# taz.de -- Schrottimmobilien: Fernab der Gentrifizierung | |
> Altbauwohnungen, die sich in Städten wie Hamburg äußerster Beliebtheit | |
> erfreuen, sind in Bremerhaven und Wilhelmshaven Ladenhüter. | |
Bild: Schwierige Immobilie: Das Eckhaus an der Goethestraße in Bremerhaven-Leh… | |
BREMERHAVEN/WILHELMSHAVEN taz | In Bremerhaven gibt es so manches, was | |
woanders undenkbar wäre. Da sind zum Beispiel die Mieten. Eine | |
Altbauwohnung im Gründerzeitviertel Lehe kostet im Schnitt gerade mal drei | |
bis vier Euro pro Quadratmeter kalt. Dennoch stehen viele Wohnungen leer. | |
Auch Eigentumswohnungen werden einem beinahe hinterher geworfen: Die gibt | |
es schon für 5.000 Euro im Internet. Und doch ist die Nachfrage seit Jahren | |
massiv eingebrochen, weil die jungen Leute am liebsten gleich nach dem | |
Abitur ihre Koffer packen – und es vorziehen, sich auf teurerem Pflaster zu | |
tummeln. | |
Auch mit der zur schmucken Bar umfunktionierten Turnhalle war das so eine | |
Sache. „In Hamburg wäre das Ding ein Renner“, sagt Norbert Friedrich vom | |
Bremerhavener Stadtplanungsamt. Doch die Bremerhavener haben sie | |
verschmäht. Seit 2012 öffnet sie nur noch für besondere Anlässe. | |
Wenn Friedrich durch Lehe geht und auf die Häuser zeigt, die die Stadt auf | |
ihre Liste gesetzt hat, kann er zu jedem der Häuser mit blätterndem | |
Fassadenputz oder holzvernagelten Fenstern noch eine Geschichte erzählen. | |
Da gibt es die britische Investorin, die von der mageren Rendite | |
enttäuscht, heute versucht, von der EU Fördermittel zu bekommen. | |
Die Frau war im Internet Anbietern auf den Leim gegangen, die auf einem | |
Foto die Fassade des Mehrfamilienhauses geschönt und einen Porsche vor dem | |
Haus geparkt hatten. Den meisten Eigentümern fehlt schlicht das Geld, um | |
die Häuser instand zu halten. | |
Kaufen & abreißen | |
Mit einem städtebaulichen Eingriff versucht die Stadt deshalb, den Verfall | |
ganzer Straßenzüge zu verhindern. Weil das Modernisierungsgebot nicht | |
ausreicht, um die Eigentümer zur Instandhaltung zu verpflichten, hat die | |
Stadt in den letzten Jahren verwahrloste Häuser gekauft. Die schlimmsten | |
Schrottimmobilien hat Bremerhaven inzwischen abgerissen. Aus Sicht der | |
Stadt eine notwendige Maßnahme, weil die verwahrlosten Häuser negativ auf | |
die benachbarten Grundstücke ausstrahlen. | |
Heute kümmert sie sich verstärkt um Häuser, die später von einem neuen | |
Investor modernisiert werden sollen. Insgesamt hat Bremerhaven zwei | |
Millionen Euro im Jahr, Umbau- und Modernisierungsprojekte anzuschieben. | |
Das meiste Geld fließt nach Lehe. | |
Von dem Gründerzeitviertel aus läuft man vielleicht gerade mal eine | |
Viertelstunde in die Innenstadt. Heute ist die Gegend nahe des | |
Rotlichtmilieus die einzige in der Stadt, wo abends nach acht noch was los | |
ist. Das mag an den Restaurants und Kneipen liegen, aber auch an der Nähe | |
zum Hafen. Und trotzdem stehen hier ganze Altbauten leer und verwahrlosen. | |
Bremerhaven, die Industriearbeiterstadt, ist verarmt. In Lehe wohnen heute | |
vor allem Arbeitslose, Geschiedene und die Ärmsten der Armen. Bulgaren und | |
Rumänen kauften billige Häuser, in denen sich ganze Familien ein Zimmer | |
teilen. Ein vermögendes Bürgertum, das in die Häuser investieren könnte, | |
gibt es kaum. | |
Als es in den 80ern mit der Stadt gerade aufwärts ging, kamen die | |
Rückschläge: Durch die Werftenkrise, die Fischereikrise und durch den Abzug | |
der US-Amerikaner haben seit Anfang der 90er-Jahre rund 10.000 | |
Bremerhavener ihre Arbeit verloren. Ein Bevölkerungsschwund setzte ein. Bis | |
zu 2.000 Einwohner haben die Stadt jährlich verlassen. Bei rund 113.000 | |
Einwohnern stehen mehr als 5.000 Wohnungen und viele Geschäfte leer. Erst | |
in den letzten Jahren ist die Abwanderung wieder zurückgegangen. | |
Von der Krise profitieren | |
Durch das Bundesprogramm „Stadtumbau West“ hat sich in Bremerhaven in den | |
letzten elf Jahren dennoch einiges getan. In Lehe stehen heute wieder | |
Baugerüste an den Häusern. „Wir profitieren von den Auswirkungen der | |
Finanzkrise“, so der Stadtplaner. „Die Leute wollen in Immobilien | |
investieren“ – das Stichwort sei „Betongold“. | |
Vor einem fünfgeschossigen Eckhaus aus der Gründerzeit macht Friedrich | |
halt. „Das ist unsere schwierigste Schrottimmobilie.“ Das Eckhaus gehört | |
einer niederländischen Gruppe, die von den Abrissplänen der Stadt nichts | |
wissen will. Bei diesem Gebäude will die Stadt das erste Mal ein neues | |
Gesetz anwenden. Wenn sie beweisen kann, dass es sich nicht mehr lohnt, das | |
Haus zu modernisieren, muss der Eigentümer auch gegen seinen Willen den | |
Abriss dulden und sich sogar an den Kosten beteiligen. | |
Von den Abrissplänen der Stadt sind auch im Wohngebiet nicht alle | |
begeistert. Ein Mann, vielleicht Ende 40, mit roter Jeansjacke kommt die | |
Straße entlang und bleibt stehen. „Sind Sie von der | |
Immobiliengesellschaft?“, fragt er. In seiner Hand hält er einen roten | |
Jutebeutel, aus dem er ein eingerahmtes Bild zieht, darauf ein Foto von dem | |
runtergerockten Eckhaus. „Ich setze mich zur Rettung des Hauses ein“, sagt | |
er, „ich bin einer von den Aufsässigen hier in Lehe, die mit dem Kopf durch | |
die Wand gehen.“ | |
Besonders der Gemüsehändler Dietzel, der über Jahrzehnte im Erdgeschoss | |
seinen Laden hatte, fehlt hier im Viertel. Herr Dietzel hat den Kindern | |
früher Äpfel und Orangen geschenkt. Als das Haus verwahrloste, zog er um in | |
ein anderes Geschäft ein paar Straßen weiter. Die Zeiten als es direkt im | |
Wohngebiet noch Bäckereien und Fischläden gab, sind längst vorbei. Gehalten | |
hat sich nur noch ein französisches Restaurant. | |
Aus Sicht der Stadt stehen der Sanierung des Stadtteils vor allem | |
diejenigen im Weg, die für ihre Häuser völlig „unrealistische | |
Preisvorstellungen“ haben. Bei länger leer stehenden Gebäuden geht der | |
Preis gegen Null. Einigermaßen funktionstüchtige Mehrfamilienhäuser kosten | |
zwischen 40.000 und 100.000 Euro, vollvermietete, die noch intakt sind, bis | |
zu 300.000 Euro. | |
Um nicht noch weiter zu schrumpfen, hofft Bremerhaven auf neue Bewohner. Am | |
einfachsten wäre es, all die Leute, die sich über die Jahre im Umland | |
angesiedelt haben, wieder in die Innenstadt zu locken. Nicht selten wollen | |
die das auch, weil die Vororte gerade für Ältere schlecht angebunden sind. | |
Das Problem ist, dass sich die Häuser dort schlecht verkaufen lassen. | |
In den letzten Jahren haben sich neue Industriezweigen in Bremerhaven | |
angesiedelt, zum Beispiel aus der Windenergie-Branche. Deren Firmen | |
beschäftigen rund 5.000 Mitarbeiter – Menschen, die zum Teil auch in der | |
Stadt wohnen könnten. Für sie will die Stadt qualitativ hochwertige | |
Wohnungen bauen – in besseren Lagen als hier in Lehe. Denn solche Wohnungen | |
seien heute Mangelware, sagt Stadtplaner Friedrich. Von Aufwertungs- und | |
Verdrängungsprozess sieht er Bremerhaven aber noch weit entfernt. | |
„Gentrifizierung ist hier ein Fremdwort.“ | |
Kaum noch saniert | |
Eine Autostunde entfernt kämpft Wilhelmshaven gegen dasselbe Problem, die | |
Verödung des innenstadtnahen Altbauviertels, mit anderen Mitteln. Anders | |
als Bremerhaven hat die Garnisonsstadt ihr städtisches Wohnungsunternehmen | |
verkauft: Im Dezember 2004 ging die Jade-Wohnungsbaugesellschaft mit 7.500 | |
Wohnungen an den US-amerikanischen Investor Cerberus. Bis heute wechselten | |
die Gebäude mehrfach ihren Besitzer. Mit dem Ergebnis, dass die Häuser kaum | |
noch saniert wurden. | |
Mit Mitteln der Städtebauförderung des Bundes schuf Wilhelmshaven darum ein | |
Anreiz-Programm für Immobilienbesitzer und erließ eine | |
Modernisierungsrichtlinie: In der Südstadt können Eigentümer Zuschüsse bis | |
30 Prozent bekommen, sowohl in Gebieten, wo einst Offiziere und Admiräle in | |
prächtigen Bauten wohnten, als auch im Arbeiterviertel Bant mit seinen | |
Altbaubeständen und Einfamilienhäusern. | |
An diesem Nachmittag stehen mitten in der Wilhelmshavener Fußgängerzone, | |
zwischen den Kleiderläden Pimkie und Runners Point, drei Männer mit | |
Filzstiefeln und Pelzhüten. Sie verkaufen CDs des Rostov Don Kosaken-Chors | |
und singen russische Lieder. | |
Ein paar Läden weiter gibt es beim Bäcker Müller Egerer belegte Brötchen | |
mit Remoulade oder Butter und Cappuccino für 4,15 Euro. An der Wand neben | |
dem WC hängt ein Schild: „Dieses Projekt wird mit Mitteln des Europäischen | |
Fonds für regionale Entwicklung gefördert.“ | |
15 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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Bremerhaven | |
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