# taz.de -- Libysche Flüchtlinge in Tunesien: Die Solidarität der Nachbarn | |
> Die tunesischen Grenzstädte sind überfüllt mit Libyern. Die tunesische | |
> Bevölkerung hilft den Flüchtlingen – unabhängig von Religion und | |
> Herkunft. | |
Bild: Leben in der Wüste: Flüchtlingszelt in Dehiba. | |
TATAOUINE taz | Tataouine, die letzte Kleinstadt im Süden Tunesiens vor der | |
libyschen Grenze, platzt aus allen Nähten. Junge Männer flanieren | |
gruppenweise auf der Straße, so selbstverständlich, als gehöre sie ihnen | |
allein. Voll beladene Mopeds fahren kreuz und quer, als wären | |
Verkehrsregeln noch nicht erfunden. Der Verkehr stockt. Am Straßenrand | |
hocken Jugendliche – Mädchen und Jungs in getrennten Grüppchen. Überall | |
wehen libysche Flaggen, schwarz, rot, grün – die Flagge der Unabhängigkeit | |
von 1951. | |
Tataouines Einwohnerzahl hat sich in den vergangenen Wochen drastisch | |
erhöht: Viele Libyer, die vor Gaddafi geflüchtet sind, haben hier | |
vorübergehend Asyl gefunden. Beispielsweise im Hotel Mabrouk. | |
Eigentlich ist das Mabrouk ein Touristenhotel für Wüstenfans und | |
Reisebusse, die diese Bergregion mit ihren alten Speicherburgen und Oasen | |
abfahren. Die kommen zurzeit jedoch kaum hier vorbei - aus Angst vor dem | |
nahen Bürgerkrieg und den Unwägbarkeiten der tunesischen Revolution. Viele | |
tunesische Hoteliers haben ihre Zimmer vorübergehend den Flüchtlingen aus | |
Libyen zur Verfügung gestellt – gegen Bezahlung für vermögende Libyer, die | |
kommen, oder unentgeltlich für Bedürftige. | |
"Ich komme aus einer Stadt 130 Kilometer von Tripolis entfernt in den | |
Bergen, die die Gaddafi-Milizen mit Raketen beschossen, mit Bomben bewarfen | |
und zerstörten. Wir kamen vor einer Woche nach Tunesien. Vierzig Kilometer | |
gingen wir zu Fuß bis zum nächsten Ort, der von Rebellen kontrolliert wird. | |
Danach fanden mein Vater und ich einen Wagen, der uns hierhergebracht hat." | |
Riad, Ingenieur in einer Raffinerie, erzählt seine Geschichte im | |
Fernsehraum des Mabrouk. Er ist schwer zu verstehen wegen seines | |
schleppenden Englischs, aber vor allem, weil im Fernseher gerade lautstark | |
das Fußballspiel Barcelona-Madrid übertragen wird. Die Jungs mit den | |
grün-rot-schwarzen Tattoos der libyschen Fahne im Gesicht springen laut | |
schreiend auf, wenn Messi seine Haken schlägt. Barca ist ihr Favorit. Riad | |
beobachtet das Spiel aus den Augenwinkeln. Wichtiger ist ihm, "dass die | |
Verbrechen Gaddafis überall erzählt werden". | |
## Spitzel in Hotels | |
Riad stammt aus der Berberregion im westlichen Libyen. Er versteht den | |
Berberdialekt im Süden Tunesiens. Seinen wahren Namen, auch den Namen | |
seiner Heimatstadt, will er nicht nennen. Aus Angst. "Denn in den Hotels | |
nisten sich auch Gaddafi-Spione ein", flüstert er. "Die Leute in Tunesien | |
behandeln uns gut. Sie sind gastfreundlich", sagt Riad. "Für uns aus den | |
Bergen ist es einfach die Grenze nach Tunesien zu überqueren. Die | |
Gaddafi-Leute kontrollieren nur die Straßen am Fuß der Berge." | |
Riad hasst Gaddafi: "Wir Berber konnten nie gute Jobs bekommen. Nicht als | |
Arzt, nicht als Ingenieur. Zu medizinischen Behandlungen gingen wir nach | |
Tunesien, denn Gaddafi hat keine Infrastruktur im Land aufgebaut. Gaddafi | |
ist ein großer Lügner. Er tat nichts für sein Land. Er stahl unser Geld, | |
zerstörte unser Land von Norden nach Süden, von Westen nach Osten. Und nun | |
zerstört er unsere Menschlichkeit, unsere Familien. Meine Mutter und mein | |
kleinster Bruder haben bei Verwandten in Tripolis Unterschlupf gefunden. | |
Mein älterer Bruder kämpft gemeinsam mit den Rebellen." | |
Laut Schätzungen haben 25.000 Familien aus Libyen Zuflucht bei Privatleuten | |
in Tunesien gefunden. "Wir helfen ein bisschen", sagt Majid an der | |
Rezeption des Hotels Mabrouk. "Viele meiner Landsleute kommen nun aus dem | |
Norden, aus Tunis oder Bizerte und bringen Medikamente, Essen, Kleider | |
Spielsachen für die Flüchtlinge. Viele lernen so zum ersten Mal ihr Land | |
und die Schönheit dieser Region kennen und wollen später einmal | |
wiederkommen." Galten die Libyer, die gerne im Süden Tunesiens auf der | |
Ferieninsel Djerba freizügiges Dolce Vita lebten, den Tunesiern immer als | |
bäuerlich und ungehobelt, so helfen die Tunesier ihnen und den anderen | |
Flüchtlingen nun selbstverständlich. | |
## Die Tunesier helfen den Flüchtlingen | |
"Die Solidarität, die die tunesische Bevölkerung zeigt, ist enorm", sagt | |
auch Chouikha Mohamed, Vorsteher des Flüchtlingscamps von Remada, etwa 80 | |
Kilometer südlich von Tataouine und 30 Kilometer vom libysch-tunesischen | |
Grenzort Dehiba entfernt. Dort, wo in den letzten Wochen libysche Geschosse | |
auf tunesischer Seite niedergingen. "Die Tunesier haben gezeigt, dass sie | |
eine sehr menschliche Seite haben. Sie helfen den Flüchtlingen unabhängig | |
von Religion und Herkunft. Gestern waren 1.500 Personen im Camp. Da ist ein | |
kleine Katastrophe passiert. Der Wüstenwind hat die Zelte, die wir gebaut | |
hatten, umgerissen. Die Hälfte der Menschen sind nun geflüchtet: nach | |
Tataouine, nach Zarzis, nach Medenine. Privatleute haben sie aufgenommen, | |
manche Gemeinden haben ihnen geholfen. Sie konnten in Jugendherbergen und | |
Schulen übernachten." | |
Mohammed gibt Frauen zur Begrüßung nicht die Hand und er trägt den | |
Rauschebart – offensichtliche Bekenntnisse zum Islam. Er sei ein Kölscher | |
Jung, gesteht er nach einiger Zeit des gegenseitigen Abtastens und | |
Erkennens und spricht in flüssigem Deutsch weiter: "Ich arbeite eigentlich | |
für Taawon in Zarzis. Eine soziale Organisation. Sie hilft | |
alleinerziehenden Frauen und unterstützt Jugendliche, die studieren wollen. | |
Libyen kam überraschend und wir sind irgendwie eingetaucht in diese | |
Kriegsgeschichte. Das ist für uns eine große Herausforderung. Die | |
Assoziation Taawon arbeitet jetzt im Auftrag der UN." | |
Es ist trocken, heiß und völlig schattenfrei im Flüchtlingscamp. Winzige, | |
weiße Zelte stehen in Reih und Glied. Der Schriftzug des | |
UN-Flüchtlingskommissars (UNHCR) prangt auf ihnen. Viele der Zelte liegen | |
eingefallen auf dem Boden. Sie wurden nach dem Sturm noch nicht wieder | |
aufgebaut. Dünne Matratzen stapeln sich vor den Zelten in der Sonne. Nur | |
Alte, Kinder und Frauen sind noch da. "Wir haben alles verloren", übersetzt | |
Mohammed die Erzählung einer Frau. "Wir wollen nach Hause, wir haben | |
Angst", sagt sie und versteckt sich hinter ihrem Kopftuch, als wäre jedes | |
Wort zu viel. | |
Waren es bislang vor allem Flüchtlinge aus dem Tschad, aus Somalia oder | |
Ägypten, die hier strandeten und dann über Djerba ausgeflogen wurden, so | |
kommen nun fast ausschließlich Libyer. "Bei uns in Remada sind nur libysche | |
Familien. Sechzig Prozent sind Frauen und viele, viele Kinder. Die Menschen | |
wollen einfach nur abhauen. Und die Männer gehen zurück, um zu kämpfen. Was | |
Gaddafi getan hat, das kann sich kein Mensch vorstellen. Es ist so brutal, | |
was die Leute uns erzählen. Es ist traumatisch.Wir versuchen auch | |
psychologische Hilfe zu leisten", sagt Mohammed. | |
## Hilfe koordinieren | |
Viele Hilfsorganisationen sind inzwischen vor Ort: Schweizer, Deutsche, | |
Italiener. Der UNHCR diskutiert Pläne, wie der Sommer für die Flüchtlinge | |
in dieser unerbittlichen Wüste lebbar gemacht werden kann, und er will die | |
Hilfsaktionen zusammenführen. "Ich hoffe, dass wir Wege finden", meint | |
Mohammed. "Sie waren vom UNHCR hier. Sie haben notiert, was fehlt. Denn die | |
Menschen sollen ja in der Nähe der Grenze bleiben, damit sie dann wieder | |
schnell in ihr Land zurückkönnen, wenn der Horror Gaddafi vorbei ist." | |
Auch zum Abschied reicht Chouikha Mohammed nicht die Hand. Dafür schenkt er | |
optimistische Worte: "Unsere Revolution in Tunesien hat der liebe Gott | |
gewollt, das hat die Türen für die Libyer geöffnet. Denn ich kann mir | |
vorstellen, wenn Ben Ali an der Macht gewesen wäre, gäbe es diese | |
Solidarität nicht. Die Menschen sind hungrig nach Solidarität. Denn wir | |
können endlich selbst handeln. Es ist einfach enorm, was bei uns passiert | |
ist. Wie ein großes Tor, das sich geöffnet hat, damit die Menschen neues | |
Vertrauen aufbauen. Demokratie. Respekt. Gleichheit." | |
13 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
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