# taz.de -- Flüchtlingsstrom nach Lampedusa: Bayern will Grenzkontrollen | |
> Die Insel Lampedusa bleibt Ziel hoffnungslos überladener | |
> Migrantenschiffe. Berlusconi spricht von einem "menschlichen Tsunami", | |
> die CSU will wieder Grenzkontrollen einführen. | |
Bild: Berlusconi würde sagen: Da kommt schon wieder eine "menschliche "Tsunami… | |
ROM/LAMPEDUSA/BRÜSSEL dpa | Trotz verstärkter Kontrollen an den tunesischen | |
Küsten reißt der Zustrom nordafrikanischer Flüchtlinge nach Italien nicht | |
ab. Am Wochenende kamen mehrere Schiffe auf der Mittelmeerinsel Lampedusa | |
an, von der die Behörden zuvor in einer konzertierten Aktion tausende | |
Migranten in andere Landesteile gebracht hatten. Die Zahl der | |
Bootsflüchtlinge auf dem kleinen Eiland wuchs damit wieder auf 750 an. | |
Bei einem Besuch auf der Insel forderte Italiens Regierungschef Silvio | |
Berlusconi von den anderen EU-Staaten die Aufnahme von Flüchtlingen und | |
mehr Solidarität, um den "menschlichen Tsunami" zu bewältigen. "Europa ist | |
entweder etwas Reales und Konkretes oder es existiert nicht. Dann ist es | |
besser, wenn wir uns wieder trennen und jeder seinen Ängsten und seinem | |
Egoismus folgt." | |
Am Montag wollen die EU-Innenminister bei einem Treffen in Luxemburg nach | |
einer gemeinsamen Haltung zum Umgang mit den Migranten suchen. Strittig ist | |
zwischen Rom und den anderen EU-Regierungen vor allem, ob Italien tausende | |
Afrikaner innerhalb der EU weiterreisen lassen darf oder nicht. Rom hatte | |
am vergangenen Donnerstag angekündigt, tunesischen Flüchtlingen, die bis zu | |
einem bestimmten Stichtag ankamen, befristete Aufenthaltsgenehmigungen zu | |
geben. Damit könnten sie auch in andere EU-Staaten einreisen. Später | |
angekommene Tunesier will Rom von Montag an nach Tunis ausfliegen. | |
Weil es im sogenannten Schengen-Raum keine Grenzkontrollen mehr gibt, | |
fürchtet vor allem Frankreich einen Flüchtlingsstrom - die meisten | |
Migranten aus Nordafrika sprechen Französisch oder haben bereits Verwandte | |
oder Freunde in dem Land. Paris lehnt die Aufnahme von Tunesiern ab und | |
verweist darauf, dass die Einreise in ein anderes Land auch innerhalb der | |
Schengen-Zone nur erlaubt ist, wenn Reisende Ausweispapiere und Geld haben. | |
Diese Auffassung wurde von der EU-Kommission bestätigt. | |
## Proteste Deutschlands | |
Auch Deutschland protestierte gegen das Vorgehen Italiens: | |
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wolle beim Treffen in | |
Luxemburg deutlich machen, dass dies gegen den Geist des Schengen-Abkommens | |
verstoße, sagte ein Ministeriumssprecher. Nach EU-Recht ist das Land, in | |
dem Flüchtlinge EU-Boden betreten, für die Prüfung von Asylanträgen und | |
Aufenthaltsbegehren zuständig. Er sieht die italienische Regierung weiter | |
in der Pflicht. | |
Flüchtlingsströme seien zwar immer ein gesamteuropäisches Problem, aber es | |
gebe innerhalb der europäischen Solidarität zunächst die Notwendigkeit, | |
dass jedes Land seiner Verantwortung gerecht werde, sagte Friedrich vor dem | |
Treffen der EU-Innenminister in Luxemburg am Montag im ARD-Morgenmagazin. | |
Dazu gehöre insbesondere, dass die Italiener mit der tunesischen Regierung | |
verhandelten und dass "wir als Europäische Union insgesamt alles tun, um | |
den Flüchtlingsdruck in Nordafrika zu reduzieren", sagte der | |
Bundesinnenminister. | |
Friedrich zufolge hat Italien inzwischen rund 23.000 Flüchtlinge | |
aufgenommen, was im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung des Landes "kein | |
Problem ist". Bei diesen Flüchtlingen handele es sich überwiegend um | |
Wirtschaftsflüchtlinge, von denen viele weitergereist seien. Die Italiener | |
ermöglichten die Weiterreise insbesondere in den Norden Europas, indem sie | |
einem Teil der Flüchtlinge befristete Aufenthaltstitel gäben. | |
## "Illegale Flüchtlinge legalisiert" | |
Bayern will derweil die Einwanderung tunesischer Migranten notfalls mit der | |
Wiedereinführung von Kontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze | |
verhindern. "Wir werden es nicht hinnehmen, dass die italienische Regierung | |
die Tunesier einfach zu Touristen erklärt und sie auf diese Weise in andere | |
Länder schiebt", sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) der Welt am | |
Sonntag. | |
Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Peter | |
Uhl, plädierte dafür, die Grenzen zu Italien wieder zu kontrollieren, falls | |
das Land bei seiner Haltung bleibe. "Hier werden illegale Flüchtlinge | |
legalisiert, damit sie nach Deutschland und nach Frankreich weiterziehen | |
können", sagte Uhl der Mitteldeutschen Zeitung. Das sei ein eklatanter | |
Verstoß gegen europäisches Recht. | |
Seit Beginn der Unruhen in Nordafrika im Januar landeten allein auf der | |
zeitweise völlig überfüllten Insel Lampedusa an die 23 000 Flüchtlinge. Die | |
meisten kamen mit Booten aus Tunesien, weshalb Rom mit Tunis mittlerweile | |
vereinbarte, dass die dortigen Küsten verstärkt kontrolliert und | |
Neuankömmlinge in Italien künftig direkt zurückgebracht werden. Zuletzt | |
traten allerdings auch immer mehr Afrikaner von Libyen aus die gefährliche | |
Seereise an. | |
In den vergangen Tagen hatte Italien tausende Flüchtlinge von der | |
wochenlang völlig überfüllten Insel weggebracht und auf andere | |
Aufnahmelager verteilt. Bis dahin hatten sich bis zu 6000 Immigranten unter | |
unerträglichen Bedingungen dort aufhalten müssen. Vor wenigen Tagen waren | |
beim Kentern eines Flüchtlingsbootes bis zu 250 Menschen ums Leben | |
gekommen. | |
11 Apr 2011 | |
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