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# taz.de -- Aktuelle Lage in Fukushima: Gefährliche Strahlengurke
> Erste offizielle Daten über die nukleare Belastung in Fukushima zeigen,
> dass die Grenzwerte teilweise weit überschritten sind. Die WHO weist
> indes Kritik zurück.
Bild: Die Suche nach Opfern in Fukushima geht weiter.
BERLIN/GENF taz | Die Strahlenbelastung der weiteren Umgebung des
havarierten Atomkraftwerks Fukushima Daiichi hat an manchen Stellen
gefährliche Werte erreicht, dies ist jetzt offiziell bestätigt. Die
WEltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Kritik an ihrer passiven Rolle
zurückgewiesen.
Vor allem in der "Abgasfahne" Richtung Nordwesten überschreiten die
Messergebnisse teilweise deutlich die Grenzwerte. Diese Tatsache, die
bisher von Umweltschützern und internationalen Organisationen moniert
wurde, wird jetzt durch offizielle japanische Daten bestätigt. Gestern
begannen die Behörden in Japan mit der Veröffentlichung der Werte, die
bisher laut Regierung "aus Angst vor Panik" zurückgehalten wurden.
Alle Messungen zeigen eine Zone der Belastung, die sich ähnlich einer Gurke
nach Nordwesten erstreckt. Im Kern der Zone haben die Behörden zwischen dem
12. März und dem 24. April Belastungen von 100 Millisievert gemessen - eine
Dosis, bei der nach einer Übersicht des "Bundesamts für Strahlenschutz"
(BfS) Krebserkrankungen und die Schädigungen von Embryonen leicht zunehmen.
Bis an die Grenze der 20-Kilometer-Zone, aus der die Menschen evakuiert
wurden, wurden immer noch 50 Millisievert gefunden - auch das noch
zweieinhalbmal so viel, wie ein AKW-Arbeiter pro Jahr aufnehmen darf. Und
die geborstenen Reaktoren strahlen weiter.
Ergänzt werden diese aktuellen Messungen aus den Wochen nach dem Desaster
in Fukushima durch eine andere Hochrechnung: Die französische
Nuklearsicherheitsbehörde IRSN hat auf der Basis von Messdaten des
US-Energieministeriums die radioaktive Belastung der Gegend für die Zukunft
abgeschätzt (siehe Grafik). Danach soll im Nordwesten der zerstörten
Reaktoren von Fukushima Daiichi die Belastung auf über 4 Millisievert
steigen, in manchen Gegenden auf über 18, und in einer breiten Kernzone auf
über 30 Millisievert pro Jahr.
Damit liegen diese Werte deutlich höher als etwa die Grenzwerte für
AKW-Arbeiter und weit über den etwa 2 Millisievert, die pro Jahr Menschen
aus künstlichen Quellen wie etwa medizinischen Untersuchungen zumutbar
sind.
## Mehr als 30 Millisievert
An einigen "Hotspots" überschreiten die geschätzten Belastungen 30
Millisievert. Das BfS erklärt: "Die uns vorliegenden Messergebnisse zeigen,
dass die unter anderem von der IAEO und von Greenpeace empfohlene
Ausdehnung der Evakuierungsmaßnahmen in nordwestlicher Richtung schon
aufgrund der nachgewiesenen Belastungen geboten ist."
Zumindest mittelfristig sind diese Gegenden nach Meinung von Sebastian
Pflugbeil von der Deutschen Gesellschaft für Strahlenschutz kaum noch zu
bewohnen. "Da muss man weg, da gibt es keine Grundlage zum Leben", sagte
Pflugbeil nach seinen Erfahrungen aus der "Todeszone" rund um das AKW in
Tschernobyl. Die Grenzwerte für die radioaktive Belastung von Schulkindern
in Fukushima liefen auf einen Wert hinaus, der dem eines AKW-Arbeiters
vergleichbar sei.
Inzwischen wurde bekannt, dass nach Problemen mit Brennstäben im
Atomkraftwerk Tsuruga II an der Westküste Japans der Betreiber Japan Atomic
Power Co. den Meiler herunterfahren will. Jeder der insgesamt 193
Brennstäbe soll auf Schäden untersucht und wenn nötig ausgetauscht werden.
Am Montag hatte ein Anstieg radioaktiver Substanzen im Kühlwasser des
Reaktors Hinweise auf leicht defekte Brennelemente gegeben.
## WHO weist Kritik zurück
Die Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf,
Margaret Chan, hat die seit Ende März in der taz und anderen Medien
geäußerte Kritik an der passiven Rolle der WHO nach der Nuklearkatastrophe
von Fukushima sowie am Abkommen mit der Internationalen
Atomenergieorganisation (IAEO) zurückgewiesen.
Chan erteilte den WHO-MitarbeiterInnen schriftlich ein Kontakt-und
Gesprächsverbot mit den Mitgliedern der "Initiative für eine unabhängige
WHO", die seit April 2007 täglich vor der WHO-Zentrale für die Aufkündigung
des Pakts mit der IAEO demonstrieren. 1959 hatte sich die WHO dazu
verpflichtet, beim Umgang mit den Folgen radioaktiver Strahlung "die IAEO
zu konsultieren, um die betreffende Frage einvernehmlich zu regeln".
"Die WHO hat ihre Verantwortung mit Blick auf Fukushima voll wahrgenommen",
erklärten Chan und die stellvertretende Leiterin der WHO-Abteilung für
Umweltfragen, Maria Neira, gegenüber den Diplomaten mehrerer
WHO-Mitgliedstaaten. In ein "schiefes Licht geraten" sei die WHO "einzig
durch die einseitige Berichterstattung einiger Medien". Nach Darstellung
von Chan und Neira "ist die Katastrophe von Fukushima nicht mit Tschernobyl
zu vergleichen, und sie hat bislang nur nationale Auswirkungen in Japan,
aber keine grenzüberschreitenden, internationale Folgen". Daher halten sie
"eine stärkere Rolle der WHO nicht für erforderlich".
Die WHO sei bei Fragen zu gesundheitlichen Folgen radioaktiver Strahlung
"immer völlig unabhängig gewesen". Das Abkommen habe "keinerlei Einfluss
auf die Arbeit der WHO und keine praktische Relevanz". Aktuelle wie
ehemalige MitarbeiterInnen widersprechen und verweisen auf konkrete Fälle
der Einflussnahme durch die IAEO.
Eine Kündigung des Vertrags halten Chan und Neira für "falsch". Denn
dadurch würde "der Eindruck verstärkt, die WHO sei in der Vergangenheit
nicht unabhängig gewesen". Die Bundesregierung beruft sich auf Chans und
Neiras Aussagen und erklärte auf eine Anfrage des Grünen Uwe Kekeritz, sie
sehe "keinen Anlass", auf der am 16. Mai beginnenden WHO-Generalversammlung
die Kündigung des Vertrages mit der IAEO zu beantragen.
3 May 2011
## AUTOREN
B. Pötter
A. Zumach
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