# taz.de -- Atomunfall in Japan: Fahrt durch die Todeszone | |
> Ein Anti-Atom-Aktivist macht sich auf den Weg Richtung Fukushima, wo | |
> längst alle Bewohner evakuiert sind. Er sammelt eigene Daten zur | |
> Verstrahlung. | |
Bild: Auf dem Weg in die Gefahrenzone kommt der Anti-AKW-Aktivist durch die vom… | |
Der Mann, dessen Name hier unerwähnt bleiben soll, ist ein erfahrener | |
Anti-AKW-Aktivist und gerade mit dem Geigerzähler in der nordjapanischen | |
Krisenpräfektur Fukushima unterwegs. Er befindet sich in der Zone, die man | |
eigentlich nicht mehr betreten soll. Die japanische Regierung hat das Land | |
in einem 30-Kilometer-Radius rund um die brodelnden Atommeiler in Fukushima | |
zum atomaren Notstandsgebiet erklärt. Die Bewohner sind hier zum größten | |
Teil evakuiert. Der Aktivist befindet sich praktisch in einem Niemandsland. | |
Ein Land, das sehr wahrscheinlich auf Jahrzehnte unbewohnbar sein wird. | |
Noch weiß niemand, wie hoch dort jetzt die Radioaktivität ist. | |
Genau deshalb ist er da. Um die Radioaktivität zu messen. Um zu gucken, wie | |
es dort aussieht. Um zu wissen, was es bedeutet, wenn eine Apokalypse | |
möglicherweise Realität wird. "Es muss einfach gemacht werden. Ich will die | |
Strahlungswerte messen und die Öffentlichkeit informieren, wie verseucht es | |
hier ist", sagt der Aktivist am Telefon. | |
Er sammelt Pflanzen und Steine, er schaufelt Erde in Plastiktüten. Er füllt | |
Flusswasser ab. Die Dinge sollen später auf ihre Strahlenwerte untersucht | |
werden. Er hält seinen Geigenzähler an verschiedenen Orten in die Luft. Er | |
will mit unabhängigen Messwerten die Öffentlichkeit über die radioaktive | |
Strahlung vor Ort informieren. Ob er nicht davor Angst habe, selbst | |
verseucht zu werden? "Ich bin kein Anfänger. Ich passe auf. Keine Sorge!", | |
antwortet er ganz ruhig. In seiner Stimme ist kein aufgeregter Ton zu | |
vernehmen. | |
## Keine Kontrollen auf dem Weg in die Gefahrenzone | |
Erstaunlicherweise kontrolliert ihn niemand auf dem Weg in die | |
Gefahrenzone. Einmal folgt ihm ein Polizeiauto. Er überlegt, wie er es | |
loswerden kann. Er stoppt. Ein Polizist stellt ihm ein paar allgemeine | |
Fragen und sagt dann höflich: "Okay, Sie können weiterfahren, aber passen | |
Sie auf sich auf." Als ob es sich um eine ganz normale | |
Führerscheinkontrolle handeln würde. Die Polizei aber hatte offenbar gar | |
nicht im Sinn, den Fremden daran zu hindern, in die "Zone" zu fahren. | |
Die kleinen Städtchen Futaba und Okuma, die nächsten Wohnorte zu den | |
beschädigten AKWs, sind vom Erdbeben so zerstört, dass man sie überhaupt | |
nicht mehr wiedererkennen kann. Kein Haus steht mehr gerade. In den Straßen | |
zeigen sich Risse. Angesichts dessen wundere er sich nicht, dass auch die | |
AKWs gehörige Schäden erlitten, sagt der Aktivist. | |
Bis vor einer Woche führten die Menschen in Futaba und Okuma noch ein ganz | |
normales Leben: Kinder sind in die Schule gegangen, Eltern haben | |
gearbeitet, es wurde eingekauft, gekocht, gegessen. Jetzt nichts mehr | |
dergleichen. In der Zukunft auch nicht mehr. Doch so leicht wollen die | |
Bewohner ihr altes Leben nicht aufgeben. Einige kommen zurück, um ihre | |
wichtigsten Sachen zu retten, und verlassen schnell wieder die Gegend. Der | |
Aktivist schaut ihnen zu. | |
## Lange kann er nicht bleiben | |
Von seinem Aufenthaltsort sieht er die geschädigten Gebäude der Reaktoren | |
mit seinen eigenen Augen. Die Meiler, auf die jetzt die ganze Welt starrt, | |
deren weiterer Zustand möglicherweise über das Schicksal von Millionen | |
Menschen entscheiden wird. | |
Auch mitten in der Katastrophenzone verliert der Aktivist nicht seinen | |
Humor. Er macht Witze, dass das amerikanische Militärschiff "Ronald | |
Reagan", das ursprünglich für eine Rettungsaktion Kurs auf die Krisenregion | |
nahm, wegen der Strahlungsgefahr abdrehte. "Reagan würde sich beklagen, | |
dass seine Soldaten feige sind", lacht er am Telefon. Er ist jedenfalls | |
nicht feige. | |
Es ist ein Kampf um die Zeit. Sondereinheiten der Polizei, Soldaten der | |
Selbstverteidigungsarmee und Arbeiter der Atomkraftwerke setzen ihre | |
verzweifelten Aktionen rund um den AKW-Standort Fukushima fort. Nicht nur | |
vom Hubschrauber aus, wie man im Fernsehen sieht, auch mit besonderen | |
Wasserwerfern versuchen sie, Wasser auf die Unfallstellen zu gießen, um die | |
erhitzten Reaktoren und Brennelemente zu kühlen. | |
Auch für den Aktivisten ist es ein Kampf um Zeit. Lange kann er hier nicht | |
bleiben. Bald muss er aus der Evakuierungszone raus. Er will sich nicht | |
noch mal von der Verkehrspolizei erwischen lassen. Sicher ist sicher. | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Chikako Yamamoto | |
## TAGS | |
Fukushima | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Atomkatastrophen in der Literatur: Mehr als eine Weltuntergangsfantasie | |
Wer als Kind Gudrun Pausewangs "Die Wolke" las, begegnet jetzt vertrauten | |
Ängsten wieder: Die Atomangst ist archaisch. Chronik eines Schocks. | |
Flucht aus Tokio: "Mir kommen die Tränen" | |
Wer von einem Krisenort berichtet, hat meistens einen Rückweg offen. Aber | |
diesmal gibt es Freunde, Familie - hier wie dort. Unser Reporter über seine | |
Abreise aus Japan. | |
Japan-Ticker vom 17.3.2011: Stromkabel an Reaktor angelegt | |
Die japanische Selbstverteidigungsarmee bespritzt die Reaktoren 2 und 3 des | |
AKW Fukushima I mit Wasser, um es zu kühlen. An Reaktor 2 ist gelungen, ein | |
externes Stromkabel anzulegen. | |
Unterschätzte Abklingbecken in Fukushima: Keine 48 Stunden mehr Zeit | |
Die Abklingbecken am Akw wurden völlig vergessen. Nun versuchen | |
Rettungskräfte, sie wieder mit Wasser zu füllen. Sonst schmelzen die alten | |
Brennstäbe und verseuchen die Anlage. | |
Atomare Landesgeschichte Japans: Katastrophal friedliche Nutzung | |
Nach Hiroshima und Nagasaki: Warum ausgerechnet Japan, das bittere | |
Erfahrungen mit radioaktiver Strahlung hat, auf Atomenergie baut. | |
Liveticker Katastrophe Japan: Kampf um Fukushima | |
Der Wettlauf mit der Zeit im AKW Fukushima hält weiter an. 130 | |
Feuerwehrleute haben mit einem weiteren Kühlversuch begonnen. Aus | |
Reaktorblock 2 steigt weiter Rauch auf. |