am 26. Juni 1996 wurden | |
im Abu-Salim-Gefängnis 1.200 politische Gefangene mit Maschinengewehren | |
ermordet. | |
Grundlage seines Regimes, das die Ressourcen des Landes verschleudert, sind | |
allgegenwärtige Überwachung und Bestechung. Unter Gaddafi sind nicht | |
moderner Staat und Gesellschaft entstanden, sondern ein korruptes und | |
korrumpierendes Regime, das die Unterstützung anderer Diktaturen suchte und | |
sich auf Kriegsabenteuer (Uganda, Tschad) einließ. | |
Gaddafi hat lange genug die Fahne des Antiimperialismus und | |
Antikolonialismus geschwungen. Aber schon lange macht er schmutzige Deals | |
mit den reichen Ländern und ist dabei vor allem immer um seine persönliche | |
Sicherheit besorgt. Uns, der libyschen Opposition, ist klar, dass viele | |
sich nichts sehnlicher wünschen als den uneingeschränkten Zugriff auf das | |
libysche Öl. Deswegen sind wir gegen jede militärische Intervention. Aber | |
wir brauchen die Flugverbotszone, um den mörderischen Oberst am Einsatz | |
seiner Luftwaffe zu hindern. | |
Übersetzung aus dem Italienischen: Ambros Waibel | |
15 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Farid Adly | |
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