# taz.de -- Doku über Rückkehr eines Kinderschänders: Zwischen allen Fronten | |
> Heute kommt die großartige Doku "Auf Teufel komm raus" in die Kinos. Sie | |
> erzählt von einem Vergewaltiger, dessen Rückkehr in die Gesellschaft | |
> unmöglich gemacht wird. | |
Bild: Der Mob skandiert: "Raus, raus, raus aus dem Haus!" | |
Am Anfang steht da ein Schild. Auf dem ist zu lesen: "Achtung, | |
Kinderschänder! Karl D. 400 m rechts". Eine Handvoll Demonstranten hat sich | |
vor einem Haus in der schäbigen deutschen Provinz postiert. Es werden Dinge | |
in die Kamera gesagt wie: "Das kann man sich gar nicht vorstellen". Und: | |
"Das ist doch nicht normal". Und: "Wenn der Rechtsstaat das beschließt, | |
dann ist das halt so." Später skandieren sie: "Wir wollen keine | |
Kinderschänderschweine!" Und dann: "Raus, raus, raus aus dem Haus!" | |
Schnitt. Im Haus beobachten Karl D. und Helmut das Geschehen durch die | |
Jalousie hindurch. Karl D. sagt: "Ach, da kommt die nächste Versoffene." | |
Helmut stimmt ein. Die irritierend arroganten Bemerkungen der Brüder | |
kaschieren nicht, wie aufgeregt, wie verletzt sie sind. | |
Drinnen die Täter: Karl D. wurde 1985 wegen Vergewaltigung einer | |
15-jährigen Schülerin zu einer Freiheitsstrafe von über fünf Jahren | |
verurteilt. 1995 wurde er wegen Vergewaltigung und Misshandlung von zwei 14 | |
und 15 Jahre alten Anhalterinnen zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren | |
verurteilt. 2009 kam er nach seiner Entlassung im Haus seines Bruders | |
unter. Karl D. gilt als rückfallgefährdet und wird daher im Rahmen der | |
sogenannten Sicherheitsverwahrung rund um die Uhr bewacht. | |
## "Ekelhafter Mob" | |
Draußen die Demonstranten: Die Nachbarn in Randerath, einem Ortsteil von | |
Heinsberg, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen, sind | |
entsetzt. Im Haus ein Mann und seine Familie, der jede Menschenwürde von | |
der Gemeinde verweigert wird, die aber auch verdrängt, um zusammenleben zu | |
können. Vor dem Haus ein ekelhafter Mob, der rationale Argumente schon | |
längst nicht mehr im Blick hat, der sich mit demonstrierenden Neonazis | |
einigt, die für die Todesstrafe demonstrieren, der Polizisten beschimpft, | |
die bei der Arbeit Zeitung lesen und für einen Moment das Haus aus den | |
Augen lassen, in dem Karl D. wohnt. Deutschland, ein Wintermärchen, dass es | |
dem Zuschauer kalt den Rücken runterläuft. Und trotzdem: Dieser Film zeigt | |
auch, dass sich unter all diesen Leuten auch zu Recht besorgte | |
Familienväter befinden. Und da sind auch Frauen, die selbst vor Jahren | |
vergewaltigt wurden. | |
Fast ein Jahr lang haben die Filmemacherinnen Mareille Klein und Julie | |
Kreuzer in Randerath gefilmt - herausgekommen ist ein präziser, | |
ausgewogener Dokumentarfilm, der bereits auf dem Max Ophüls Festival | |
ausgezeichnet wurde. Der Fokus des Films liegt weniger auf der Diskussion | |
von Schuldfragen als auf der sorgfältigen Analyse eines sozialen Konflikts, | |
eines Dilemmas, das kaum zu lösen ist. Er zeigt auf sehr unaufgeregte Art | |
beide Seiten, weder kommentiert er, noch stellt er Schuldfragen, er | |
ergreift nie Partei und erschüttert so, weil er am Ende selbst noch die | |
Positionen der liberalsten Zuschauer durcheinanderbringt. | |
Unbehagen schafft der Film auch da, wo das soziale Milieu in den Blick | |
gerät, das diesen Konflikt austrägt. Die deutsche Provinz ist kein | |
Zuckerschlecken. Auf beiden Seiten der verhärteten Front: Bildungsferne. | |
Abgearbeitete Gesichter, aufgedunsene Gesichter. Tätowierte Oberkörper in | |
Unterhemden füllen Einbauküchen aus dem Musterhausküchenfachgeschäft aus. | |
Immer wieder verirrt sich Helmut in Worthülsen, wenn er erklären soll, | |
warum er seinen Bruder trotz seiner Taten bei sich aufgenommen hat und | |
warum er ihm glaubt, dass er das zweite und dritte Mädchen nicht | |
vergewaltigt und misshandelt haben will. Und die Demonstranten? Einmal regt | |
sich eine auf, weil ihr Karl auf der Straße begegnet ist: "Und ich so zu | |
meiner Freundin: Der ist mir voll in die Fresse gelaufen!" Ein andermal | |
unterhält sich ein Ehepaar über einen Schmähbrief der Demonstranten an | |
Helmut und seine Familie. Die Frau liest vor: "Was ihr da veranstaltet, das | |
zeigt euren Charakter. Der ist für in die Müll zu kloppen!" Der Mann | |
kommentiert: "Das ist ein Analphabet, der das geschrieben hat! Der hat doch | |
die Buchstaben aus dem Internet rausgesucht!" | |
## Bruder Helmut zerbricht am Konflikt | |
Trotz allem zeigt "Auf Teufel komm raus" großen Respekt vor diesen Leuten. | |
Da ist auf der einen Seite vor allem der gutmütige und unbeholfene Bruder | |
Helmut, der an diesem Konflikt schier zu zerbrechen droht. Er ist der | |
Einzige aus der Familie, der noch mit Karl spricht, er will Karl einfach | |
nicht fallen lassen, auch wenn er dies nicht wirklich in Worte zu kleiden | |
vermag. Andererseits hat er bereits mit dem Jugendamt zu tun. Dort ist man | |
der Meinung, das Wohl seines Sohnes leide unter der verzwackten Situation | |
der Familie. Die Familie droht zu zerbrechen. Immer wieder platzt Helmut | |
der Kragen. Er geht auf Demonstranten los, droht, sie mit dem Auto zu | |
überfahren, prügelt sich mit der Polizei. Kurz nachdem man sich als | |
Zuschauer Sorgen um ihn zu machen beginnt, liegt er tatsächlich im | |
Krankenhaus und hat offensichtlich einen Herzinfarkt erlitten. In alldem | |
wirkt er unendlich menschlich. | |
## Karl dient als Projektionsfläche für Vergewaltigte | |
Auf der anderen Seite sind es drei Frauen, die zwischen all den Worthülsen, | |
den Problemen, vor lauter aufgesetzter Wut über "den Teufel" die richtige | |
Grammatik zu finden, und um Menschlichkeit, Zivilcourage und ihre echte, | |
ihre authentische Meinung ringen. Nach und nach stellt sich heraus, dass | |
diese Frauen selbst vergewaltigt wurden, dass Karl für sie eine mächtige | |
Projektionsfläche ist. Eine erzählt offen in die Kamera hinein, was ihr | |
passiert ist. Eine andere berichtet, sie habe bisher noch niemandem | |
erzählt, was ihr geschehen sei, nicht einmal ihrem Mann. Da wird der Film | |
zum ersten Mal offen selbstreflexiv. Man hört plötzlich bewusst aus dem Off | |
die Stimme eine der Regisseurinnen: "Wie kam das raus?" Die Frau antwortet: | |
"Mit euch! Da habe ich es das erste Mal gesagt." | |
Wie hält man sich aus seinem Sujet raus, auch wenn man es einen noch so | |
berührt? Wie hält man die Spannung aus, sich nicht in die Entscheidungen | |
der Leute einzumischen, die man dokumentiert? All das sind Fragen, die "Auf | |
Teufel komm raus", dieser zutiefst integre Film über einen unlösbaren | |
Konflikt, auch verhandelt. Am Ende sind es ausgerechnet die vergewaltigten | |
Frauen, die ihre Front aufgeben und das Gespräch mit Karl und Helmut | |
suchen. Dies ist wohl die erstaunlichste Wendung in diesem Film. Eine der | |
Frauen stellt dem Vergewaltiger mit bewundernswerter Offenheit und völlig | |
phrasenfrei die Frage: "Sie sind sich schon im Klaren darüber, dass sie von | |
der Frau einen Teil ihres Lebens und ihrer Seele zerstört haben?" | |
Doch selbst diese Entscheidung der Frauen, den Mann kennenzulernen, gegen | |
den sie da auf die Barrikaden gegangen sind, möglicherweise von den | |
Dreharbeiten inspiriert, stammt von den Frauen selbst, nicht von den | |
Filmemacherinnen. Das ist Mareille Klein und Julie Kreuzer unendlich hoch | |
anzurechnen. | |
12 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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