# taz.de -- Unterschätzte Abklingbecken in Fukushima: Keine 48 Stunden mehr Ze… | |
> Die Abklingbecken am Akw wurden völlig vergessen. Nun versuchen | |
> Rettungskräfte, sie wieder mit Wasser zu füllen. Sonst schmelzen die | |
> alten Brennstäbe und verseuchen die Anlage. | |
Bild: Das Bild stammt von einem Flug über das Kraftwerk am Mittwoch und zeigt,… | |
BERLIN taz | Auf der Liste der potenziellen Sprengsätze, die die | |
Atomkatastrophe von Fukushima eskalieren lassen könnten, stand Block 4 des | |
Kraftwerks bisher weit hinten. Denn anders als die benachbarten Blöcke 1, 2 | |
und 3 fand in seinem Kern keine Kettenreaktion statt, als Erdbeben und | |
Tsunami am Freitag vor einer Woche den Standort an der Ostküste Japans | |
erschütterten. Der Ausfall der Kühlsysteme an den heißen Blöcken 1 bis 3 | |
mit den folgenden Explosionen zog die Aufmerksamkeit auf sich. Das war | |
offenbar ein fataler Fehler. | |
Denn an Block 3 und 4 kann sich in den nächsten 48 Stunden das Schicksal | |
von Fukushima und möglicherweise auch des gesamten Landes entscheiden. Die | |
Abklingbecken, in dem die abgebrannten Brennelemente lagern, sind nach den | |
widersprüchlichen Angaben der japanischen Behörden ganz oder fast | |
vollständig trocken gefallen. | |
Die Rettungsmannschaften haben große Probleme, überhaupt zum Becken 4 | |
vorzustoßen: Offenbar behindern hohe Strahlung und Trümmer dort einen | |
Einsatz vom Boden aus. Durch das noch intakte Dach können Hubschrauber kein | |
Wasser in das Becken ablassen. | |
An Block 3, wo es ähnliche Probleme mit dem Abklingbecken gibt, wird | |
immerhin noch gekämpft: Immer wieder überfliegen Hubschrauber mit | |
Wasserladungen den offenen Reaktor, über dem extrem hohe Strahlendosen | |
gemessen werden. | |
## Der Großteil geht daneben | |
Weil die Helikopter nicht stoppen und zielen können, geht viel Wasser | |
daneben. Dieser Block wiederum gilt als der giftigste der durchgebrannten | |
Reaktoren, denn er wird offenbar mit den Mischelementen MOX betrieben, die | |
auch Plutonium enthalten - im Reaktorkern und in den Brennelementen im | |
Abklingbecken. | |
"Freitag oder spätestens Samstag entscheidet sich, ob die Elemente noch | |
gekühlt werden können", sagt Sebastian Pflugbeil, der Präsident der | |
Gesellschaft für Strahlenschutz" (GS). "Falls nicht, kommt es zur | |
Katastrophe." Dieses Szenario wird auch bei der Gesellschaft für | |
Reaktorsicherheit (GRS) toternst genommen. Und der Chef der | |
US-Atomregulierungsbehörde NRC, Gregory Jaczko, warnt ebenfalls vor einem | |
Zustand, in dem die Brennelemente trocken fallen. | |
Der Reaktor 4 war leer, weil die Anlage vor kurzem gewartet wurde - unter | |
anderem von einem Team deutscher Spezialisten von Areva NP. Dabei wurden | |
die Brennstäbe in das Abklingbecken versetzt. Weil auch dort nach dem | |
Stromausfall an den Pumpen die Kühlung versagte, kochte das Wasser langsam | |
hoch - über die letzten Tage bis auf 84 Grad Celsius, ehe die Messreihe | |
abreißt, die die Atombehörde IAEA veröffentlichte. | |
Bereits am Dienstag war am Brennelementebecken in Block 4 ein Feuer | |
ausgebrochen. Eine Explosion riss zwei etwa acht Quadratmeter große Löcher | |
in die Wand, ein zweites Feuer folgte. Die Lage ist so heikel, dass selbst | |
Tepco-Manager Hikaru Kuroda zugibt, eine Einschätzung der Lage sei nur | |
"visuell von weit weg" möglich. | |
Von den Blöcken 1 und 2, die bislang im Fokus standen, ist nicht mehr viel | |
zu hören in den offiziellen Verlautbarungen. Letzte Meldungen besagen, dass | |
in ihnen die Kernschmelze in vollem Gange ist: Etwa 80 Prozent der | |
Brennstäbe in Block 1 seien geschmolzen, hieß es bereits Mittwoch. | |
## Die Brennelemente könnten schmelzen | |
Der Druckbehälter, die Ummantelung des radioaktiven Kerns, ist offenbar bei | |
Block 2 und 3 schon seit längerer Zeit beschädigt. Anscheinend halten in | |
allen Reaktoren aber die Druckbehälter dem enormen Stress durch innere | |
Hitze und Druck immer noch stand. Regelmäßig wurde der radioaktive Dampf | |
aus ihnen abgelassen. | |
Das aktuelle Horrorszenario der Experten sieht deshalb so aus: Wenn nicht | |
schnell Wasser in die Abklingbecken von Block 4 und Block 3 gepumpt wird, | |
schmelzen die Brennelemente und entlassen so viel Radioaktivität, dass sie | |
die gesamte Anlage Fukushima I verseuchen. | |
Schon jetzt werden nach offiziellen Messungen der japanischen Behörden am | |
Block 3 rund 400 Millisievert Strahlung gemessen, die ein Arbeiter nur | |
kurze Zeit aushält. Schmilzt aber das Abklingbecken, würde der Standort | |
geräumt, sagt Pflugbeil. Und auch Sven Dokter von der GRS kann "so ein | |
Szenario nicht ausschließen, wenn die Dosen so hoch werden, dass dort | |
niemand mehr arbeiten kann". | |
Ohne Menschen keine Kühlung, und ohne Kühlung wäre die Kernschmelze an den | |
Reaktoren 1, 2, 3, 5 und 6 nicht zu verhindern. Die Hitze wäre so stark, | |
dass auch die Brennelemente in den Abklingbecken und im benachbarten | |
anscheinend gut gefüllten atomaren Zwischenlager zu Strahlungsquellen | |
würden. Selbst über eine "Re-Kritikalität" diskutieren die | |
Atomspezialisten: über die Gefahr, dass im geschmolzenen Nuklearmaterial | |
von selbst wieder eine unkontrollierte Kettenreaktion beginnt. | |
Aber für den Mega-GAU wäre das gar nicht nötig. Denn nach Angaben der GRS | |
lagert auf dem Gelände von Fukushima I so viel atomares Material, dass | |
damit insgesamt etwa 15 Atomreaktoren betrieben werden könnten. "Von der | |
Menge des nuklearen Materials ist das ein Vielfaches von Tschernobyl", sagt | |
Dokter. "Und das ist sehr konservativ gerechnet." Das Münchner | |
Umweltinstitut kommt bei seinen Rechnungen sogar auf "mindestens die | |
120-fache Menge an radioaktivem Material" im Vergleich zu Tschernobyl. | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
## TAGS | |
Fukushima | |
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