# taz.de -- Islamwissenschaftler über Lage in Libyen: "Die Spaltung wird andau… | |
> Die innerlibyschen Gebietsgrenzen zwischen Gaddafi und Opposition werden | |
> sich wohl festigen, sagt der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Die | |
> Revolte sei ein Generationenkonflikt. | |
Bild: Die Fronten in Libyen sind klar. | |
taz: Herr Schulz, Prognosen sind immer heikel. Trotzdem: Wie wird es in | |
Libyen in ein paar Wochen oder Monaten aussehen? | |
Reinhard Schulze: Man wird wahrscheinlich um eine Art von Konsolidierung | |
der Grenzen nicht herumkommen, die innerhalb Libyens jetzt gezogen werden. | |
Konsolidierung bedeutet, dass die Teile, die aktuell von der Opposition | |
besetzt sind, auch Gebiet der Opposition bleiben. Und dass jenes Dreieck, | |
das Gaddafis Truppen kontrollieren, auch weiterhin unter seinem Machtgefüge | |
bleibt. | |
Glauben Sie, dass die Aufständischen noch erfolgreich darin sein werden, | |
den Belagerungsring um die Städte zu sprengen, die eingekreist sind? | |
Da bin ich bei der Stadt Misurata – mit dem Meer im Rücken – leider sehr | |
pessimistisch. Ich sehe da praktisch keine Handlungsmöglichkeit. Bei Sintan | |
sieht es etwas anders aus. Da hat man immer noch einen Gebirgszug im | |
Hintergrund, man kann dort noch aus anderen Perspektiven eine Verteidigung | |
aufbauen. | |
Befürchten Sie eine dauerhafte Spaltung des Landes? | |
Die Spaltung wird sicherlich die nächsten Monate bestehen bleiben, sofern | |
nicht das System Gaddafi selbst aus internen Gründen kollabiert. Davon | |
hängt die Zukunft Libyens ab. | |
Worin könnten diese internen Gründe bestehen? | |
Der erste Grund könnte sein, dass die Mobilisierung, die Gaddafi | |
durchführen ließ – inklusive Bewaffnung der Bevölkerung –, in irgendeiner | |
Art und Weise rückgängig gemacht werden muss, um wieder zu einer | |
einigermaßen geordneten Lebenssituation zu führen. Das sehe ich angesichts | |
der ja auch drohenden ökonomischen Schwierigkeiten schwer gegeben. Es wird | |
eine ähnliche Situation wie im Irak 1991 nach den UN-Sanktionen. Die | |
Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wird sich sehr verschlechtern. Dass das | |
System Gaddafi das noch schultern kann, wage ich zu bezweifeln. | |
Sehen Sie die Gefahr eines langfristigen Kriegs? | |
Sicher die Gefahr einer langwierigen militante Auseinandersetzung. Ob das | |
wirklich zu einer dauerhaften Kriegssituation wird, hängt davon ab, ob die | |
Gaddafi-Truppen überhaupt noch über die notwendige Logistik verfügen. Das | |
muss man abwarten. | |
Sie haben sich in anderem Zusammenhang dagegen gewandt, überhaupt vom | |
Bürgerkrieg in Libyen zu sprechen, was von Relevanz ist, weil die | |
völkerrechtliche Diskussion ja sich eben um diesen Begriff dreht. | |
Wenn es ein Bürgerkrieg wäre, dürfte nach Satzung der Vereinten Nationen | |
keine direkte Intervention stattfinden. Dann müsste Neutralität bewiesen | |
werden. Hier handelt es sich aber sicherlich nicht um zwei | |
Konfliktparteien, die innerhalb einer Gesellschaft entstanden sind, sei es | |
aus ethnischen, sei es aus politischen Gründen, sondern es sind zwei völlig | |
verschiedene Parteien: Auf der einen Seite die libysche Zivilgesellschaft, | |
die gezwungen wurde, sich zu bewaffnen; auf der anderen Seite ein etwas | |
skurriles Regime, das letztendlich die Legitimität im eigenen Land schon | |
seit Jahren verloren hat. | |
Wie beurteilen Sie die Reaktion der Öffentlichkeit in den arabischen | |
Ländern mit starken, manchmal schon siegreichen demokratischen Bewegungen | |
in Bezug auf die westliche Intervention? | |
Die Medien berichten vor allem über kritische Äußerungen. Es gibt aber auch | |
viele relativ positive Stellungnahmen, überraschenderweise auch von | |
islamistischen Verbänden, etwa von den Muslimbrüdern in Ägypten. Die | |
arabische Welt ist gespalten. Man kann die Reaktion der Zivilgesellschaft | |
in Ägypten gegen die Intervention verstehen. Es wurde ein sehr positives | |
Image der Zivilrevolte aufgebaut. Dass diese Revolte sich jetzt | |
militarisiert, dass sie gezwungen ist, zu den Waffen zu greifen, | |
widerspricht im Grunde dem Image des ganzen Projekts, wie es sich seit | |
Januar abzeichnet. | |
Welche Schichten tragen eigentlich die arabischen Revolutionen? | |
Es ist die untere Mittelschicht, junge Kleinunternehmer, "Ich-AGs". Leute, | |
die individuell versuchen, ihre Zukunft zu gestalten. Die sind zwischen 15 | |
und 35 Jahre alt, stellen etwa vierzig Prozent der Bevölkerung. Darunter | |
sind sehr viele Frauen im Berufsleben, die jetzt ihr politisches Forum | |
gefunden haben. | |
Wo stünde Libyen auf einer Skala zivilgesellschaftlichen Engagements? | |
Eher in der Mitte. In Tripolitanien würden sich wohl zwanzig Prozent der | |
Bevölkerung mit dem Konzept der Zivilgesellschaft identifizieren. Im Osten | |
sehr viel mehr. | |
Welche Rolle spielt der Generationenkonflikt. Ist es ein Aufstand der | |
Jungen gegen die Gerontokratie? | |
Ja, unbedingt. Drei bis fünf Prozent der Bevölkerung dominieren das gesamte | |
politische Geschehen. Die Jungen revoltieren gegen das überkommene System | |
aus dem Kalten Krieg, das aus dieser weltpolitischen Situation seine | |
Legitimation zog. Dieser Generationenkonflikt besteht übrigens auch in den | |
islamistischen Gruppen. | |
Wie kann man die Rolle radikaler Islamisten überhaupt einschätzen? | |
Die alten Verbände, die Muslimbrüder etwa, sind definitiv die zweiten | |
Verlierer des ganzen Prozesses. Sie waren die Opposition im alten Staat, | |
die Gegner des "Pharaos". Jetzt ist der weg und damit auch ihr Profil der | |
Gegnerschaft. Mit der Revolte jetzt sind keine religiösen Versprechen | |
verbunden. Die Leute haben verstanden, dass Religion zwar wichtig ist für | |
die öffentliche Moral, aber keine Arbeitsplätze bringt. Die Religiösen | |
sollen karitativ tätig sein, das wird anerkannt. Aber daraus lassen sich | |
keine Machtansprüche in der Gesellschaft mehr ableiten. | |
Das klingt nach einem säkularisierten Islam. | |
Die Religion geht zurück in die Moschee. Das sind deutlich säkulare | |
Phänomene, vor allem in Ägypten und Tunesien. Viele Umfragen zeigen schon | |
seit zwanzig Jahren, dass zwei Drittel der Gesellschaft mit der Hoffnung | |
auf Säkularität lebt, ohne dass daraus ein politisches Programm | |
hervorgegangen wäre - bis eben jetzt. | |
26 Mar 2011 | |
## AUTOREN | |
Christian Semler | |
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