# taz.de -- Filmstart von "Picco": Der Neue in der Viererzelle | |
> "Picco", das Debüt des jungen Filmemachers Philip Koch, handelt von | |
> Folter im Jugendknast. Seine Schwäche: Das Zeigen grausamer Szenen führt | |
> zu keinerlei Erkenntnis. | |
Bild: Andy (stehend) schaut sich die Gruppendynamik in seiner Zelle erstmal von… | |
Im November 2006 quälten drei Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Siegburg | |
einen 20 Jahre alten Mithäftling so lange, bis er sich selbst erhängte. | |
Nachdem die Tat bekannt geworden war, hörte man ähnliche, wenn auch nicht | |
ganz so erschütternde Geschichten aus anderen Gefängnissen, etwa aus der | |
JVA Siegen, wo ein Insasse im Sommer 2006 einen anderen zwang, sich die | |
Pulsadern aufzuschneiden. In diesem Fall hatte das Opfer Glück, da ein | |
weiterer Häftling rechtzeitig Hilfe holen konnte. | |
"Picco", das Langfilmdebüt des 1982 geborenen Regisseurs Philip Koch, | |
versteht sich zwar nicht als Verfilmung dieser Fälle, bewegt sich aber | |
recht dicht an den Geschehnissen von Siegburg entlang. Ein neuer Häftling | |
landet in einer Viererzelle, Kevin heißt er (Constantin von Jascheroff), | |
hier nennen ihn alle Picco. Mit diesem Namen wird ihm eine Funktion | |
zugewiesen: Er muss sich den anderen unterwerfen, muss Zigaretten abgeben, | |
die Zelle fegen, seine Zahnbürste wird mit Kot verschmutzt. Koch setzt die | |
Rituale der Demütigung in graustichigen, die räumliche Enge betonenden | |
Bildern in Szene. | |
Die Figuren typisiert er deutlich: Da ist der sensible, schmächtige Tommy | |
(Joel Basman), der sich Ansehen verschafft, indem er dealt; da ist das | |
aggressive Großmaul Marc (Frederick Lau), und da ist der smarte, | |
hinterhältige Andy (Martin Kiefer). Kevin lernt in dieser Gesellschaft | |
schnell: Solange er ganz unten in der Hierarchie steht, muss er | |
Demütigungen und körperliche Unterwerfung fürchten. Sobald ein anderer | |
schwächer ist als er, weicht der Druck von ihm. | |
Diesen Druck gibt "Picco" ungebrochen an sein Publikum weiter. Ist Koch | |
zunächst, bei einer Vergewaltigungsszene in der Wäscherei, noch gnädig | |
genug, die Gewalttat im unscharfen Hintergrund des Bildes anzusiedeln, | |
schaut er in der letzten, langen Sequenz, in der die Folterung und | |
Hinrichtung des einen Häftlings durch die drei anderen nachgestellt wird, | |
genau hin. Das ist schwer auszuhalten; was wiederum dem Film nicht | |
anzulasten wäre, wüsste man, warum man diese Sequenz aushalten soll. Man | |
weiß es aber nicht so recht, und Koch weiß es auch nicht, so dass sein Film | |
hier etwas Kraftmeierisches bekommt: Schaut her, so langsam, beharrlich und | |
kompromisslos zeige ich euch, was ihr nicht sehen wollt. | |
Indem "Picco" die Gewalt als etwas zeichnet, woraus es keinen Ausweg gibt, | |
indem er dem Sadismus der Figuren nie etwas entgegenhält, setzt er beides | |
auf merkwürdige Weise absolut. So wird aus dem konkreten Siegburger | |
Extremfall etwas vermeintlich Allgemeingültiges, eine laborhafte Anordnung, | |
die an spekulative Filme wie Oliver Hirschbiegels "Das Experiment" | |
(2000/2001) denken lässt. Wer sich von der Fiktionalisierung einer | |
grausamen Tat eine wie auch immer geartete Form von Erkenntnis verspricht, | |
sucht sie in "Picco" vergeblich - und wünscht sich einen nüchternen | |
Dokumentarfilm herbei. | |
2 Feb 2011 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
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