# taz.de -- WHO-Chefin gibt es erstmals zu: Radioaktive Strahlung immer gefähr… | |
> Bislang vertrat die WHO immer dieselbe Position wie die IAEA: So genannte | |
> "interne radioaktive Strahlung", im Körper angereichert, sei nicht | |
> gefährlich. Damit ist nun Schluss. | |
Bild: Margaret Chan beim Treffen mit der "Initiative für eine unabhängige WHO… | |
GENF taz | "Es gibt keine ungefährlichen Niedrigwerte radioaktiver | |
Strahlung", erklärte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am Mittwoch bei | |
einem kurzfristig anberaumten Treffen mit Mitgliedern der kritischen | |
"Initiative für eine unabhängige WHO". Die von ukrainischen, russischen und | |
westeuropäischen Ärzten und Strahlenbiologen sowie ehemaligen | |
WHO-MitarbeiterInnen gegründete Initiative demonstriert seit über vier | |
Jahren täglich vor der WHO-Zentrale für eine Kündigung des Abkommens mit | |
der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA). | |
Bislang hatte die WHO immer die von der IAEA vorgegebene Position | |
vertreten, radioaktive Strahlung unterhalb bestimmter Grenzwerte sei | |
ungefährlich. Chan bezog sich bei ihrer Aussage auf die interne Strahlung | |
radioaktiver Partikel – beispielsweise Jod131, Cäsiums137, Strontium90, | |
Plutonium – die über Nahrungsmittel, Wasser oder Atemluft in den Körper | |
aufgenommen werden und sich in der Schilddrüse, Knochen oder inneren | |
Organen ablagern und dort weiterstrahlen. | |
Diese Partikel sind nach zahlreichen Untersuchungen unabhängiger | |
Wissenschaftler, die seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 | |
durchgeführt wurden, verantwortlich für bis zu 95 Prozent aller durch | |
radioaktive Strahlung verursachten Krebsfälle und genetischen | |
Veränderungen. Die WHO hat die interne Strahlung bis heute negiert, und | |
sich in allen Aussagen zu potentiellen Gesundheitsgefahren immer nur auf | |
externe radioaktive Strahlung – etwa durch Vorbeizug einer radioaktiven | |
Wolke – und die diesbezüglichen Messungen nach den Atombombenabwürfen von | |
Hiroshima und Nagasaki im Jahre 1945 bezogen. | |
## Chan distanzierte sich von Tschernobyl-Aussagen der WHO | |
Chan distanzierte sich auch von den bisherigen Aussagen der WHO zu den | |
Folgen von Tschernobyl. "Ich persönlich glaube nicht, daß der Nuklearanfall | |
in Tschernobyl nur 50 Todesopfer gefordert hat" erklärte die | |
WHO-Generaldirektorin laut Mitschrift des Gesprächs mit der | |
Kritiker-Initiative. Im Einklang mit der IAEA behauptet die WHO bis heute | |
offiziell, in Folge der Tschernobyl-Katastrophe seien lediglich 52 | |
verstrahlte Personen gestorben und bis zu 6.000 weitere an Schildrüsenkrebs | |
erkrankt. Diese Zahlen hat auch die UN-Wissenschaftlerkommission UNSCEAR | |
übernommen und zuletzt im Februar dieses Jahres veröffentlicht. | |
Unbeschadet der Korrektur bisheriger Positionen beharrte Chan darauf, mit | |
Blick auf die aktuelle Atomkatastrophe in Fukushima habe die WHO "ihre | |
Verantwortung voll wahrgenommen". Und dies "ohne Einschränkung durch das | |
bilaterale Abkommen mit der IAEA von 1959." Chan verteidigte gegenüber den | |
Kritikern auch, daß die WHO bis heute die Meßergebnisse zu Fukushima unter | |
Verschluss hält, die sie und die IAEA regelmäßig von der internationalen | |
Behörde zur Überwachung des Abkommen über Teststop von Atomwaffen (CTBTO) | |
erhält. Die weltweit 80 Messstellen der CTBTO registrieren rund um die Uhr | |
die radioaktive Strahlung in der Atmosphäre. | |
## WHO hält jedoch Fukushima-Meßergebnisse unter Verschluss | |
Die [1]["Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik"] (ZAMG) in Wien, | |
die ebenfalls Zugriff auf die Meßergebnisse der CTBT0 hat, stellte bereits | |
Ende März einen deutlich höheren Austritt von Radioaktivität aus Fukushima | |
fest, als die japanischen Behörden – und gestützt auf deren Angaben die WHO | |
und die IAEA – öffentlich bekannt gaben. Chan erklärte, die WHO würde die | |
CTBTO-Meßdaten "nur veröffentlichen, wenn sie gefährliche Werte anzeigen". | |
Ob das der Fall sei, entscheide sie "allein". | |
Zugleich räumte die Generaldirektorin ein, daß sie "keine Expertin für | |
radioaktive Strahlung" ist, und daß die WHO "bei diesem Thema heute fast | |
überhaupt keine eigene Kompetenz mehr hat". Die Abteilung für | |
Strahlenbiologie in der Genfer WHO-Zentrale wurde vor zwei Jahren auf Druck | |
privater und staatlicher Geldgeber geschlossen. Zuvor war der | |
stellvertretende Leiter der Abteilung mit dem Versuch, niedrigere | |
WHO-Grenzwerte für Jodbelastung durchzusetzen, am Einspruch der IAEA und | |
Frankreichs gescheitert. | |
## WHO vertuschte Tschernobyl-Konferenz-Dokumente | |
Heute gibt es in der Genfer WHO-Zentrale nur noch eine einzige | |
Strahlenbiologin. Chan sagte der "Initiative für eine unabhängige WHO" zu, | |
sie wolle "untersuchen, was mit den Dokumenten der 2.001 gemeinsam mit der | |
IAEA veranstalteten Tschernobyl-Konferenz in Kiew geschehen ist". Bislang | |
behauptet die WHO wahrheitswidrig, die Dokumente seien vollständig | |
veröffentlicht worden. | |
Tatsächlich wurde nur eine knappe Zusammenfassung veröffentlicht. Von den | |
über 700 Dokumenten der ersten Tschernobylkonferenz, 1995 gemeinsam von WHO | |
und IAEA in Genf durchgeführt, wurden bis heute lediglich zwölf | |
veröffentlicht. Das habe die IAEA unter Berufung auf das Abkommen mit der | |
WHO durchgesetzt, bestätigte der damalige WHO-Generaldirektor Nakashima | |
inzwischen in einem Fernsehinterview. | |
5 May 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.zamg.ac.at/wetter/fukushima/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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