# taz.de -- Kämpfe in Libyen: Aufständische erobern Ölhafen | |
> Nach heftigen Angriffen auf Gaddafis Truppen durch Kampfjets der | |
> Koalition erobern die Rebellen mehrere Städte zurück – darunter den | |
> strategisch wichtigen Ölhafen Ras Lanuf. | |
Bild: Rebellen an einem Checkpoint in Al-Egila, östlich von Ras Lanuf. | |
TRIPOLIS/WASHINGTON dpa | Nach der Rückeroberung der strategisch wichtigen | |
Stadt Adschdabija am Samstag setzten die Aufständischen ihren Vormarsch | |
nach Westen mit hoher Geschwindigkeit fort. Die Rebellen stießen am Sonntag | |
bis Bin Dschawad vor, das gut 500 Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis | |
liegt. Damit haben die Aufständischen wieder alle großen Ölhäfen im Osten | |
des Landes unter Kontrolle - darunter auch Ras Lanuf. Die Nato will noch an | |
diesem Sonntag beschließen, sämtliche Militäreinsätze in Libyen zu führen. | |
Papst Benedikt XVI. hat alle Beteiligten des Konflikts in Libyen zu einem | |
Dialog aufgerufen. | |
In Bin Dschawad feuerten triumphierende Rebellen Schüsse in die Luft. Mehr | |
als ein Dutzend Fahrzeuge der Aufständischen fuhren durch die Stadt. Zuvor | |
hatten die Rebellen bereits die Einnahme von Ras Lanuf gemeldet. "In Ras | |
Lanuf gibt es keine Gaddafi-Soldaten mehr", sagte ein Kämpfer. Der | |
Fernsehsender Al-Dschasira hatte zuvor berichtet, die Aufständischen hätten | |
nach der Rückeroberung Adschdabijas am Samstag das 110 Kilometer westlich | |
von Adschdabija gelegene Ukaila erreicht. Zuvor hätten sie schon die | |
Ölstadt Brega unter ihre Kontrolle gebracht. Am Sonntag wollten die | |
Aufständischen als nächstes die Gaddafi-Hochburg Sirte ins Visier nehmen. | |
Die strategisch wichtige Küstenstadt Adschdabija hatten die Aufständischen | |
bereits am Samstag zurückerobert. In Tripolis sei es in der Nacht zum | |
Sonntag relativ ruhig geblieben, berichtete Al-Dschasira. | |
Französische Kampfjets zerstörten bei ihren Einsätzen in Libyen mindestens | |
fünf Militärflugzeuge und zwei Kampfhubschrauber des Typs Mi-35. Damit | |
hätten die französischen Piloten am Samstag verhindert, dass die libysche | |
Luftwaffe in die Kämpfe um die Stadt Misurata eingreift, teilte das | |
Verteidigungsministerium in Paris mit. Die zerstörten Flugzeuge seien | |
einstrahlige Maschinen vom Typ Galeb gewesen - betagte Jettrainer aus dem | |
damaligen Jugoslawien, die auch für leichte Luft-Boden-Einsätze umgerüstet | |
werden können. Bei den Mi-35 handelt es sich dagegen um schwere | |
Kampfhelikopter, die noch zu sowjetischen Zeiten konzipiert worden waren. | |
In den vergangenen 24 Stunden hätten insgesamt rund 20 französische | |
Flugzeuge in der Region mehrfach in das Geschehen eingegriffen. Erstmals | |
seien dabei auch jeweils zwei von Katar und Frankreich auf Kreta | |
stationierte Mirage-Jets zum Einsatz gekommen. | |
Die libysche Führung sprach von zahlreichen Soldaten und Zivilisten, die in | |
der Nacht zu Sonntag getötet worden seien. "Heute Nacht gehen die | |
Luftangriffe gegen unser Volk mit voller Wucht weiter", sagte | |
Regierungssprecher Mussa Ibrahim am Samstagabend. Die Angriffe zwischen den | |
Städten Sirte und Adschdabija hätten "stundenlang ohne Unterbrechung" | |
angedauert. Die Regierung gehe davon aus, dass durch die Angriffe viele | |
Zivilisten, darunter Familien, die mit ihren Autos vor den Luftangriffen | |
geflohen seien, getötet wurden. | |
Ibrahim forderte erneut eine Waffenruhe und eine Notfallsitzung des | |
UN-Sicherheitsrates. Die Truppen von Machthaber Muammar el Gaddafi hätten | |
bereits vor einigen Tagen ihre Offensive gegen die Rebellen gestoppt, | |
dagegen hätten die alliierten Luftangriffe zugenommen, sagte Ibrahim. | |
Zuvor hatte US-Verteidigungsminister Robert Gates Gaddafi vorgeworfen, | |
Leichen von Zivilisten an Angriffsorte der Koalitionsstreitkräfte legen zu | |
lassen. Das sagte Gates in einem Interview des US-Fernsehsenders CBS, das | |
am Sonntag ausgestrahlt werden soll. Die USA hätten eine Menge | |
Geheimdienstberichte darüber, dass Gaddafi die Leichen von Menschen, die er | |
getötet habe, an den Orte platzieren lasse, die die Koalition zur | |
Durchsetzung des Flugverbots angegriffen habe. Gates betonte in dem am | |
Samstag aufgezeichneten und im Internet veröffentlichten Interview weiter, | |
dass die Koalitionsstreitkräfte "äußerst vorsichtig" vorgegangen seien. Die | |
Koalition habe eine "außerordentliche Arbeit" geleistet. | |
## Sondersitzung des Nato-Rates | |
Bei einer Sondersitzung des Nato-Rates werden die Botschafter der 28 | |
Bündnisstaaten am Abend in Brüssel aller Voraussicht nach übereinkommen, | |
auch die Einsätze zum Schutz der Zivilbevölkerung zu übernehmen. Diese | |
Einsätze, bei denen das Mandat des UN-Sicherheitsrates "alle notwendigen | |
Maßnahmen" erlaubt, wurden bisher von einer "Koalition" von elf Staaten | |
geleitet. | |
Diplomaten sagten am Sonntag, die Chancen stünden gut, dass die Umsetzung | |
eines am Samstag von den Militärs erarbeiteten Operationsplans rasch von | |
den Nato-Botschaftern akzeptiert werde. Es gebe mittlerweile deutlich mehr | |
Übereinstimmung im Bündnis in dieser Frage. Die Nato-Regierungen hatten in | |
der Nacht zum Freitag bereits beschlossen, die Durchsetzung der | |
Flugverbotszone über Libyen zu kontrollieren. Zuvor war schon eine | |
Seeblockade zur Verhinderung von Waffenlieferungen vereinbart worden. | |
US-Präsident Obama hob "wichtige Fortschritte" der internationalen | |
Militäraktion gegen das Regime Gaddafis hervor. "Gaddafi hat das Vertrauen | |
seines Volkes sowie die Rechtmäßigkeit zur Herrschaft verloren", sagte | |
Obama in seiner wöchentlichen Rundfunkrede am Samstag. "Die Hoffnungen des | |
libyschen Volkes müssen verwirklicht werden." Das Weiße Haus kündigte eine | |
wichtige Rede Obamas zu Libyen für Anfang der Woche an. | |
Obama sprach sich dafür aus, Gaddafi für das brutale Vorgehen gegen die | |
Zivilbevölkerung zur Verantwortung zu ziehen. Zugleich mahnte er ihn, die | |
Angriffe auf Zivilisten zu stoppen. "Diejenigen, die für Gewalt | |
verantwortlich sind, müssen haftbar gemacht werden", forderte Obama. | |
Der britische Justizminister Kenneth Clarke warnte vor einem Racheanschlag | |
Gaddafis im Stil des Lockerbie-Attentats. Großbritannien habe "guten | |
Grund", Gaddafi nicht mehr an der Macht sehen zu wollen, sagte Clarke in | |
einem Interview der britischen Zeitung The Guardian. "Die Menschen in | |
Großbritannien haben einen Grund, sich an den Fluch Gaddafis zu erinnern - | |
Gaddafi zurück an der Macht, der alte Gaddafi, der Rache sucht; wir haben | |
großes Interesse daran, das zu verhindern." Bei dem Attentat auf einen Pan | |
Am-Jumbo über dem schottischen Ort Lockerbie 1988 waren 270 Menschen ums | |
Leben gekommen. | |
Papst Benedikt XVI. forderte derweil am Sonntag einen sofortigen Stopp des | |
Waffeneinsatzes in Libyen. "Angesichts der immer dramatischeren Berichte | |
aus Libyen steigt mein Bangen um die Zivilbevölkerung", erklärte das | |
katholische Kirchenoberhaupt nach dem Angelus-Gebet. | |
27 Mar 2011 | |
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