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# taz.de -- Ungarn protestieren gegen neue Verfassung: Orbans nationales Glaube…
> Tausende Ungarn haben gegen die Verfassungsreform der rechten Regierung
> demonstriert. Teile der Präambel erinnern an die faschistische Ideologie
> der dreißiger Jahre.
Bild: Gegen Regierung und "Verfassungsreform": Protest in Budapest.
WIEN taz | Langsam erwacht in Ungarn die Opposition, die sich von Premier
Viktor Orbáns rasanter Umbaupolitik überrollt fühlt. Am Wochenende
protestierten Zehntausende in Budapest gegen das Sparpaket und die neue
Verfassung, die am Montag vom Parlament abgesegnet werden soll. Dort
verfügt der rechtpopulistische Fidesz über eine Zweidrittelmehrheit. Der
sozialistische Expremier Ferenc Gyurcsány warf Orbán am Samstag vor, nach
der "Alleinherrschaft" zu streben.
"Nationales Glaubensbekenntnis" nennt sich die Präambel zur neuen
Verfassung Ungarns. Und so hört sie sich auch an: "Wir sind stolz darauf,
dass unser König, der Hl. Stephan, vor tausend Jahren den ungarischen Staat
auf eine feste Grundlage gestellt hat und unsere Heimat zum Teil des
christlichen Europa machte", heißt es eingangs. "Wir bekennen uns zu
Familie und Nation als wichtigstem Rahmen unseres Zusammenlebens und zu
Treue, Glaube und Liebe als den Grundwerten unserer Zusammengehörigkeit."
Die "Heilige Krone, die Verkörperung der verfassungsmäßigen staatlichen
Kontinuität Ungarns", darf auch nicht fehlen. Oben drüber steht die erste
Zeile der Nationalhymne: "Gott schütze den Ungarn."
Premier Orbán hat sich ein schwülstiges Papier schreiben lassen, das ins
19. Jahrhundert zurückführt. Die in Verfassungsartikel gegossene Version
des Fidesz-Regierungsprogramms sorgt für die kommenden Jahrzehnte dafür,
dass keine künftige Regierung an dessen Prinzipien rütteln kann. Die
oppositionellen Sozialdemokraten und die grüne LMP ("Politik kann anders
sein") werden der Abstimmung über die in wenigen Wochen zusammengezimmerte
Verfassung wohl fernbleiben. Sie haben sich angesichts der
Aussichtslosigkeit, Veränderungen durchzusetzen, auch an den inhaltlichen
Debatten nicht beteiligt.
Eine breite gesellschaftliche Debatte blieb aus. Die Bürgerinnen und Bürger
hatten nur die Möglichkeit, sich binnen zwei Wochen zu 15 Punkten via
Multiple Choice zu äußern. 800.000 Fragebögen sollen eingegangen sein. Im
März wurden dann im Parlament von den Abgeordneten der regierenden Fidesz
und ihrem christdemokratischen Anhängsel KDNP sowie der rechtsextremen
Jobbik einige Änderungen in den Text redigiert.
Proteste gegen Inhalt der Verfassung und das Prozedere waren nicht nur aus
der Opposition, den Medien und Intellektuellenkreisen zu hören. Selbst in
den Fidezs-Reihen rührten sich Stimmen, die Unbehagen äußerten. Einen
modernen Grundrechtskatalog sucht man vergebens. Die Pressefreiheit wird
zwar garantiert, bleibt aber durch das seit Anfang des Jahres geltende
umstrittene Mediengesetz stark eingeschränkt.
Wie ein roter Faden zeiht sich die Entmachtung demokratischer
Kontrollinstanzen durch das Grundgesetz. Der Verfassungsgerichtshof soll in
Finanzsachen keine Kompetenzen haben, solange die Regierung es nicht
schafft, die Staatsverschuldung unter 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
zu drücken. Derzeit liegt das Defizit bei rund 80 Prozent. Optimisten gehen
davon aus, dass in den nächsten Jahren 70 bis 75 Prozent erreichbar sind.
Die vier Ombudsleute, die für Bereiche wie Minderheiten, Datenschutz oder
künftige Generationen zuständig sind, werden durch einen einzigen
Ombudsmann ersetzt, der sich aber nicht mehr an das Parlament wenden kann.
Die Besetzung von Schlüsselämtern, die gegen künftige Staatshaushalte ein
Vetorecht haben, wird über mehr als zehn Jahre festgelegt. Mit der
Verankerung des Forint in der Verfassung wird der Beitritt zur Eurozone
noch schwieriger.
Die Roma, mit 10 Prozent die größte Minderheit Ungarns, werden durch die
wiederholte Bezugnahme auf das "Ungarntum" weiter an den Rand gedrängt.
Auch die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre dürfte gegen sie
gerichtet sein. Genauso wie die Bestimmung, dass Eltern von Schulschwänzern
eingesperrt werden können. Die Idee, Mütter für jedes minderjährige Kind
mit einer zusätzlichen Stimme auszustatten, wurde wieder verworfen, nachdem
Jobbik darauf hinwies, dass die gebärfreudigen Roma dadurch
überproportionales Gewicht bei Wahlen bekämen.
17 Apr 2011
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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