| # taz.de -- Bremerhavens Umgang mit Schrottimmobilien: Einstürzende Altbauten | |
| > Bremerhaven geht gegen die Verwahrlosung ganzer Straßenzüge vor. Weil die | |
| > Eigentümer nicht wirksam verpflichtet werden können, ihre Häuser in | |
| > Schuss zu halten, springt die Stadt ein. | |
| Bild: Wenn ganze Straßenzüge verwahrlosen: Schrottimmobilien in Bremerhaven. | |
| BREMERHAVEN taz | Auf den ersten Blick macht das viergeschossige | |
| Mehrfamilienhaus noch einen recht passablen Eindruck. Doch durch ein Loch | |
| sieht man bis in den Hof des Gebäudekomplexes aus der Jahrhundertwende. | |
| Hier sind zwei Bagger dabei, die beiden Hinterhäuser abzureißen. Als | |
| letzter Hinweis auf die einstiegen Bewohner dekoriert ein Werder | |
| Bremen-Fensterbild die kaputten Scheiben. Mitte April stürzte eine fünf | |
| Meter hohe Wand ein und verschüttete den benachbarten Garten. | |
| Mit dem Abriss des Gebäudeensembles im innenstadtnahen Gründerzeitviertel | |
| Lehe soll Platz geschaffen werden für Neues. Hier plant das größte Bremer | |
| Wohnungsunternehmen Gewoba den ersten Neubau seit 20 Jahren in der | |
| Seestadt. | |
| Seit mehreren Jahren waren die vier Häuser unbewohnt und boten zuletzt | |
| Drogenabhängigen Zuflucht. Als der stadtbekannte Eigentümer sogenannter | |
| Schrottimmobilien versuchte, die Häuser auf Mallorca zu verkaufen, | |
| schaltete sich die Stadt ein und sicherte sich das Vorkaufsrecht. | |
| "Schrottimmobilien" sind verwahrloste Gebäude, um die sich niemand kümmert. | |
| Betroffen sind vor allem Altbauten in zentraler Lage. Schimmel und die | |
| marode Substanz machen die Häuser unbewohnbar, aber nicht immer sind sie | |
| abrissreif. | |
| Mit einer städtebaulichen Intervention versucht Bremerhaven dem Verfall | |
| ganzer Straßenzüge entgegenzuwirken. Weil es die Gesetzeslage nicht | |
| zulässt, die Eigentümer zur Instandhaltung zu verpflichten, kauft die Stadt | |
| die Häuser, um sie abzureißen oder zu modernisieren. "Das Problem ist, dass | |
| die Stadt erst dann in den Prozess eingreift, wenn vieles schon geschehen | |
| ist", sagt Norbert Friedrich vom Bremerhavener Stadtplanungsamt. | |
| Nicht selten übernimmt die Stadt die mittlerweile wertlosen Gebäude für | |
| null Euro. Nicht etwa durch Enteignung, sondern durch ein aufwändiges | |
| Verfahren über ein Vorkaufsortgesetz, das die Stadtverordnetenversammlung | |
| im Juni 2009 beschlossen hat. | |
| Damit sicherte sie sich für 16 vom Bauordnungsamt ausgewählte Häuser, bei | |
| denen aus bauordnungsrechtlicher und städtebaulicher Sicht dringender | |
| Handlungsbedarf besteht, das Vorkaufsrecht. Jeder Abriss kostet die Stadt | |
| rund 70.000 Euro, ein Drittel trägt der Bund. | |
| Modernisierungen sind dagegen deutlich teurer. In einem Fall investiert das | |
| städtische Wohnungsbauunternehmen Stäwog 500.000 Euro, weil das Eckhaus | |
| erhalten bleiben muss, um die benachbarten Gebäude nicht zu gefährden. | |
| Seit der Werftenkrise, der Fischereikrise und dem Abzug der US-Besatzung | |
| haben viele Bremerhavener ihre Arbeit verloren. Bis zu 2.000 Einwohner | |
| haben die Stadt jährlich verlassen. | |
| Erst in den letzten Jahren ist die Abwanderung auf wenige Hundert | |
| zurückgegangen. Um den Leerstand zu verringern, hat die Stadt bereits viele | |
| Sozialwohnungen im nördlich gelegenen Leherheide und in der 1950er | |
| Jahre-Großwohnsiedlung Grünhöfe abgerissen. Heute stehen bei 112.000 | |
| Einwohnern rund 5.500 Wohnungen leer. | |
| Dass es vor allem den Altbauten an den Kragen geht, ist aus städtebaulicher | |
| Sicht besonders problematisch. Ihr Abriss ist das letzte Mittel, um eine um | |
| sich greifende Verwahrlosung ganzer Straßen und Viertel in den Griff zu | |
| bekommen. | |
| "Wenn in einzelnen Straßen bis zu 25 Prozent der Wohnungen leer stehen, | |
| wirkt sich das auch sehr nachteilig auf die Investitionstätigkeit und die | |
| Vermietbarkeit der anderen Wohnungen aus", sagt der Bremerhavener | |
| Stadtplaner Friedrich. | |
| Der Wohnungsmarktexperte Jan Kuhnert fordert seit längerem, die Eigentümer | |
| stärker in die Pflicht zu nehmen. "Das Modernisierungsgebot, bei dem die | |
| Gemeinde die Behebung von Mängeln durch den Eigentümer anordnet, ist ein | |
| zahnloser Tiger", sagt Kuhnert, der die städtische Wohnungsgesellschaft | |
| Hannover leitet. In Wilhelmshaven arbeitet er mit der Stadt daran, in einem | |
| Gründerzeitgebiet mit erheblichem Leerstand einen Aufwertungsprozess in | |
| Gang zu bringen. | |
| Selbst wenn vergammelte und heruntergekommene Gebäude ein Sicherheitsrisiko | |
| darstellten, können Eigentümer nicht gezwungen werden, ihre Häuser in | |
| Ordnung zu bringen, sagt Kuhnert. Tatsächlich gebe es Eigentümer, die nicht | |
| über die nötigen finanziellen Mittel verfügten. In anderen Fällen habe das | |
| Leerstehenlassen aber auch strategische Gründe. | |
| So lässt sich auch in Bremerhaven mit "Schrottimmobilien" immer noch Geld | |
| verdienen. Billig erworbene Objekte werden für ein Vielfaches | |
| weiterverkauft - nicht selten an Ortsfremde zu völlig überhöhten Preisen | |
| und unter Vorspielung falscher Tatsachen. | |
| In einem Fall ging eine britische Käuferin im Internet Anbietern auf den | |
| Leim, die auf einem Foto die Fassade eines Mehrfamilienhauses geschönt und | |
| einen Porsche vor dem Haus geparkt hatten. | |
| Um den Wiederverkaufswert zu erhöhen, greifen manche Eigentümer zu | |
| kosmetischen Modernisierungsmaßnahmen, durch die die Häuser ruiniert | |
| werden. Beim stadtbekannten "Schiefhausen"-Komplex etwa, hatte ein | |
| Spekulant die Wohnungen, um die Feuchtigkeitsschäden zu kaschieren, mit | |
| sichtbaren Rigipsplatten verkleidet, hinter denen sich | |
| gesundheitsgefährdende Teerplatten versteckten. | |
| Damit künftig nicht mehr die öffentliche Hand die Abbruchkosten zahlen | |
| muss, sondern die Eigentümer, die die Häuser haben verwahrlosen lassen, | |
| erhofft sich die Stadt Bremerhaven eine entsprechende Änderung des | |
| Bundesbaugesetzes. Die geplante Novelle soll die Entwicklung innerörtlicher | |
| Flächen stärken und auch Innenstädte wieder attraktiver machen. Ob das | |
| Bremerhavener Anliegen berücksichtigt wird, ist aber noch nicht klar. | |
| Das Problem könnte künftig weitere Kreise ziehen. Nicht nur | |
| handlungsunfähige Einzeleigentümer lassen ihre Häuser verkommen, sondern | |
| auch Wohnungsunternehmen, die von Finanzfonds getragen würden, sagt | |
| Wohnungsmarktexperte Kuhnert. | |
| Wenn solche Großeigentümer Konkurs gingen, weil sie wegen zu hoher | |
| Finanzierungsrisiken keine Refinanzierung ihrer Kredite bekämen, könne es | |
| auch anderen Kommunen so gehen wie Bremen: Der Stadtstaat musste in Bremen | |
| Tenever auf einmal eine ganze Siedlung übernehmen. | |
| Weil besonders kleinere Gemeinden damit überfordert seien, bräuchte es in | |
| diesem Fall einen Rettungsschirm des Bundes für sogenannte Restbestände, | |
| die dann an die Kommune übergeben würden. | |
| Das aktuelle Sanierungsrecht schreibt vor, dass die öffentliche Hand nach | |
| Abriss, Neubau oder Modernisierung die von ihr übernommenen Immobilien | |
| wieder verkaufen muss. Bremerhaven hofft, damit die private | |
| Investitionstätigkeit anzukurbeln. Wohnungsmarktexperte Kuhnert ist da | |
| jedoch skeptisch: Da sich in strukturschwachen Regionen private | |
| Investitionen in günstige Wohnungen nicht lohnen, sieht er die kommunalen | |
| Wohnungsunternehmen in der Pflicht. | |
| Kuhnert fordert, die Wohnungsbauförderung des Bundes zu reaktivieren. Denn | |
| die ist unter der rot-grünen Bundesregierung weitgehend eingestellt worden. | |
| 3 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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