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# taz.de -- Entscheidung im Demjanjuk-Prozess: Freiheit trotz Schuldspruch
> John Demjanjuk wurde der tausendfachen Beihilfe zum Mord für schuldig
> befunden. Trotzdem ist er ein freier Mann, denn er ist zu alt. Das Urteil
> könnte Folgen haben.
Bild: Zu alt für den Knast: John Demjanjuk vor Gericht.
BERLIN taz | John Demjanjuk ist ein freier Mann. Der frühere Wachmann im
NS-Vernichtungslager Sobibor ist am Donnerstag vom Münchner Landgericht zu
fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Landgericht sprach den 91-Jährigen
der Beihilfe zum Mord an mindestens 28.060 Juden schuldig.
Doch zugleich befand das Gericht, dass der Haftbefehl gegen Demjanjuk nach
zweijähriger Untersuchungshaft aufgehoben wird. Es begründete diese
überraschende Entscheidung mit dem hohen Alter Demjanjuks und der Tatsache,
dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Demjanjuks Verteidiger hatte
eine Revision vor dem Bundesgerichtshof angekündigt.
Der Vorsitzende Richter Ralph Alt zeigte sich überzeugt, dass Demjanjuk zu
den "fremdvölkischen Hilfskräften" gehörte, die zusammen mit deutschen
SS-Männern in Sobibor in den Jahren 1942 und 1943 etwa 250.000 Juden
ermordeten. Diese als "Trawnikis" bezeichneten Ausländer wie Demjanjuk
hätten alle gewusst, was in Sobibor geschah. "Der Angeklagte war Teil
dieser Vernichtungsmaschine", sagte Alt. Demjanjuk hat von März bis
September 1943 in Sobibor gedient.
Zwar konnte dem Angeklagten keine konkrete Tat zugeschrieben werden. Das
Gericht schloss sich aber der Argumentation der Anklagevertreter an, nach
der jeder "Trawniki" in Sobibor am Vernichtungsprozess beteilgt war.
Damit betrat das Gericht juristisches Neuland: Bisher musste in
NS-Verfahren die individuelle Schuld eines mutmaßlichen Täters nachgewiesen
werden. Weil dies nicht immer möglich war, endeten viele Ermittlungen mit
der Einstellung des Verfahrens. Allerdings sind die Vernichtungslager
Sobibor, Treblinka und Belzec insofern Sonderfälle, als dass in diesen alle
Juden nahezu ausnahmslos sofort in den Gaskammern ermordet wurden. In KZ
dagegen wurden viele Menschen erst zur Sklavenarbeit gezwungen, bevor man
viele von ihnen tötete.
## Historischer Prozess
Es wird erwartet, dass das Urteil weitere Verfahren gegen mutmaßliche
NS-Täter in Vernichtungslagern nach sich zieht, bei denen dieser
individuelle Schuldbeweis nicht gelang. Entsprechende Vorermittlungen
übernimmt die Zentrale Stelle in Ludwigsburg, die auch am
Demjanjuk-Verfahren beteiligt war. Der Prozess gilt auch deshalb als
historisch, weil zum ersten Mal einer der von der SS verpflichteten
Ausländer verurteilt worden ist. Der gebürtige Ukrainer Demjanjuk hatte
sich freiwillig zum Einsatz bei der SS gemeldet.
Ausdrücklich betonte Richter Alt, das Gericht habe nicht die Aufgabe
gehabt, moralische oder politische Erwägungen über die jahrelange
Strafverfolgung Demjanjuks anzustellen. "Das Gericht hat nicht deutsche
oder europäische Geschichte aufzuarbeiten, es hatte aufgrund einer
Anklageschrift ein Schwurgerichtsverfahren zu führen."
Das Gericht blieb unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die sechs
Jahre Haft verlangt hatte. Sein Verteidiger hatte auf Freispruch plädiert.
12 May 2011
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
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