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# taz.de -- Neuer BaWü-Umweltminister Untersteller: Lukrative Atom-Millionen e…
> Der Grünen-Politiker Franz Untersteller soll die Energiewende in
> Baden-Württemberg einleiten. Aber wie? Der künftige Umweltminister sucht
> noch den richtigen Weg.
Bild: Wider dem Millionengewinn: Protest bei der EnBW-Hauptversammlung.
STUTTGART taz | Die Sozis stehen im Aufzug des Stuttgarter
Abgeordnetenhauses, der Grüne Franz Untersteller steht davor. Die Tür hat
sich noch nicht geschlossen und der designierte Vizeministerpräsident Nils
Schmid ruft noch schnell, dass er etwas in der Zeitung gelesen habe von
Untersteller, was es - so der Tenor - eher nicht gebraucht habe.
Untersteller hatte angedeutet, dass er die Arbeit der SPD gleich mitmachen
müsse. Gelächter im und vor dem Aufzug. Tür zu, Sozis weg.
Grüne wie Rote sind derzeit prächtig gelaunt. Was wohl daran liegt, dass
sie beide Baden-Württemberg regieren dürfen - aber es bis Mitte Mai noch
nicht zusammen tun müssen. Die Grünen haben sich die beiden Ministerien
Verkehr und Umwelt so geschnitten, dass sie glauben, damit etwas bewegen zu
können. Einzeln und zusammen. Der Verkehrsminister soll Stuttgart 21 zu
einem guten Ende bringen, der Umweltminister die vielbeschworene
Energiewende einleiten.
Deshalb hat man Schmid zwar neben dem Finanz- auch das
Wirtschaftsministerium überlassen, aber die Energiewirtschaft zur Umwelt
rübergeschoben. Zusammen mit der Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl
hat Franz Untersteller den Koalitionsvertrag ausgehandelt. Am
Mittwochnachmittag ist der bisherige energiepolitische Sprecher der
Landtagsfraktion vom designierten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann
zum neuen Minister für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft ausgerufen
worden. Das Kabinett soll am 12. Mai vereidigt werden.
"Wer, wenn nicht dieses Land, kann eine Zukunftswerkstatt sein?" Das hat
Kretschmann bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages gesagt. Er meinte:
eine Werkstatt für Green Economy. Von den vier avisierten Großprojekten
nannte er die soziale und ökologische Modernisierung als erstes - die
anderen sind Bildung, Haushalt und Bürgerbeteiligung. Eine Revolution steht
aber nicht an, es soll mit "Maß" und "Mitte" und "Besonnenheit" regiert
werden, wie Kretschmann nicht müde wird zu sagen, dabei aber "kraftvoll",
was offenbar sein Lieblingsadjektiv ist. Gehudelt wird selbstverständlich
nicht.
## Zehn Prozent der Energie aus Windrädern
Für den Umweltminister Untersteller wird es darum gehen, ob und wie er den
Atomstandort transformieren kann, also wie er die bisher vier
Atomkraftwerke im Land ersetzt bekommt. Die nach der Atomkatastrophe von
Fukushima von Kanzlerin Merkel und dem abgewählten CDU-Ministerpräsidenten
Mappus abgeschalteten zwei Alt-AKWs sollen für immer vom Netz bleiben. Die
beiden anderen, Neckarwestheim II und Philipsburg II, sollen vor 2020
abgeschaltet werden, aber das entscheidet nicht Stuttgart, sondern die
schwarz-gelbe Bundesregierung. Die bisher vernachlässigte Windenergie soll
von einem Bruchteil auf 10 Prozent kommen.
In Baden-Württemberg wehe nun mal kein Wind, pflegte Mappus grinsend zu
sagen. Quatsch, sagen die Grünen seit langem.
Untersteller sitzt in der Landtagskantine und rechnet es vor: Wenn man das
Landesplanungsgesetz zügig geändert kriegt und dann 100 Fünfmegawattanlagen
pro Jahr bauen kann, wäre man zum Ende des Jahrzehnts bei den 10 Prozent.
Die Zulieferfirmen im Land sollen Arbeit bekommen, die Bürger sollen
beteiligt werden, auch am Gewinn, damit sie die Energiewende voranbringen
und nicht vor Ort blockieren.
Allerdings liegt der Atomstromanteil bei über 50 Prozent. Das heißt, sagt
Untersteller: "Es braucht zusätzlich zu den Erneuerbaren auch
Gaskraftwerke." Auch fossil und klimaschädlich, doch längst nicht so
schädlich wie Kohle. Dafür muss das Land Investoren finden und Anreize
schaffen, die gibt es bisher nicht. Nicht mal die EnBW hat eins, "weil es
sich bislang für sie nicht gerechnet hat". Generell vertraut man bei den
pragmatisch orientierten Grünen auf die Kraft des Arguments, dass
Klimaschutz das nächste große Geldverdien-Ding sein wird. "Wenn der Schwabe
merkt, dass man mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben kann, dann ist
er schnell dabei", sagt Untersteller. Wer nicht?
##
Er selbst ist kein Schwabe, auch kein Badener, er wuchs im Saarland auf.
Ursprünglich kommen die Unterstellers aus Südtirol, von einem Berghof auf
dem Sonnenberg oberhalb von Naturns. Manche halten Untersteller für einen
Superrealo. Es gibt kein identitäres Weltereignis, das ihn zu den Grünen
brachte wie bei anderen seines Jahrgangs 1957 etwa der Kampf gegen ein AKW
im badischen Wyhl. Es sei "ein Stück weit Zufall" gewesen sagt er, dass er
nach Ingenieurstudium und einer Station beim Freiburger Öko-Institut 1983
parlamentarischer Berater der Stuttgarter Landtagsfraktion wurde. Er blieb
es über zwei Jahrzehnte, ehe er 2006 ins Parlament wechselte. Er ist der
einzige Grüne, der seinen Stuttgarter Wahlkreis nicht direkt gewonnen hat.
Einerseits. Andererseits hat er im grünenfernen, arbeiterdominierten Norden
der Stadt 28 Prozent geholt.
Untersteller lebt in der Harald-Schmidt-Stadt Nürtingen, zwischen Stuttgart
und Tübingen. Die Frau ist Ärztin, die Kinder sind aus dem Haus. Er ist ein
aktiver Tischtennisspieler. TTF Neckarhausen. Das waren dem Klischee nach
früher die Langweiler, aber dieses Klischee lehnt er ab. Es sei ein
fantastischer Sport, der Einzelleistung und Team verbinde, wie es der
Fußball nicht könne.
Zu Hause im Saarland beriet er die Grünen bei den Koalitionsvereinbarungen
der ersten CDU/FDP/Grünen-Regierung. Sie wollten ihn dann als Staatsekretär
im Umweltministerium, aber selbst Tanja Gönner, demnächst seine
CDU-Vorgängerin als Umweltministerin, riet ihm ab. "Nicht alles, was Gönner
gemacht hat, war schlecht", sagt Untersteller in diesem Zusammenhang. Etwa
ihr erneuerbares Wärmegesetz, dem er zugestimmt hat. Geht noch besser,
klar, "das werden wir weiterentwickeln".
## Sorgenkind EnBW
Das große Ding aber ist die von Mappus zurückgekaufte EnBW. Damit haben die
regierenden Grünen einen eigenen Energiekonzern beziehungsweise sie haben
ihn am Hacken. Die Neuausrichtung des Atomunternehmens ist sicher eines der
spannendsten Projekte der nächsten Jahre. Die entscheidende Frage sei, sagt
Untersteller: "Wie machen wir das Unternehmen ökologisch zukunftsfähig?"
Wie kompensiert man die vier Atom-Gelddruckmaschinen, die hunderte
Millionen pro Jahr abwerfen - und bezahlt trotzdem die Schulden, die Mappus
für den Kauf gemacht hat? Und wie arrangiert man sich mit den CDU-Landräten
von den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW), die genauso 47,3
Prozent der Aktien halten wie das Land?
Unklar ist, wer sich um die EnBW kümmern wird. Kretschmann sagte auf
Nachfrage, das sei "Chefsache" und Genaueres werde sich im
"Regierungshandeln" ergeben. Offenbar weiß man es noch nicht. Unklar ist
auch, wer für die Grünen noch neben der früheren
Bundesfraktionsvorsitzenden Gunda Röstel in den Aufsichtsrat einzieht. Mit
Rezzo Schlauch hätte man einen EnBW-Insider zur Hand. Der
Bundesfraktionsvorsitzende der ersten vier Regierungsjahre war bis letzten
Sommer im Beirat von EnBW, ehe er nach der damaligen Laufzeitverlängerung
mangels erneuerbarer Perspektiven Reißaus nahm. Doch das hat sich ja nun
gründlich geändert.
Energiewende heißt nicht nur Wechsel von fossilen zu erneuerbaren, es heißt
auch Energieeffizienz. "Unser Job wird es sein zu zeigen, dass mit mehr
Energieeffizienz sehr viel zu erreichen ist", sagt Franz Untersteller. Das
meint Einsparungen bei der Industrie, Einberufung von
"Energieeffizienztischen", Förderung von Cleantech-Mittelständlern. Damit
sind wir beim leidigen Thema energetische Gebäudesanierung. Gilt als
unsexy, bringt aber den größten Qualitätssprung.
Baden-Württemberg hat 2,3 Millionen Gebäude, in fast allen wird zum Fenster
beziehungsweise durch die Wände rausgeheizt. Die Sanierungsquote liegt
derzeit bei 1 Prozent pro Jahr, die Grünen wollen das auf 2 Prozent
steigern, "damit haben wir die Chance, bis 2050 den Bestand saniert zu
bekommen". Da gäbe es auch einiges zu verdienen. Bis 2050 müssen
Industrieländer wie Deutschland ihren CO2-Ausstoß um 80 bis 90 Prozent
gesenkt haben, um den globalen Temperaturanstieg in der Nähe der
2-Grad-Grenze zu halten. Letztlich hat man auch beim angeblichen
Klimaweltmeister noch nicht wirklich angefangen.
Ob die Grünen genau deshalb gewählt wurden - um im Angesicht eines GAUs und
einer bevorstehenden Klima- und Energie- und damit auch einer
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise die Energiewende doch noch
voranzubringen?
Das ist Untersteller zu vermessen. Er nennt die Hauptgründe, auf die man
sich geeinigt hat: 58 Jahre CDU-geführte Landesregierung, Stuttgart 21,
Fukushima-GAU, Mappus-Malus.
Ist Kretschmann, sind die Grünen in Baden-Württemberg in all ihrer
Behutsamkeit, die Leute nicht zu verschrecken, am Ende womöglich zu
ängstlich? Echte Veränderung ist selten auf die sanfte Tour hinzubekommen.
Ach was, sagt Untersteller. "Es ist unser Job, die Leute bei der Umsetzung
unserer Ideen mitzunehmen." Man brauche natürlich auch Mehrheiten in der
Regierungskoalition. Mit einem Partner oder Konkurrenten, der zwar auch die
AKWs ausschalten will, aber ansonsten eine andere Vorstellung von
Modernisierung hat? "Hie und da andere Vorstellungen", nennt Untersteller
die Differenz.
Diejenigen, die die Grünen längst für weichgespülte Verräter halten, sind
für solche Argumente selbstredend nicht zugänglich. Auch Vertreter der
Ökomoderne denken, man könne durchaus etwas forscher auftreten, aber 24
Prozent Wähler sind nun einmal keine Mehrheit, und von denen wird auch nur
ein Bruchteil bisher das Wort Primärenergie definieren können. Bis zum
Blockheizkraftwerk in jedem anständigen Mehrfamilienhaus im Land ist es
noch ein weiter Weg.
4 May 2011
## AUTOREN
Peter Unfried
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