# taz.de -- Kommentar Demjanjuk-Prozess: Recht und Rechtsempfinden | |
> Auch 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind Prozesse gegen | |
> Nazi-Verbrecher gerechtfertigt. Angesichts der Monstrosität der Taten | |
> sind diese Verfahren niemals zu spät. | |
Kann es 66 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine gerechte Strafe | |
für einen Nazi-Verbrecher geben? Und ist es gerecht, dass mit John | |
Demjanjuk ein "kleiner Fisch", auf der untersten Ebene der Befehlskette | |
stehend, verurteilt wurde? | |
Juristen können auf die erste Frage mit der schlichten Feststellung | |
antworten, dass Mord nicht verjährt. Tatsächlich berührt das Münchner | |
Urteil aber nicht nur das Recht, sondern auch unser Rechtsempfinden: Da | |
liegt ein - vermeintlich - schwerkranker Greis vor Gericht, seit | |
Jahrzehnten von der Justiz verfolgt und irrtümlich in Israel schon einmal | |
zum Tode verurteilt. | |
Mit diesem Mann Mitleid zu empfinden ist verständlich - und dennoch falsch. | |
Denn es kann kein Grund sein, einen Mörder nicht zu verurteilen, nur weil | |
es ihm durch permanentes Lügen gelungen ist, sich jahrzehntelang der Strafe | |
zu entziehen. | |
Das hieße die Lüge als fruchtbare Basis der Gerechtigkeit zu adeln. Dass | |
das Urteil erst im Jahre 2011 erfolgt, ist höchst bedauerlich. Aber es ist | |
immer noch besser, als wenn die Tat ungesühnt bliebe. Und auch wenn | |
Demjanjuk jetzt frei kommt: Endlich ist Recht gesprochen worden. | |
Viel schwieriger aber ist die zweite Frage zu beantworten. Ja, es stimmt, | |
viele NS-Taten sind nie gesühnt worden, und daran trägt die bundesdeutsche | |
Justiz einen unrühmlichen Anteil. So betrachtet hat John Demjanjuk schlicht | |
Pech gehabt. | |
Man kann daraus folgern, dass er mit zwei Jahren Untersuchungshaft im | |
Vergleich zu anderen hart bestraft worden ist. Doch andersherum heißt das | |
auch: Nach Demjanjuk könnten weitere Mörder vor Gericht gestellt werden, | |
die bisher der Strafverfolgung entgingen, weil sich ihre individuelle | |
Schuld nicht nachweisen ließ. | |
Neue Verfahren kämen zugegebenermaßen spät. Aber angesichts der | |
Monstrosität der Taten niemals zu spät. | |
12 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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