# taz.de -- BaWü-Verkehrsminister Winfried Hermann: "Dann gebe ich den Bahnhof… | |
> Das Volk wird eine Geldverschwendung wie "S 21" ablehnen, sagt der | |
> designierte Verkehrsminister für BaWü, Winfried Hermann. Sollte es eine | |
> Mehrheit geben, will er den Bau nicht mehr betreuen. | |
Bild: Bald Verkehrsminister und immer noch Bahnhofsgegner: Winfried Hermann. | |
taz: Herr Hermann, nach vielen Jahren Opposition im Bundestag werden Sie | |
der wichtigste grüne Minister in Baden-Württemberg. Sind Sie stolz? | |
Winfried Hermann: Der Schritt fiel mir nicht leicht, ich habe ihn reiflich | |
überlegt. Immerhin gebe ich eine wichtige parlamentarische Funktion - die | |
des Vorsitzenden des Bundestagsverkehrsausschusses - zugunsten eines | |
möglichen Schleudersitzes auf. | |
Kein bisschen Genugtuung? | |
Eher Freude auf Neues. Ich möchte zeigen, dass wir Grünen nicht nur reden, | |
sondern auch etwas anders machen können, nämlich eine nachhaltige | |
Verkehrspolitik umsetzen. Die Aufgabe in Stuttgart passt natürlich zu mir. | |
Ich bin seit langem in der Verkehrspolitik aktiv und sehr erfahren - und | |
ich kenne das Projekt Stuttgart 21 in- und auswendig seit 1992. | |
Stuttgart 21 ist Ihr Mammutprojekt. Zunächst steht der sogenannte | |
Stresstest an. Wie werden Sie den organisieren? | |
Dieser Test wird die Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofneubaus | |
überprüfen, so wie es bei der Schlichtung vereinbart wurde. Meine Aufgabe | |
als Minister ist es, diesen Stresstest kritisch zu begleiten und auf | |
transparente Zahlen und richtige Annahmen zu achten. Denn davon hängt das | |
Ergebnis maßgeblich ab. Glauben Sie mir, wir werden uns alle Daten | |
besorgen, bei der Bahn und anderswo, und sie genau prüfen. | |
Machen das nur Ministerialbeamte? | |
Ich werde eine Task-Force "Stuttgart 21" einberufen, zu der ich mehrere | |
Experten, auch von bahnhofskritischen Umwelt- und Verkehrsverbänden, | |
einladen will. | |
Mit welchen Ergebnissen rechnen Sie? | |
Wir Grüne haben einen Pretest gemacht: Der unterirdische Bahnhof wird | |
danach nicht die um 30 Prozent höhere Kapazität im Vergleich zum jetzigen | |
Kopfbahnhof haben, wie das in der Schlichtung gefordert wurde. Wenn man | |
eine höhere Kapazität will, muss man den unterirdischen Bahnhof erheblich | |
erweitern. Das bedeutet neue, zeitaufwändige Planfeststellungsverfahren, | |
weil man ein neuntes und zehntes Gleis bräuchte. Technisch könnte sich das | |
als nicht realisierbar herausstellen. Sicher ist, dass es viel teurer wird. | |
Sie haben mit der SPD einen Kostendeckel von 4,5 Milliarden Euro | |
vereinbart. Um wie viel teurer wird das Projekt? | |
Nach meiner Schätzung dürften sich die Mehrkosten auf 500 Millionen bis | |
eine Milliarde Euro belaufen, wenn man den Ergebnissen der Schlichtung | |
Rechnung trägt. Diese Mehrkosten müssten dann Bund und Bahn tragen. Das | |
Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart werden nichts mehr | |
zuschießen. | |
CDU und SPD im Bund haben das Interesse, die Grünen zu schwächen, und | |
befürworten das Projekt. Warum sollte der Bund nicht zahlen? | |
Es könnte natürlich sein, dass Bahn und Bund Mehrkosten auf Teufel komm | |
raus tragen wollen. Ich glaube aber eher nicht. In SPD und CDU auf | |
Bundesebene gibt es viele, denen es stinkt, dass so viele Milliarden nach | |
Baden-Württemberg gehen, das heißt ins große Bahnhofsloch, während andere | |
sinnvolle Bahnprojekte in ihren Regionen verschoben werden. Auch | |
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) ist mit diesem Projekt nicht | |
nur glücklich. | |
Am Ende soll das Volk entscheiden. Das Quorum für einen Volksentscheid ist | |
im Land aber sehr hoch, so dass ein Erfolg der S-21-Gegner sehr | |
unwahrscheinlich ist. | |
Wenn es einen Volksentscheid gibt, werden wir alles dafür tun, dass die | |
Bevölkerung hochmotiviert ist, darüber abzustimmen. Und dass sie über | |
Chancen, Kosten und Risiken des Projekts bestens informiert ist. Alle in | |
der Landesregierung müssen dann dafür sorgen, dass wir bei der Abstimmung | |
das nötige Quorum erreichen. Weil es gut sein kann, dass die CDU nicht | |
bereit ist, das Quorum abzusenken. | |
Würde dann eine Mehrheit gegen das Projekt stimmen? | |
Ich gehe davon aus, dass das Volk weise genug ist, eine derartige | |
Verschwendung von Steuergeldern abzulehnen. Wir werden auch über die | |
Alternative, die Modernisierung des Kopfbahnhofs, informieren, die halb so | |
teuer, aber besser ist. | |
Bauen Sie den Bahnhof, wenn der Entscheid nicht in Ihrem Sinne ausgeht? | |
Wenn sich das Volk für den U-Bahnhof entscheidet, kann die Bahn ihn bauen. | |
Sie sind der zuständige Minister. Treten Sie dann zurück? | |
Nein. Das Land ist nicht Bauherr. Ich würde in diesem Fall Verkehrsminister | |
bleiben. Aber ich würde meine Zuständigkeit für das Projekt an ein anderes | |
Ministerium abgeben, das von der SPD geführt wird. Mein Ministerium wäre | |
dann sicher nicht das ideale Haus, um Stuttgart 21 positiv zu begleiten. | |
Das müssten dann andere machen. | |
Einerseits wollen die Grünen Teil der Gegenbewegung zu Stuttgart 21 sein, | |
Sie als Minister sind zur Neutralität verpflichtet. Wie lösen Sie dieses | |
Dilemma? | |
Ich werde sicher nicht die Speerspitze der Bewegung sein. Aber auch als | |
Minister werde ich für unsere grüne Position werben. Schließlich war es bei | |
den Koalitionsverhandlungen mit der SPD nicht möglich, einen inhaltlichen | |
Kompromiss - etwa: Neubaustrecke von Wendlingen nach Ulm ja, | |
Untergrundbahnhof nein - zu finden. Stattdessen haben wir nur einen | |
Kompromiss zum Verfahren erzielt, in der Sache werden beide Seiten für ihre | |
Position werben. | |
Die Grünen sind auch dafür gewählt worden, das Projekt zu verhindern. | |
Ich hoffe, dass die Bewegung niemals "Lügenpack" zu mir schreit. Ich werde | |
selbstverständlich mit ihr im Gespräch bleiben. Man kann nur dann als | |
Verräter bezeichnet werden, wenn man nach der Wahl etwas anderes sagt oder | |
tut als vor der Wahl. Das werden wir nicht tun. | |
In welche Projekte würden Sie die Stuttgarter Milliarden lieber | |
investieren? | |
Ganz einfach: für die Modernisierung des Kopfbahnhofes in Stuttgart, die | |
Gäubahn, die Südbahn und mehrere regionale S-Bahnen. Und im Rheintal, das | |
für den europäischen Güterverkehr enorm wichtig ist, brauchen wir ein | |
drittes und viertes Gleis, wobei der Lärmschutz eine zentrale Rolle spielt. | |
Jede Menge sinnvolle Bahnprojekte warten auf die Realisierung. | |
Bundesminister Ramsauer braucht keine Angst davor haben, dass wir das Geld | |
im Ländle nicht unterbringen können. | |
12 May 2011 | |
## AUTOREN | |
R. Rother | |
U. Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg | |
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