# taz.de -- Tagebuch einer Japanerin: "Plötzlich gingen alle Lichter aus" | |
> Sie hilft mit Getränken, steht Schlange für Essen und findet die Flucht | |
> der Ausländer übertrieben: Yuka Itakura aus Sendai schildert ihr Leben | |
> nach dem Erdbeben. | |
Bild: Alltag in Japan: Autofahrer versuchen, an einer Tankstelle Benzin zu beko… | |
Freitag, 11. März 2011 | |
Als das Erdbeben begann, fuhr ich gerade in meinem Auto auf einer großen | |
Straße mitten in Sendai. Plötzlich begannen die Hochhäuser und Hotels zu | |
schwanken. Es war beängstigend und alle Leute kamen auf die Straße | |
gelaufen. Plötzlich gingen alle Lichter aus, auch die Lichter der Ampeln. | |
Ich konnte nicht mehr weiter fahren. | |
Als das Erdbeben vorbei war, ließ ich meinen Wagen stehen und ging sofort | |
zu meiner Firma zurück. Das Gebäude, in dem meine Firma untergebracht ist, | |
hat 30 Stockwerke. Wir arbeiten im 17. Stock. Als ich dort ankam, waren | |
alle Mitarbeiter auf der Straße, in etwa 120 Leute. Glücklicherweise gab es | |
im Hotel nebenan noch Licht. | |
Dann erklang eine Sirene und mein Chef entschied, in die Filiale unserer | |
Firma in der angrenzenden Präfektur Fukushima zu fahren, weil es dort zu | |
diesem Zeitpunkt noch Licht, Wasser und Gas geben sollte. Über die Probleme | |
in den Atomkraftwerken war damals noch nichts bekannt. | |
Um uns herum, war es echt dunkel. Keine Ampeln, keine Leuchtreklame, keine | |
hell erleuchteten Lebensmittelgeschäfte, wie es sie normalerweise in der | |
Nähe unserer Firma gibt. Es war, als würde die Stadt nicht mehr | |
funktionieren. Es war wie in einem Film. | |
Wir fuhren also in die angrenzende Präfektur Fukushima. Dort hatte das | |
Erdbeben nicht so große Schäden angerichtet, die Tankstellen | |
funktionierten. Aber in den Supermärkten war alles schon ausverkauft. Wir | |
bekamen nur noch Kekse. In einem Restaurant schenkte man uns Brötchen. Bis | |
zu diesem Tag hatte ich vergessen, wie nett die Menschen in Japan sind. Die | |
erste Nacht verbrachten wir in der Filiale unserer Firma in Fukushima. | |
Samstag, 12. März 2011 | |
Am nächsten Tag fuhren wir wieder zurück nach Sendai. Normalerweise dauert | |
die Fahrt nur etwas mehr als zwei Stunden. Diesmal brauchten wir sieben | |
Stunden. Unterwegs haben wir viele Leute gesehen. Lange Schlangen an den | |
Tankstellen, kaputte Häuser, gesperrte Straßen, Stau. In Sendai waren die | |
Ampeln immer noch kaputt und auch Strom, Wasser und Gas gab es nicht. Ich | |
fuhr nach Hause. Mein Zimmer war nicht so schlimm betroffen. Es war | |
lediglich ein Regal umgefallen. Ich dachte nur: Gott sei Dank wohne ich im | |
Erdgeschoss! | |
Dass es auch noch einen Tsunami gegeben hatte, habe ich zuerst gar nicht | |
mitbekommen. Während des Bebens war ich ja mitten in Sendai und soweit kam | |
die Flutwelle nicht. Sie erreichte lediglich den etwa 20 Kilometer | |
entfernten Flughafen. Als ich zum ersten Mal davon im Radio erfuhr, | |
sprachen sie nur davon, dass auf einer der Hauptstraßen zwei bis drei | |
Menschen umgekommen seien. Deshalb dachten wir zuerst, es habe an der Küste | |
einen Autounfall gegeben, weil ja alles dunkel war und die Ampeln nicht | |
funktionierten. Erst als aus den zwei bis drei Menschen, einhundert Tote | |
und dann 200 bis 300 Tote wurden, bemerkte ich, dass sie von einem Tsunami | |
sprachen. | |
Sonntag, 13. März 2011 | |
Ich bin zur Arbeit gegangen. Wir, meine Kollegen und ich, wohnen meistens | |
alleine, weil wir Verkäufer sind und alle drei bis fünf Jahre den | |
Arbeitsort wechseln müssen. Unsere Familien wohnen meistens in Tokio oder | |
Osaka. Wir konnten niemanden anrufen. Es war nichst zu machen. Wir waren | |
damit beschäftigt, etwas zu Essen aufzutreiben. Die Restaurants waren alle | |
geschlossen. Unser Firmengebäude drohte außerdem einzustürzen, also zogen | |
wir mit den wichtigsten Dingen in das benachbarte Gebäude um. | |
Montag, 14. März 2011 | |
Wasser und Strom funktionierten nun bei uns wieder. Wir entschieden | |
deshalb, Leuten zu helfen, bei denen es noch kein Wasser gab und ihnen die | |
Getränke zu spenden, die unsere Firma verkauft. Meine Kollegen und ich sind | |
zu der Feuerwache gefahren, in der Essen für die Flüchtlinge gesammelt | |
wurde, obwohl wir kaum Benzin hatten. Dort gaben wir unsere Produkte ab, | |
natürlich ohne dafür Geld zu verlangen. Viele unserer Kartons waren zwar | |
halb kaputt, aber die Produkte waren trotzdem noch trinkbar. | |
Wir fuhren nicht nur zu Feuerwache, sondern auch zum Krankenhaus und in | |
Altersheime. Als ich die erfreuten Gesichter der Leute dort sah, hab ich | |
mich auch sehr gefreut. So konnten wir auch helfen. | |
Auch der Supermarkt öffnete an diesem Tag wieder, aber es bildeten sich | |
sofort unglaublich lange Schlangen davor. Man musste bis zu fünf Stunden | |
warten, um in den Supermarkt gehen zu können. Verrückt! | |
24. März 2011 | |
Nun, zwei Wochen nach dem Erdbeben, haben wir wieder genug Lebensmittel. | |
Zwar nicht so viele wie zuvor, aber es reicht um gut klar zu kommen. Die | |
Flüchtlinge in Ishinomaki oder Kesennuma sind viel schlimmer dran. Sie | |
haben noch immer nicht genug. Und dort gibt es auch noch immer keinen Strom | |
und keine Heizung. Und es ist bitterkalt. | |
Was die Atomkraft betrifft, sind wir ambivalent: Wir wollen Nachrichten und | |
Informationen über die Situation und die aktuelle Lage, aber wir reagieren | |
auch nicht über, wie viele Ausländer. Viele Ausländer fliegen aus Miyagi, | |
dem Nordosten, ja sogar aus ganz Japan weg. Wir verstehen das nicht. Wir | |
Japaner leben und wohnen hier. Wohin sollen wir fliegen? Diese Überreaktion | |
ist unangemessen. Ich weiß auch nicht, welche Informationen richtig sind, | |
aber es ist ja klar, dass es Leute gibt, die übertreiben. | |
Ich mache mir Sorgen über die Leute, die jetzt oder später in Fukushima | |
leben. Besonders über die, die in der Landwirtschaft arbeiten. Wer wird in | |
Zukunft noch Produkte aus Fukushima kaufen? Aufgrund der Berichterstattung | |
in den Medien kauft in letzter Zeit niemand mehr Gemüse oder Obst aus | |
Fukushima. Man erkennt wie groß der Einfluss der Medien ist. | |
Natürlich macht uns die Strahlung Sorgen. Die Kollegen aus der Filiale in | |
Fukushima sind zunächst geflohen, aber inzwischen haben sich wieder | |
beruhigt und verhalten sich normal. Anfänglich haben alle versucht, nicht | |
in den Regen zu kommen, aber inzwischen denken die meisten „shou ga nai“ | |
(Da kann man nichts machen). Die Ausländischen Medien übertreiben wirklich! | |
Gestern hieß es dann in den Nachrichten, dass Radioaktivität im Wasser | |
festgestellt wurde. Daher ließe sich das Wasser meiner Firma sehr gut | |
verkaufen. Aber leider haben wir kaum noch Wasser oder Softdrinks, weil die | |
Fabrik nicht funktioniert. | |
24 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
M. Halser | |
F. Milkereit | |
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