# taz.de -- Atomunfall in Japan: Große Show mit wenig Worten | |
> Die Informationspolitik der Japaner sorgt zunehmend für Ärger. Sogar aus | |
> den USA kommt Kritik wegen mangelhafter und widersprüchlicher Meldungen. | |
Bild: Tepcos Vizechef Takashi Fujimoto bei einer der zahlreichen Pressekonferen… | |
OSAKA taz | Mehrmals täglich treten blässliche Männer in blauen | |
Arbeitsjacken in der Firmenzentrale des Energieversorgers Tokyo Electric | |
Power (Tepco) im Tokioter Bezirk Chiyoda vor einen Wald von Mikrofonen. | |
Auch Regierungssprecher Yukio Edano ist in seiner Ingenieurskluft fast rund | |
um die Uhr vor einer Batterie von TV-Kameras präsent. Der Blaumann soll | |
Zuverlässigkeit und Fachwissen ausstrahlen. Doch der große Aufwand ist | |
zumeist umgekehrt proportional zum Gesagten. Im In- und Ausland wachsen | |
Ärger und Frustration über die mangelhaften und widersprüchlichen Aussagen | |
und Erklärungen zu den Atomunfällen. | |
Die Tageszeitung Asahi warf der Regierung Versagen darin vor, die | |
Öffentlichkeit zu beruhigen. Man könne nicht die Evakuierungszone | |
verdoppeln und von einer Vorsichtsmaßnahme sprechen, ohne die Folgen einer | |
zuvor erfolgten Explosion zu erklären, kritisierte das Blatt. Das | |
Verteidigungsministerium warf Tepco und der Atombehörde sogar | |
Falschinformation vor, nachdem mehrere Soldaten bei einem Einsatz im | |
Kraftwerk verstrahlt wurden. "Wir haben ihnen geglaubt, als sie gesagt | |
haben, dass es sicher ist", klagte ein Beamter. | |
Bei den Tepco-Pressekonferenzen gibt es ebenfalls fast nur vage Auskünfte. | |
Ein Sprecher konnte den ganzen Donnerstag über nicht erklären, wie weit die | |
Arbeiten an einer neuen Stromleitung zum Kraftwerk fortgeschritten seien. | |
Essenzielle Informationen werden der Öffentlichkeit vorenthalten, zum | |
Beispiel aktuelle Kühlwasserpegel in Reaktoren und Abklingbecken oder der | |
Zustand der Brennelemente. "Dazu habe ich keine Informationen, ich werde | |
nachfragen", gehört zu den Standardantworten von Tepco-Sprechern. Ständig | |
werden Auskünfte zurückgenommen oder relativiert. | |
"Ihr Tepco-Leute sagt jedes Mal etwas anderes", beschwerte sich ein | |
japanischer Journalist wutentbrannt. "Wir wollen wissen, was los ist!" Als | |
ein Sprecher neue Erklärungen für Probleme im Kraftwerk lieferte, schnauzte | |
ein Reporter zurück: "Wenn Sie denken, dass wir nichts von Nukleartechnik | |
verstehen, dann sind Sie auf dem Holzweg!" | |
Von den USA entsandte Atomexperten verschaffen sich mittlerweile selbst | |
Informationen von höchsten Stellen in Tokio. Ergebnis: Die Japaner erfuhren | |
erst vom Chef der US-Atomsicherheitsbehörde Gregory Jaczko aus Washington, | |
die Brennstäbe im Abklingbecken von Reaktor 4 lägen trocken. In der Nähe | |
der Reaktoren seien die radioaktiven Dosen deshalb vermutlich so hoch, dass | |
sie für die Arbeiter eine tödliche Gefahr darstellten, so Jaczko am | |
Mittwoch. | |
## Mangelnde Transparenz | |
Inzwischen haben Australien, China und andere Regierungen die Japaner unter | |
Bruch aller diplomatischen Zurückhaltung zu einer offeneren | |
Informationspolitik aufgefordert. Doch als Regierungssprecher Edano | |
kommentieren sollte, warum die USA für ihre Bürger einen Abstand von 80 | |
Kilometer zum Nuklearkomplex Fukushima I vorgeschrieben hätten, während den | |
Japanern 20 Kilometer Evakuierungszone reichen, antwortete er lakonisch, | |
die Amerikaner hätten eben einen "konservativen Ansatz". | |
Auch die Regierung ist frustriert über die Salami-Informationstaktik von | |
Tepco. Am Mittwoch zogen daher knapp 20 Dutzend hohe Beamte unter | |
persönlicher Leitung von Premierminister Naoto Kan in die Konzernzentrale | |
ein und nehmen seitdem das Heft in die Hand. Wirtschaftsminister Banri | |
Kaieda ordnete zum Beispiel an, das Abklingbecken von Reaktor 4 mit Wasser | |
zu füllen. "Der Minister hielt das Problem für so gefährlich, dass es | |
sofortiges Handeln erforderte", so ein Beamter. | |
Zugleich wirkt die Regierung überfordert: So blieben Angebote aus Südkorea | |
und Frankreich, Borsäure zu liefern, unbeantwortet. Der Gouverneur der | |
Präfektur Fukushima, Yuhei Sato, beschwerte sich im öffentlich-rechtlichen | |
TV-Sender NHK, die Evakuierungsvorbereitungen in der Umgebung des | |
Nuklearkomplexes seien unzureichend. "Die Angst und Entrüstung der Menschen | |
in Fukushima haben den Siedepunkt erreicht." | |
Die mangelnde Transparenz hängt auch mit japanischen Gepflogenheiten | |
zusammen. Firmen und Individuen halten sich an das beliebte Sprichwort, | |
dass man einen Deckel auf stinkende Sachen tut: "kusai mono ni futa wo | |
suru". Zudem passen schnelles Handel und Improvisieren nicht zur | |
Entscheidungsfindung in Japan. Trotz klarer Hierarchien stimmt man sich so | |
lange in der Gruppe ab, bis alle einverstanden sind. | |
So funktionierte das Erdbeben- und Tsunami-Vorwarnsystem wie vorgesehen, | |
Zehntausende überlebten dank jahrelanger Übungen. Doch auf ein Desaster | |
entlang einer mehreren hundert Kilometer langen Küste sind Armee und | |
Katastrophenschutz genauso wenig vorbereitet wie auf schmelzende Brennstäbe | |
in einem halben Dutzend Atomreaktoren. | |
17 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
## TAGS | |
Fukushima | |
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