| # taz.de -- Kriminologe über Polizeigewalt: "Beamte unterliegen Gruppendruck" | |
| > Bei Straftaten von Polizisten sollen externe Kommissionen ermitteln, | |
| > fordert der Kriminologe Martin Herrnkind. Nur so könnten Gewaltopfer eine | |
| > Chance auf ein gerechtes Verfahren bekommen. | |
| Bild: Pfefferspray-Einsatz auf dem Wismarplatz in der Berliner Mainacht. | |
| taz: Herr Herrnkind, jährlich werden etwa 1.600 Strafanzeigen gegen | |
| Polizisten erhoben. Um wie viel höher schätzen Sie die Dunkelziffer? | |
| Martin Herrnkind: Das ist schwer zu sagen. Aber ich gehe von mehr als | |
| doppelt so vielen Opfern von Polizeigewalt aus, die ihren Fall nicht zur | |
| Anzeige bringen. | |
| Warum scheuen so viele Opfer den Rechtsweg? | |
| Die Aussicht auf Erfolg ist zu gering. In mindestens 95 Prozent der Fälle, | |
| in denen Betroffene Anzeige erstatten, wird das Verfahren eingestellt. | |
| 95 Prozent! Was läuft da schief? | |
| Sehr häufig steht Aussage gegen Aussage. In solchen Fällen stellt die | |
| Staatsanwaltschaft das Verfahren meist sofort ein. Auch sind Staatsanwälte | |
| auf die dauerhafte Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen. Da stellt man | |
| sich lieber gut miteinander. Und selbst wer Fälle von Polizeigewalt | |
| couragiert angeht, scheitert oft an den schlampigen Ermittlungen innerhalb | |
| der Polizei. | |
| Warum wollen die Beamten nicht gegen ihre Kollegen ermitteln? | |
| Die Beamten unterliegen einem Gruppendruck. Außerdem rücken Gemeinschaften | |
| bei äußerer Gefahr enger zusammen. So schweigen Polizisten, wenn es dem | |
| Kollegen an den Kragen geht. Oder sie stimmen Aussagen untereinander ab. | |
| Das erinnert doch stark an Korpsgeist? | |
| Korpsgeist nicht unbedingt. Das Wort erinnert doch zu stark an | |
| militärisches Ehrgefühl. Es ist ein sozialpsychologisches Phänomen, das | |
| durch eine informelle Kultur verstärkt wird. Diese "cop culture" lässt sich | |
| etwa dort beobachten, wo ein niedersächsischer Beamter die Körperverletzung | |
| eines Berliner Beamten beobachtet und ihn trotzdem nicht anzeigt, ein | |
| Kameradschaftsgeist, der über die sozial definierte Gruppe hinausgeht. | |
| Können Ermittler für interne Angelegenheiten diese Kultur aufbrechen? | |
| Nein. Meist sitzen die internen Ermittler nicht dauerhaft auf diesem | |
| Posten. Für eine Rückkehr in den normalen Dienst wollen sie es sich nicht | |
| mit ihren Kollegen verscherzen. Sie werden sowieso schon schief angeschaut: | |
| Begriffe wie "Genickschusskommando" oder "Henker" sind keine Seltenheit. | |
| Sie können niemals gänzlich unabhängig sein. | |
| Was schlagen Sie vor? | |
| Eine externe Instanz müsste die Ermittlungen von Polizei und | |
| Staatsanwaltschaft überprüfen. | |
| Aber das wird doch nichts an der informellen Kultur ändern. | |
| Das ist richtig. Aber es ist ein Baustein, der zu einer gesellschaftlichen | |
| Zivilisierung der Polizei führen kann. Polizisten, die Übergriffe durch | |
| Kollegen nicht dulden möchten, aber unter dem Druck der Gruppe stehen, | |
| können sich vertraulich an solch eine Kommission wenden. | |
| Welche Kompetenzen sollte eine externe Instanz haben? | |
| Je mehr, desto besser. Amnesty hat schon im vergangenen Jahr das irische | |
| Modell einer eigenständigen Ermittlungskommission ins Gespräch gebracht. | |
| Die Beamten könnten beispielsweise Akten einsehen und haben Durchsuchungs- | |
| wie Beschlagnahmerechte. | |
| Über zwei Drittel der EU-Länder haben externe Kontrollinstanzen. Warum | |
| hinkt Deutschland so hinterher? | |
| Wir haben sehr starke Polizeigewerkschaften. Und auch die christlichen | |
| Parteien sind polizeinah. Da verwundert es nicht, dass unabhängige | |
| Untersuchungskommissionen oft abgelehnt werden. | |
| 16 May 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Lukas Ondreka | |
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