# taz.de -- Japanischer Wissenschaftler über Fukushima: "Die Krise kann noch J… | |
> Fehler über Fehler: Der japanische Energiewissenschaftler Tetsunari Iida | |
> über die Macht der Atomlobby, die Fehler der Regierung und die Chancen | |
> für erneurbare Energien. | |
Bild: Nichts als Zerstörung: Fukushima Daiichi. | |
taz: Herr Iida, hat die Krise in Fukushima ihren Höhepunkt überschritten? | |
Tetsunari Iida: Die Situation ist von merkwürdiger Stabilität, ohne dass | |
sie wirklich unter Kontrolle ist oder wir einer Lösung näher gekommen sind. | |
Immer wieder tauchen neue Probleme auf. Die Reaktoren werden weiter | |
notdürftig mit Wasser gekühlt, das verstrahlt ausläuft oder sich in den | |
Reaktoren sammelt. | |
Wann wird die Situation unter Kontrolle sein? | |
Das weiss niemand. Ein wichtiger Regierungsberater spricht von Monaten. | |
Solange die Notkühlung nur durch Bespritzen mit Wasser erfolgt, kann es | |
noch Jahre dauern. | |
Haben Fehler im Krisenmanagement die vom Erdbeben und Tsunami ausgelöste | |
Katastrophe verschärft? | |
Ja. Schon am 11. März wurden Fehlentscheidungen getroffen, doch es gibt | |
auch Fehler im System. Die Techniker sind sehr arrogant mit Risiken | |
umgegangen. Niemals wurden Sicherheitsfragen investigativ und | |
praxisorientiert geprüft, sondern immer nur auf Aktenbasis, was das | |
Sicherheitssystem unterhöhlt hat. | |
Welche Managementfehler wurden gemacht? | |
Die Reparatur der Stromversorgung wurde erst nach Tagen begonnen. Auch die | |
Notkühlung mit Seewasser begann zu spät. Bis heute ist unklar, ob die | |
Kühlung nach dem Beben noch funktionierte und erst durch den Tsunami | |
beendet wurde oder ob sie nicht schon vorher zerstört war. | |
Wie bewerten Sie die Informationspolitik des Betreibers Tepco und der | |
Regierung? | |
Die Öffentlichkeit ist zu recht frustriert über die verbreiteten | |
Informationen. Doch sind die Probleme vor Ort sehr groß. Selbst Tepco und | |
die Regierung haben kaum verlässliche Informationen. Viele Messsysteme sind | |
ausgefallen, weshalb es aus den Reaktorkernen nur wenig Daten gibt. | |
Informationen werden zudem von der Regierung kontrolliert, die ihrerseits | |
nicht richtig von Tepco informiert wurde. | |
Inzwischen wurde die Katastrophe von Stufe 5 auf 7 der Ines-Skala angehoben | |
und damit auf Tschernobyl-Niveau. Die Evakuierungszone wurde auf 30 | |
Kilometer erweitert. Sind diese Entscheidungen richtig? | |
Sie wurden zu spät gefällt, was auf politisches Chaos zurückgeht. Die | |
Katastrophe wurde auf der Ines-Skala zunächst mit 4, dann 5 und jetzt mit 7 | |
eingestuft. Doch das wurde nie näher begründet. Ähnlich bei der | |
Evakuierungszone: Erst 3, dann 20, jetzt 30 Kilometer. Auch hier blieben | |
Begründungen aus. | |
Japan war mal bei erneuerbaren Energien führend, ist es aber längst nicht | |
mehr. Warum? | |
Ich selbst war eine zentrale Figur bei den Erneuerbaren in Japan. Das wir | |
uns nicht durchsetzen konnten, liegt vor allem an den Monopolstrukturen der | |
Stromindustrie und an der Bürokratie. Wir haben zehn regionale | |
Elektrizitätsmonopole, die alle bis auf eines Atomkraftwerke betreiben. Die | |
Monopole bestehen nicht nur bei Energieerzeugung, sondern auch bei den | |
Netzen. In ihren Regionen haben die Elektrizitätskonzerne großen Einfluss | |
auf Regierung und Opposition. | |
Die Konzerne und die Atomlobby sind sehr an den Monopolen interessiert und | |
haben es geschafft, die erneuerbare Energien aus den Netzen raus- und damit | |
kleinzuhalten. Die Politik versagte darin, ein Einspeisungsgesetz zu | |
formulieren, dass die Erneuerbaren fördernde Tarife festlegt. Ich habe im | |
Jahr 2000 einen solchen Gesetzentwurf formuliert. Der wurde fast | |
verabschiedet, aber letztlich abgelehnt. Es wurde nicht nur die Diskussion | |
über Erneuerbare klein gehalten, sondern vor allem die Atomenergie | |
propagiert. | |
Wirkte sich der GAU in Tschernobyl vor 25 Jahren nicht auf Japans | |
Energiepolitik aus? | |
Tschernobyl wirkte sich nicht auf die Atompolitik aus. Die Bevölkerung | |
sorgte sich damals vor radioaktiver Verstrahlungen von Lebensmitteln. Auch | |
gab es Unruhe, als 1987 ein japanischer AKW-Betreiber ein Experiment | |
startete wie jenes, das in Tschernobyl zur Katrastrophe führte. Doch es gab | |
keine politische Debatte. Die Energiepolitik bestimmt das | |
Wirtschaftsministerium METI, das eng mit den Energiekonzernen verbunden ist | |
und unabhängig vom Parlament agiert. Damals regierte auch noch die | |
Jahrzehnte herrschende konservative Liberaldemokratische Partei, welche die | |
Atomlobby stützt. | |
Ändert Fukushima jetzt Japans Energiepolitik? | |
Die Auswirkungen von Fukushima werden sich sehr von denen Tschernobyls | |
unterscheiden. Tepcos Ansehen ist jetzt total zerstört. Tepco hat seine | |
Macht verloren, um die Energiepolitik beeinflussen zu können. Auch das | |
Wirtschaftsministerium METI und seine Überwachung der AKWs sind | |
gescheitert, was das Ministerium schwächt. Die Massenmedien, deren Beriche | |
früher stark von den Energiekonzernen und METI beeinflusst wurden, können | |
jetzt freier berichten. So gibt es eine offenere Debatte. | |
Zwar ist Japans Politik immer noch sehr konservativ und stützen die | |
Strukturen ein Weiter so. Aber die Energiepolitik könnte in Bewegung | |
geraten. Selbst einige konservative Politiker suchen inzwischen | |
Alternativen zur Atomenergie. Es wird nicht so leicht wie nach Tschernobyl, | |
die Debatte zu unterbinden. Diesmal muss sich etwas ändern. | |
Ihr Institut forscht zu erneuerbaren Energien. Kann das ressourcenarme | |
Japan überhaupt auf Atomenergie verzichten? | |
Ja. Wenn wir alle Mittel in die Erneuerbaren stecken können wir zu | |
Deutschland aufholen und bis zum Jahr 2050 mit Erneuerbaren in Kombination | |
mit Effizienzsteigerung unsere gesamte Ernergieversorgung sichern. Die | |
Natur der Japaner ist, dass wenn einmal ein Beschluss gefällt wurde, sich | |
alle dahinter stellen und ihn umsetzen. Die Regierung hat bereits | |
angekündigt, dass beim Wiederaufbau der vom Beben und Tsunami zerstörten | |
Gebiete Erneuerbare eine führende Rolle spielen sollen. Das ist ein guter | |
Anfang, um gesamten Energiemarkt einschließlich Tepco neu zu strukturieren. | |
17 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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