# taz.de -- Christen in Ägypten: Hass, Frust und Hoffnung | |
> Die Ägyptische Christen fühlen sich vom Militär nicht ausreichend | |
> geschützt. Und viele ihrer Landsleute werten die Angriffe auf die Kirchen | |
> als Angriffe auf die Revolution. | |
Bild: Beim Angriff auf die Kirche Sankt Mina starben 13 Menschen. | |
KAIRO taz | Manchmal liegen Frustration und Hoffnung eng beieinander. In | |
Kairo sind es genau vier Kilometer Luftlinie zwischen dem Armenviertel | |
Imbaba mit der ausgebrannte Kirche und den Christen, die sich voller Angst | |
in ihre Häuser zurückgezogen haben, und der anderen Seite des Nils, wo vor | |
dem Gebäude des staatlichen Fernsehens Christen und Muslime gemeinsam für | |
die nationale Einheit demonstrieren. | |
Eine Autofahrt nach Imbaba ist eine Reise ins Elend. In solchen Gegenden | |
wohnen jene 40 Prozent der Ägypter, die mit wenig mehr als einem Euro am | |
Tag auskommen müssen. Viele Jugendliche sind ohne Arbeit, die Straßen sind | |
voll mit Kindern, die niemals eine Schule von innen gesehen haben. Hier ist | |
der Nährboden für religiösen Hass besonders fruchtbar. | |
Imbaba ist durchzogen von engen, schier endlosen Gassen, in die kaum das | |
Licht der Sonne kommt und in denen sich die Nachbarn über ihren Balkons, | |
quer über die Wäscheleinen, von einer Seite der Gasse zur anderen fast die | |
Hände reichen können. An diesem Morgen aber, wenige Tage nach den Angriffen | |
auf die Kirchen, bei denen 13 Menschen, Christen und Muslime, ums Leben | |
kamen, möchte kaum jemand die Hände reichen. | |
Vor der Kirche der Jungfrau Maria sind Soldaten und Polizisten aufgezogen. | |
Sie bewachen das teilweise ausgebrannte Gebäude, in dem bereits wieder eine | |
Messe abgehalten wird. Es ist eine bizarre Szene: Während aus der Kirche | |
Choräle nach draußen dringen, stehen davor gepanzerte Mannschaftswagen der | |
Armee und der Bereitschaftspolizei, die die Zufahrtsstraße zur Kirche | |
abgesperrt haben. | |
Die Regierung steht in der Pflicht. Denn nach den Angriffen vom Wochenende | |
wurde die Frage laut, warum die Sicherheitskräfte nicht rechtzeitig | |
eingegriffen hätten. Tatsächlich konnte der mit Schwertern, Gewehren und | |
Molotowcocktails bewaffnete Mob nicht nur vor der Kirche Sankt Mina wüten, | |
wo Gerüchten zufolge eine zum Islam konvertierte Frau gegen ihren Willen | |
festgehalten wurde. Er konnte auch ungehindert die zwei Kilometer zur | |
Kirche der Jungfrau Maria marschieren und diese in Brand setzen. | |
## Weder Armee noch Polizei waren vor Ort | |
Dem Nationalen Rat für Menschenrechte zufolge waren weder die Polizei noch | |
die Armee vor Ort. "Wir sind doch keine Feuerwehr", lautet die laue Antwort | |
eines jungen Armeeoffiziers, der an diesem Morgen zur Bewachung der Kirche | |
der Jungfrau Maria abgestellt wurde. | |
In der Nähe der abgebrannten Kirche winkt ein Schneider in seinen Laden. Er | |
möchte über alles reden, aber nicht auf der Straße, sagt der Kopte. Dort | |
redeten alle vor Journalisten von der Einheit von Christen und Muslimen. | |
Aber fast alle seien Muslime, denn die meisten Christen trauten sich nur | |
noch für die notwendigsten Besorgungen aus ihren Häusern. | |
Seinen Namen möchte er nicht nennen, er habe auch Angst, sagt er und führt | |
den Besucher über einen mit Müll übersäten Weg zu seinem Haus. Dabei blickt | |
er immer wieder misstrauisch über die Schulter. Eine enge, dunkle Stiege | |
führt in den zweiten Stock, in der sich die sechsköpfige Familie zwei | |
Zimmer teilt. Ganz in Schwarz gekleidet, sitzt die Schwester des Schneiders | |
auf einem zusammengezimmerten Sofa. "Mein Neffe wurde von zwei Kugeln | |
getroffen", beginnt sie und deutet auf ihr Bein und ihren Hals. "Er ist | |
tot." Er sei gerade auf dem Weg von seinem Institut gewesen. "In fünf | |
Wochen hätte er seinen Abschluss gehabt, dann wäre er nach Italien | |
gefahren." Sie weint. | |
Als sie sich wieder gefasst hat, fährt sie fort: Am Samstagabend sei eine | |
Gruppe von Männern in weißen Gewändern und langen Bärten vor der Kirche | |
Sankt Mina aufgezogen. Schon bald hätten sich viele Christen, darunter | |
viele Jugendliche, vor der Kirche versammelt, um diese zu schützen. "Dann | |
fielen die ersten Schüsse, woher, weiß ich nicht", sagt sie. Auf jeden Fall | |
seien das Militär und die Polizei erst Stunden später gekommen. "Das ist | |
auch unser Land. Wir werden hier nicht weggehen, wohin sollten wir auch?", | |
fragt sie und fügt hinzu: "Wir brauchen jemanden, der uns schützt. Nur Gott | |
schützt uns, nicht das Militär." | |
## Von den Balkonen kam Jubel | |
Die meisten der radikalen Islamisten, die Salafisten, die die Kirche | |
angegriffen haben, seien nicht aus dem Viertel gewesen, schildert der | |
Schneider. Aber sie hätten Zulauf von muslimischen Jugendlichen erhalten. | |
Als die Kirche angegriffen wurde, sei sogar Jubel von den Balkonen zu hören | |
gewesen, erinnert er sich. | |
"Im Fernsehen reden sie von der Einheit zwischen Christen und Muslimen, | |
aber die Realität in unserem Viertel ist eine andere", ärgert er sich. | |
"Jetzt heißt es, die Muslime kämen, um uns zu schützen. Das brauchen wir | |
nicht, alles, was wir brauchen, ist der Schutz des Gesetzes." Der | |
christliche Schneider ist voller Bitterkeit. Am Anfang habe er die | |
Revolution bejubelt, jetzt habe er alle Hoffnung verloren. | |
Auf der anderen Seite des Nilufers ist die Revolution noch in vollem | |
Schwung. Mehrere tausend Menschen, meist Christen, aber auch Muslime, haben | |
sich vor dem Fernsehgebäude versammelt, um gegen die Übergriffe auf die | |
Christen und für die nationale Einheit zu demonstrieren. "Christen und | |
Muslime ziehen an einem Strang", rufen sie. Viele halten Kreuze hoch. Eine | |
Muslimin im schwarzen Vollschleier hält ein Marienposter in der Hand und | |
ruft mit. Neben ihr steht eine Muslimin mit Kopftuch, das nur ihr Gesicht | |
freilässt. Sie streckt ihre Hand in die Luft, auf die sie ein rotes Kreuz | |
gemalt hat. Immer wieder rufen die Demonstranten Sprüche gegen die | |
Militärführung und fordern die Absetzung von Mohammed Tantawi, dem Chef des | |
obersten Militärrats. | |
"Ich glaube, es gibt einen Plan", sagt der koptische Aktivist Simon Wafiq | |
Zahr. Die Schergen des Mubarak-Regimes und das "Mubarak-Militär", wie er es | |
nennt, "hetzen hinterrücks die Religionen gegeneinander auf. Sie wollen uns | |
Angst einjagen, damit wir am Ende keinen zivilen, sondern einen vom Militär | |
geführten Staat akzeptieren", glaubt er. Er humpelt mit einem Stock über | |
den Platz. Bei den Auseinandersetzungen wurde er an einem Bein von einem | |
Stein getroffen. | |
Ob er die Ansicht mancher Christen teilt, dass sie in der Ära Mubarak | |
sicherer lebten? Zahr winkt vehement ab. "Christen wurden immer | |
angegriffen, auch zur Zeit Mubaraks", sagt er und erinnert an den Anschlag | |
auf eine Kirche in Alexandria zur Silvesternacht. "Jetzt haben wir die | |
Freiheit, auf die Straße zu gehen und zu sagen, dass es so nicht | |
weitergeht", meint er. | |
## Angriff auf die Revolution | |
Dass es so nicht weitergeht, ist auch der Konsens in den Medien. Dort | |
werden die Angriffe auf die Kirchen nicht nur als Angriffe auf die | |
Christen, sondern als Angriffe auf die Errungenschaften der Revolution | |
verurteilt und mit der Sorge betrachtet, dass die bisherigen Umwälzungen | |
noch nicht genug sind. | |
"Ägypten brennt. Das Land lebt immer noch im alten Modus, wo die Mehrheit | |
schweigt und eine laute Elite isoliert ist. Nun versuchen radikale | |
religiöse Bewegungen die Revolution zu kidnappen", kommentiert die | |
Tageszeitung al-Masry al-Youm. Und in einem Leitartikel der staatlichen | |
al-Ahram heißt es: "Ägypter und der Rest der Welt haben gestaunt, wie | |
Christen und Muslime auf dem Tahrirplatz zusammengearbeitet haben. | |
Diejenigen, die Kirchen angreifen, verraten nicht nur ihren eigenen | |
Glauben, sondern auch die Revolution." | |
Das Gefühl, dass es bei den Angriffen auf Kopten nicht mehr nur um die | |
Christen geht, sondern um das gerade in der Revolution gewonnene eigene | |
Land, ist weit verbreitet. Neu ist auch die offene Auseinandersetzung mit | |
den radikalen islamistischen Hasspredigern. Deren Videoclips, in denen sie | |
dazu aufrufen, "sich den christlichen Hunden entgegenzustellen", werden nun | |
zur Primetime in den Talkshows im Fernsehen gezeigt und von politischen | |
Kommentatoren, moderaten Theologen oder hochrangigen Polizeioffizieren | |
auseinandergenommen. | |
Und das ist neu in der ägyptischen Gesellschaft, dass die radikalen | |
Scheichs und ihre Anhänger nicht mehr nur als Sicherheitsproblem, sondern | |
als gesellschaftliche und politische Herausforderung angenommen werden. Das | |
alte Regime hatte sich aus der Angst, unislamisch zu erscheinen, vor ihnen | |
oft weggeduckt. Ab und an wurde mal ein radikaler Scheich verhaftet. | |
Inzwischen sind die meisten von ihnen auf freiem Fuß und viele aus dem Exil | |
zurückgekehrt. Jetzt wird öffentlich gegen sie inhaltlich Front gemacht. | |
Wie es die ägyptische Bloggerin Zeinobia im Sinne vieler Ägypter deutlich | |
macht: "Wir haben die Revolution nicht gemacht, damit irgendwelche | |
radikalen Islamisten sie uns wieder wegnehmen." | |
Über 200 Personen wurden seit den Ausschreitungen festgenommen. Darunter | |
zwei Männer, die das Innenministerium verdächtigt, wesentlich für die | |
Gewalt vom Wochenende verantwortlich zu sein: den muslimischen Ehemann, der | |
die Salafisten geholt haben soll, und einen christlichen | |
Kaffeehausbesitzer, der als Erster scharf geschossen haben soll. | |
11 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
Karim El-Gawhary | |
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