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# taz.de -- Eurovision Song Contest 2011: Düsseldorf, du unverbesserlicher Pos…
> Beim Songcontest warf sich die Stadt am Rhein mächtig in Pose. Wer das
> kritisiert, gilt als gemeiner Spielverderber. Ein Abend voll Glitzer,
> Glamour und Froschkotze.
Bild: Hatte alles im Griff, auch ihre Kollegen Raab und Rakers: Anke Engelke.
DÜSSELDORF taz | Ein Traum ist wahr geworden für Ell und Nikki, und die
aserbaidschanischen Gewinner des Eurovision Song Contest 2011 scheuen sich
auch nicht, das genau so zu nennen. "It was my biggest dream to win this
contest", sagt Nikki und ihr Duettpartner Ell beschwört die Menge: "You
just have to dream, guys." Es ist kurz nach ein Uhr am Sonntagmorgen, als
die beiden, begleitet von heftigem Jubel ihrer Delegation und ihren vier
sehr lockigen Backgroundsängerinnen, vor die internationale Presse treten.
Man könnte auch sagen: vor die Fans. So genau lässt sich das beim ESC nie
trennen.
Neben allerlei aserbaidschanischen Beifallsbekundungen meldet sich auch ein
grell kostümierter älterer Herr zu Wort, der sich als "Sunny Spells" von
einem "queer radio" aus Brisbane in Australien vorstellt und eigentlich
auch nur gratulieren will: "We will be definitely playing your song. It's
brillant." Diese Pressekonferenz ist ein einziges Sonnenbad im Wohlwollen
der großen ESC-Gemeinde, die 2012 in der aserbaidschanischen Hauptstadt
Baku wieder zusammenkommen wird.
Wer inmitten einer solchen Woge der Harmonie auf die Idee kommt, nach einem
Haar in der Suppe zu suchen, womöglich die kitschtriefenden Floskeln von
Ell und Nikki zu kritisieren, ist ein unverbesserlicher Journalist, um
nicht zu sagen: ein Spielverderber. Und wer sich dann noch am Nationalstolz
der Aserbaidschanen stört, die während der Pressekonferenz unvermittelt ein
Volkslied anstimmen, muss ein deutscher unverbesserlicher
Spielverderberjournalist sein.
"Please come to Aserbaidschan" - mit diesem Mantra auf den Lippen, eine
Flagge des kleinen kaukasischen Erdölstaats hinter sich her flatternd, ist
ein junger Mann kurz nach dem Sieg seiner Landsleute durchs Pressezentrum
galoppiert. Wahrscheinlich ist es wieder nur dem Spielverderberzwang
geschuldet, wenn man notiert, dass er dabei nicht selbstbewusst klingt -
eher fragend: Ihr kommt doch, oder? Dabei ist die Eurovisionsfamilie eine
eingeschworene Gemeinschaft und der Reiz der Veranstaltung liegt wesentlich
darin, dass sie jedes Jahr woanders stattfindet - und eben nicht nur in
Weltstädten wie Düsseldorf.
## Glitzeranzüge in der Altstadt
Die Stadt am Rhein war - allen Bashingartikeln (ausschließlich in der
deutschen Presse) zum Trotz - ein guter ESC-Gastgeber, wenn nicht gar ein
sehr guter. Schon am Nachmittag ist wie auch nach dem Finale an der
längsten Theke der Welt namens Altstadt kaum noch ein Platz frei. Die Fans
tragen ihre Kostüme spazieren, Käseigelhüte etwa, Glitzeranzüge oder
einfach nur die Landesfarben ihres Favoriten.
In der Zentrale des rheinischen Kapitalismus ist - ein bisschen mehr noch
als sonst - alles dem Konsum untergeordnet: Die Einkaufstüten sind so prall
gefüllt wie die Freisitze vor den Altbierkneipen. Das Kreuzherreneck bietet
für 3,40 Euro ein "Lena-Jedeck" an, bestehend aus Altbier und
Salmiakki-Likör (wahrscheinlich eine Reminiszenz an ihr schwarzes
Siegerkleidchen aus dem vergangenen Jahr), eine andere Pinte bewirbt
"Froschkotze" für 2 Euro - es ist für jeden Geschmack was dabei. Wie beim
ESC.
Und ganz nebenbei illustrierte das unerwartet sommerliche Wetter, dass man
auf Prognosen nichts geben darf (wer hätte vorher schon auf Aserbaidschan
gesetzt?): Es war Regen angesagt, der schon nach wenigen Minuten wieder der
Sonne wich, als wollte er die Open-Air-Party dann doch nicht länger stören.
## Kein Platz für Journalisten in der Halle
Die Party am Abend in der Esprit Arena war wohl auch nicht übel - zumindest
legten das die ins Pressezentrum übertragenen Fernsehbilder nahe. Denn die
2.500 akkreditierten Journalisten waren in der Halle nur bei den Proben
zugelassen. Die Halbfinals und das Finale verfolgten sie, an langen
Schreibtischreihen arbeitend oder in Unmengen von Designersofas und
-sesseln fläzend, in einer Leichtathletikhalle nebenan, die auch in Baku
hätte stehen können, wenn nicht ein monströses Stampfen aus dem Off immer
wieder an die Nähe zur Veranstaltung erinnert hätte.
Wer als Mitarbeiter einer Nachrichtenagentur regelmäßig Meldungen absetzen
musste (oder wie die formidablen Kollegen von duslog.tv das Finale live im
Netz kommentierte), war mit dieser Lösung gut bedient; alle anderen hatten
genügend Zeit, darüber nachzusinnen, warum beim größten ESC-Finale in der
Geschichte des Wettbewerbs in der mehr als 30.000 Zuschauer fassenden Arena
kein Platz für Journalisten war, warum überhaupt bei solchen auf eine
möglichst breite Berichterstattung angewiesenen Großveranstaltungen die
Berichterstatter selbst immer weiter marginalisiert werden. Sie waren zwar
da, aber nicht wirklich dabei.
Und so kann ein Bericht vom ESC, zumindest was das Finale selbst angeht,
nur aus einer unbefriedigenden Parallelwelt erzählen. Der Stimmung im
Pressezentrum nach zu urteilen hätte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen
Russland und der Ukraine geben müssen. Deren Delegationen machten auch ohne
den schmerzlich vermissten Bierstand am meisten Lärm und waren am
textsichersten. Letztlich wurde die Ukrainerin Mika Newton ("Angel") Vierte
und der Russe Alexey Vorobyov ("Get you"), der sich vor dem Finale sogar
kurz im Pressezentrum blicken ließ, nur Sechzehnter. Lenas "Taken by a
stranger" sang kaum einer mit, trotzdem reichte es am Ende für den zehnten
Platz. Das ist nicht gut und nicht schlecht - und das ist für Journalisten
das denkbar undankbarste Ergebnis.
## Pointensichere Anke Engelke
Neben Ell und Nikki heißt die Gewinnerin des Abends eindeutig Anke Engelke,
die ihre Moderationspartner Stefan Raab und Judith Rakers dominierte. Wie
schon bei diversen Berlinale-Eröffnungsgalas moderierte Engelke das bis
aufs letzte Augenzwinkern durchchoreografierte und -geskriptete Event so
charmant wie pointensicher - und hatte dabei auch selbst sichtlich Spaß.
Besonders die Punktevergabe aus den 43 Eurovisionsnationen dürfte der
ESC-Fan Engelke als Karrierehöhepunkt verbuchen. Danach kann es eigentlich
nur noch bergab gehen. Was die Zuschauerzahlen angeht, ist das sogar kein
bisschen übertrieben: Geschätzte 125 Millionen Zuschauer verfolgten nach
Angeben des deutschen ESC-Senders NDR das diesjährige Finale, in
Deutschland sorgten 13,83 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 49,3 Prozent)
für das dritterfolgreichste Ergebnis der vergangenen 30 Jahre - nach dem
Lena-Jahr 2010 (14,73 Millionen) und 1984, als Mary Roos mit "Aufrecht
gehn" Dreizehnte wurde (14,23 Millionen).
In den größtenteils oberirdisch verkehrenden U-Bahnen auf dem Weg zur
Esprit Arena vermischten sich die Besucher des weltgrößten
Gesangswettbewerbs übrigens mit denen der weltgrößten Verpackungsmesse
interpack, die nur wenige Meter entfernt stattfand - wohl nicht mehr als
ein Zufall, aber ein schöner, huldigt jede Veranstaltung doch auf ihre Art
dem äußeren Schein, der Oberfläche wie auch die überschminkten
Zahnarztgattinnen in ihrem Escada-Revier auf der Kö(nigsallee).
Von den dortigen Preisen inspiriert war auch das Catering im Pressebereich,
wo zähes Schwein mit trockenen Pommes und matschigen Bohnen 8,90 Euro
kostete. Wenigstens das Besteck war blank poliert. Dachte man. Bis man die
Gabel in die Hand nahm und beim ersten Pommeskontakt einen Zinken abbrach.
Plastik. Hach, Düsseldorf, du unverbesserlicher Poser! Wie machst du das
bloß, dass man sich trotzdem immer wohl fühlt bei dir?!
Der Autor ist gebürtiger Düsseldorfer und gehört zur Kategorie
"Spielverderberjournalist"
15 May 2011
## AUTOREN
David Denk
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