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# taz.de -- Renate Künast über die Energiewende: "Der Ausstieg ist längst ni…
> Grünen-Fraktionschefin Renate Künast über die Energiewende, den
> Schlingerkurs der Regierung, die Anti-Atom-Stimmung im Land, die Kosten
> des Ausstiegs und das Klischee vom grünen Spießer.
Bild: Sieht sich von verbalen Jongleuren umgeben: Renate Künast.
taz: Frau Künast, trauen Sie Angela Merkels Atomwende?
Renate Künast: Sie greift nach der Notbremse. Ihr dämmert jetzt, dass die
Gesellschaft gegen Atomkraft ist und dass man mit dem Thema Wahlen
verliert. Das ist Taktik, um sich zu retten.
Wie fühlt es sich denn an, von CSU-Mann Horst Seehofer bis zu FDP-Mann
Christian Lindner, von Atomskeptikern umgeben zu sein?
Ich bin von verbalen Jongleuren umgeben. Schwarz-Gelb kann die zwölf Jahre
Plus für AKWs nicht mehr rechtfertigen. Merkel steckt in der Schraubzwinge.
Sie kann auch die Bundestagswahlen 2013 nicht gegen die atomkritische
Mehrheit gewinnen
Dann ist ja alles gut.
Nein, jetzt müssen auf die Krokodilstränen konkrete Maßnahmen folgen. Der
Ausstieg ist noch längst nicht durch. Wir brauchen ein Ausstiegsgesetz. Ich
sehe nicht, dass Schwarz-Gelb das will. Das wird ein Kampf um jeden Meiler.
RWE klagt bereits gegen das Moratorium, in der Union wird es auch
Widerspruch geben. Seehofer ändert seine Meinung sowieso jede Woche. Also
aufpassen.
Fürchten Sie, dass die Anti-Atom-Stimmung verfliegt, wenn es keine
täglichen Katastrophenbilder aus Japan mehr gibt?
Schockiert sein hält man auf Dauer nicht aus. Das ist so. Aber es gibt eine
dauerhafte, solide Bewegung für die Energiewende. Wir müssen die Dinge so
erklären, dass sie verstanden werden: Leute, wechselt den Stromanbieter,
nehmt einen mit regenerativen Energien. Das ist einfach.
Die Energiewende wird nicht einfach. Die Grünen wollen bis 2017 alle AKWs
abschalten und kein neues Kohlekraftwerk. Wie teuer wird das?
Warum fragt niemand: Wie teuer wird es, wenn wir mit der Atomkraft
weitermachen?
Die Frage wird kommen: Wie teuer wird der Strom mit dem grünen Ausstieg?
Die Strompreise sind gestiegen, obwohl wir 17 AKWs haben. Dass sie wegen
des Ausstiegs steigen werden, ist nicht zwingend. Wir müssen und können
aber unsere Energiekosten senken, am effektivsten durch Energiesparen. Dazu
braucht es Kreativität. Wenn es wie beispielsweise in Berlin schon ein
Problem ist, denkmalgeschützte Häuser mit Sonnenenergie zu versorgen, weil
man davon etwas auf dem Dach sieht, dann läuft etwas falsch. Im Jahr 2000
beim rot-grünen Ausstieg haben sich die Konzerne lustig über Ökoenergie
gemacht. Jetzt haben wir 17 Prozent regenerative Energie und keiner macht
sich mehr lustig. Wir können einen gewaltigen Investitionsschub bei den
regenerativen Energien auslösen – wenn wir das wollen.
Es wird also vielleicht teurer?
Ich kann das nicht ausschließen. Aber nach Tschernobyl und Fukushima scheue
ich keinen Vergleich mit den Kosten der Atomkraft, von der Endlagerung des
Atommülls ganz zu schweigen.
Aber der grüne Umbau – mehr Stromtrassen, Offshore-Anlagen im Wattenmeer,
200 Meter hohe Windräder – stößt auf lokalen Widerstand.
Wir brauchen ein neues Planungsrecht, in dem Bürger früher und wirksam
einbezogen werden. Wenn die Bürger wissen: Es geht nicht mehr um Atom und
Kohle, wächst auch die Akzeptanz für Stromtrassen. Das sind lösbare
Probleme, etwa wenn wir in Wohnortnähe die neuen Stromkabel unter die Erde
legen.
Schummeln Sie sich damit nicht über die Widersprüche hinweg? In
Baden-Württemberg will Grün-Rot massiv in die Windenergie gehen. Wenn
riesige Windparks Bodensee und Schwarzwald säumen, wird das Konflikte
geben. Auch der grüne Fortschritt hat einen Preis. Oder ist das nach
Fukushima nicht mehr so wichtig?
Doch, natürlich. Wir drücken uns nicht um die Konflikte. Wir müssen das
Gemeinwohl organisieren und die Rechte der Bürger achten. Das wird kein
Spaziergang. Aber wir haben damit Erfahrung, wie man Kompromisse findet und
Naturschutz, Bürgerrechte und Arbeitsplätze austariert. Alles Neue ist
schwierig.
Die Grünen haben in Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann gewonnen,
einem habituell konservativen Kandidaten. Lautet die Lehre daraus: Die
Grünen müssen in die Mitte?
Wir sind schon längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir
beschäftigen uns seit Jahren mit Wirtschaft und Arbeitsplätzen. Wir sind
die Partei für das werteorientierte Bürgertum, für Unternehmer, die Energie
sparen wollen und ihre Wettbewerbsposition verbessern. Wir haben uns
verändert und unser Spektrum erweitert. Sonst wäre der Sieg in
Baden-Württemberg nicht möglich gewesen. Wir müssen die Wirtschaft
mitnehmen, wenn wir die Energiewende wollen.
Sind die Grünen auf dem Weg in die Mitte verspießert?
Was soll das heißen?
Zum Beispiel im Freiburger Stadtteil Vauban, wo die Grünen über 70 Prozent
bekommen haben, sind alle ziemlich gleich: sehr bürgerlich, sehr öko.
Wissen Sie, ich finde diesen Einwand spießig.
Warum?
Weil Grüne unterschiedlich sind. Die finden Sie in Vauban, auf der
Nordseeinsel und auf der Schwäbischen Alb. Sie finden Kreative in
Berlin-Kreuzberg, die Videospiele entwickeln, und Winzer am Kaiserstuhl.
Grüne Spießer sind ein Klischee, das mehr über die aussagt, die es im Mund
führen.
Sind Grüne selbstlos?
Warum?
Weil die Grünen die Bürgerversicherung fordern, das Ehegattensplitting
abschaffen und höhere Spitzensteuern wollen. Alles Ideen, die grüne Wähler
zur Kasse bitten.
Nicht selbstlos, aber werteorientiert. Wir wollen keine
Zwei-Klassen-Medizin. Aber wir debattieren auch, wen wir wie belasten
können, um andere zu entlasten. Man muss beim Umbau des Sozialstaats alle
mitnehmen.
Als die Bundesregierung vor einem halben Jahr die AKW-Laufzeiten
verlängerte, haben Sie gesagt: Ich habe gehört wie Angela Merkel die Tür
für Schwarz-Grün zugezogen hat. Ist diese Tür nun wieder offen?
Davon war bisher nichts zu hören.
Ist Schwarz-Grün nun wieder eine Möglichkeit?
Wir haben die größte inhaltliche Schnittmenge mit der SPD. Ich habe aber
immer dafür gekämpft, dass wir uns mehr Möglichkeiten eröffnen. Dass die
SPD mit der CDU regieren darf, aber dies für uns ausgeschlossen sein soll,
halte ich für falsch.
4 Apr 2011
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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