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# taz.de -- Sex-Skandal in der Türkei: Rechte stolpern über brisante Videos
> Vier Abgeordnete der nationalistischen MHP müssen wegen verfänglicher
> Sex-Videos kurz vor den Wahlen zurücktreten. Davon könnte die
> Regierungspartei AKP profitieren.
Bild: Hofft für seine AKP auf eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament:…
ISTANBUL taz | Devlet Bahceli ist empört. Zwar ist der Chef der türkischen
Ultranationalisten häufig erregt, aber dieses Mal hat er auch allen Grund
dazu. Just wenige Stunden zuvor ist im Internet zum dritten Mal ein Video
aufgetaucht, das einen engen politischen Vertrauten des Vorsitzenden der
rechten MHP in einer verfänglichen Sex-Szene zeigt.
Der Mann ist diskredittiert, er tritt wenig später als
Vize-Parteivorsitzender der Rechten zurück. Und er ist nicht der erste, den
dieses Schicksal ereilt. In weniger als zwei Wochen wurden so insgesamt
vier hochrangige Abgeordnete der Rechten erledigt.
Als würde das noch nicht reichen, erschien im Netz ein anonymer Brief an
Bahceli, in dem dieser aufgefordert wurde, unverzüglich selbst
zurückzutreten, sonst würden weitere Sex-Videos von MHP-Abgeordneten
veröffentlicht werden.
In der Türkei wird in drei Wochen gewählt. Der Wahlkampf steuert langsam
auf seinen Höhepunkt zu und die rechte MHP ist schwer angeschlagen. Lag sie
vor wenigen Wochen noch bei 14 Prozent, rutscht sie jetzt auf die
10-Prozent-Marke zu. Das ist aber die Hürde, die das türkische Wahlgesetz
vor den Einzug in das Parlament setzt. Bleibt die MHP darunter, ist sie
draußen.
## Wer profitiert vom Skandal?
Profitieren davon würde vor allem die regierende AKP und der um seine
Wiederwahl kämpfende Premier Recep Tayyip Erdogan. Zwar liegt die AKP in
Umfragen an der Spitze, doch die oppositionellen Sozialdemokraten sind
dieses Mal besser aufgestellt als in den letzten zehn Jahren. Auch die als
Unabhängige kandidierenden Kurden dürften mehr Sitze gewinnen als 2007.
Erdogans Ziel ist aber nicht nur eine einfache, sondern eine
verfassungsändernde Mehrheit im Parlament. Nach der Wahl will er eine neue
Verfassung in Auftrag geben. Erdogan plant, ein Präsidialsystem nach dem
Vorbild Frankreichs einzuführen - mit ihm als ersten Präsidenten.
Dieses Ziel kann er nur erreichen, wenn die MHP, die als dritte Partei im
Parlament präsent ist, bei den Wahlen den Wiedereinzug verpasst. Dann
würden genügend Stimmen auf die im Parlament vertretenen zwei Parteien
umverteilt, sodass die AKP ihre verfassungsändernde Mehrheit erreichen
könnte.
Kein Wunder, dass Devlet Bahceli überzeugt ist, dass die Sex-Videos vom
Geheimdienst, den die Regierung kontrolliert, produziert und ins Netz
gestellt wurden. Schon länger lässt die Erdogan-Regierung potentielle
politische Gegner flächendeckend abhören. Dabei stößt man schnell auf
Affären, die sich bei Bedarf auch auf Video bannen lassen.
Natürlich bestreitet Erdogan, dass seine Regierung etwas mit den Sex-Videos
zu tun hat, doch er lässt keine Gelegenheit verstreichen, den Niedergang
der MHP hämisch zu kommentieren. Dazu kommt, dass er auch mit seinen
politischen Aktionen vermehrt versucht, im rechten Lager zu punkten. So ist
der Abriss des Versöhnungsdenkmals mit Armenien im ostanatolischen Kars ein
klares Signal an die türkischen Nationalisten.
Aber auch gegen die übrige Konkurrenz ist Erdogan nicht zimperlich.
Wahlkampfbüros der kurdischen BDP gehen regelmäßig in Flammen auf,
Kandidaten der Partei werden von der Polizei bedroht. Unter dem Vorwand,
die PKK versuche den Wahlkampf durch Anschläge zu beeinträchtigen, werden
BDP-Mitglieder verdächtigt, mit der PKK zusammen zu arbeiten und in Haft
genommen. Der Versuch, die Kandidatur von zehn wichtigen BDP-Politikern
durch die Wahlkommission verbieten zu lassen, scheiterte an der
öffentlichen Empörung. Bahceli versucht derweil, wieder in die Offensive zu
kommen. In einem offenen Brief fordert er alle Anhänger auf, sich hinter
die Partei zu stellen und so die "Schmutzkampagne" gegen die MHP zurück zu
weisen.
16 May 2011
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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