# taz.de -- Krise in Bosnien und Herzegowina: Einheit und Versöhnung sind bedr… | |
> Die bosnischen Serben streben nach Autonomie. Nach dem Besuch der | |
> EU-Außenbeauftragten Ashton lenkten sie beim Referendum allerdings ein. | |
> Die Situation bleibt jedoch kritisch. | |
Bild: Milorad Dodik, hier im Parlament der bosnischen Serbenrepublik Srpska, ha… | |
SARAJEWO taz | Die Bevölkerung in Sarajevo atmet auf. Die von der EU | |
befürchtete "größte Krise in Bosnien und Herzegowina" seit dem | |
Friedensschluss von Dayton 1995 scheint an diesem Wochenende erst einmal | |
gestoppt zu sein. Dazu beigetragen hat die EU-Außenbeauftragte Catherine | |
Ashton, der es gelungen ist, Milorad Dodik, Ministerpräsident der | |
bosnischen Teilrepublik Srpska, in die Schranken zu weisen. Das von dem | |
bosnischen Serben und Nationalisten angedrohte Referendum über das | |
gesamtstaatliche Justizsystem wurde auf Druck Ashtons zurückgezogen. | |
Das alles mag für Außenstehende zunächst nicht nach der größten Krise des | |
Landes seit 1995 klingen. Doch der Konflikt in Bosnien und Herzegowina | |
stellt sich für Kenner des Landes weiterhin als durchaus gefährlich dar. | |
Paddy Ashdown, von 2002 bis 2006 Hoher Repräsentant der internationalen | |
Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, forderte vor einigen Wochen seine | |
britische Regierung dazu auf, "nicht nur nach Libyen zu blicken, sondern | |
auch nach Bosnien". Er meinte damit, eine Militäraktion in Bosnien und | |
Herzegowina dürfe nicht ausgeschlossen werden. | |
Und auch jetzt noch, nach der Intervention Ashtons, bleiben Politiker wie | |
der Bosnien-Spezialist der CDU-Fraktion im Bundestag, Michael Brand, | |
misstrauisch. Hat Catherine Ashton den serbischen Nationalisten im Gegenzug | |
zu viele Konzessionen gemacht? | |
## Keine Gesamtjustiz | |
Was ist also los in dem multiethnischen Staat Bosnien und Herzegowina mit | |
seinen drei "konstitutiven Nationen" – den muslimische Bosniaken, den | |
orthodoxen Serben und den katholischen Kroaten? Schlittert Bosnien und | |
Herzegowina nun in eine politische und vielleicht sogar militärische | |
Konfrontation? Das Land ist seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 auf | |
ethnischer Grundlage in zwei sogenannte Entitäten mit eigenen Regierungen | |
aufgeteilt, verfügt aber auch über gesamtstaatliche Strukturen. Ist der von | |
der internationalen Staatengemeinschaft beförderte Friedensprozess jetzt | |
gescheitert? | |
Tatsache ist, dass es seit den Wahlen im Oktober 2010 nicht gelungen ist, | |
eine neue Regierung auf gesamtstaatlicher Ebene zu berufen. Die | |
nationalistischen Kräfte der Serben, aber auch die der Kroaten wollen keine | |
moderate proeuropäische Regierung unter Führung der multinational | |
orientierten Sozialdemokraten (SDP) zulassen, die nach den Wahlergebnissen | |
möglich wäre. | |
Milorad Dodik will seine Republika Srpska von dem ohnehin schwachen | |
Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina abkoppeln. Das erklärte der jetzt | |
amtierende Hohe Repräsentant, der Österreicher Valentin Inzko, in seinem | |
Bericht an den UN-Weltsicherheitsrat, den er am 10. Mai in New York über | |
den Zustand des Landes vorlegte. | |
Sein Vorgänger Christian Schwarz-Schilling geht in seinem kürzlich | |
erschienen Buch Bosnien im Fokus sogar noch weiter: Dodik wolle die | |
Republika Srpska zu einem völlig eigenständigen Staat ausbauen und jegliche | |
Verbindung zum Gesamtstaat kappen. | |
Am 13. April ließ Dodik tatsächlich das Parlament der Republika Srpska über | |
eine Volksabstimmung zum Ausstieg aus dem gemeinsamen Justizsystem | |
abstimmen. Das Parlament sprach sich mit großer Mehrheit dafür aus, muss | |
nun aber nach dem Besuch Ashtons seine Entscheidung zurückstellen. | |
Dodik stören die zentralen Gerichte - zum Beispiel das Verfassungsgericht | |
von Bosnien und Herzegowina. Vor allem aber nimmt er Anstoß am Gerichtshof | |
Bosnien und Herzegowina, der neben Fällen von Korruption auch | |
Kriegsverbrechen verhandelt und nach Abschluss der noch laufenden Prozesse | |
- so gegen den ehemaligen Serbenführer Radovan Karadzic - das UN-Tribunal | |
in Den Haag ablösen soll. | |
Dodiks Vorwurf: Das Gericht sei parteilich, weil es sich vor allem mit | |
serbischen Kriegsverbrechen beschäftige, Verbrechen gegen Serben jedoch | |
vernachlässige. Um diesen Vorwurf zu untermauern, werden von serbischer | |
Seite angebliche Kriegsverbrechen der Bosniaken öffentlich beklagt. | |
Außerdem wird der Genozid an mehr als 8.000 bosnischen Muslimen in | |
Srebrenica geleugnet, gleichzeitig aber erklärt, tausende Serben seien in | |
Srebrenica ermordet worden. | |
Im März dieses Jahres wurde auf Betreiben Serbiens der ehemalige bosnische | |
General Jovan Divjak in Österreich festgenommen. Divjak, selbst Serbe, war | |
ein Verteidiger Sarajevos und verkörpert in seiner Person wie kaum ein | |
anderer die multinationale Identität des Landes - er ist eine Ikone der | |
Zivilgesellschaft von Sarajevo und wird von der Bevölkerung verehrt. Gerade | |
deshalb ist der serbische Bosnier Jovan Divjak zum größten Feind der | |
serbischen Nationalisten im Land geworden. Jetzt muss er in Wien unter | |
Hausarrest warten, bis das Auslieferungsbegehren verhandelt ist. | |
## Ethnische Dreiteilung | |
Dodik scheute sich nicht einmal, die recht erfolgreiche gemeinsame | |
Fußballnationalmannschaft zu torpedieren. Er hielt die serbischen | |
Mitglieder des Fußballverbandes an, der vom Weltfußballverband Fifa | |
geforderten Reform des bosnischen Verbandes nicht zuzustimmen - es sollte | |
in Zukunft nur einen Präsidenten und nicht derer drei geben. Die Zukunft | |
der Nationalmannschaft steht damit auf der Kippe. | |
Noch hat die Fifa nicht endgültig entschieden, wie es weitergeht. Auf | |
Betreiben Dodiks wurden darüber hinaus fast alle gesamtstaatlichen | |
Initiativen gestoppt. Die bosnischen Serben verließen im März sogar den | |
gemeinsamen Stand Bosnien und Herzegowinas auf der Leipziger Buchmesse. | |
Unterstützung bekommt Dodik von den kroatischen Nationalisten. Ihr Führer | |
Dragan Covic möchte die Kroaten aus der zweiten Entität, der | |
bosniakisch-kroatischen Föderation, herauslösen und so eine dritte - | |
eigenständige kroatische - Entität gründen. Die multiethnische und | |
multireligiöse bosnisch-herzegowinische Gesellschaft soll nun territorial | |
endgültig in getrennte ethnisch-religiöse Gebilde aufgeteilt werden. Das | |
von der EU, der USA und der Nato angestrebte Ziel, die durch den Krieg in | |
den 90er Jahren getrennten Bevölkerungsgruppen wieder miteinander zu | |
versöhnen und das gesamte Land gemeinsam in die EU zu führen, ist damit | |
weitgehend infrage gestellt. | |
Beide nationalistischen Gruppierungen hätten letztlich das Ziel, den Staat | |
Bosnien und Herzegowina aufzulösen und "ihre" Teile an den jeweiligen | |
Mutterstaat - Serbien oder Kroatien - anzuschließen, sagen Intellektuelle | |
in der Hauptstadt. Für Srdjan Dizdarevic, den langjährigen Vorsitzenden des | |
Helsinki-Komitees für Menschenrechte, knüpft die aktuelle Allianz zwischen | |
dem bosnischen Serben Milorad Dodik und dem bosnischen Kroaten Dragan Covic | |
an die Kriegskoalition von 1993 an, als der in Den Haag einsitzende | |
Kriegsverbrecher Radovan Karadzic mit dem kroatischen Nationalistenführer | |
Mate Boban gemeinsame Sache machte. | |
Auch Bakir Izetbegovic, Vertreter der bosniakischen Mehrheitsbevölkerung im | |
dreiköpfigen Staatspräsidium (mit einem Kroaten, einem Serben und einem | |
Bosniaken besetzt), warnte bereits, diesmal seien "die Bosniaken besser | |
vorbereitet als das letzte Mal". Er spielt auf den Kriegsbeginn 1992 an, | |
als die bosniakische Bevölkerung von den Angriffen der serbischen Armeen | |
völlig überrascht worden waren. Sarajevo wurde für dreieinhalb Jahre | |
militärisch belagert, über 2 Millionen Menschen wurden vertrieben, mehr als | |
100.000 Menschen starben. | |
## Neuer Amtssitz? | |
Deswegen empfinden viele Bosniaken jetzt Erleichterung, dass Dodik durch | |
den Besuch Ashtons einen Rückzieher machen musste. Und doch stellt man sich | |
in Sarajevo die Frage, welche Konzession Ashton Dodik im Gegenzug gemacht | |
hat. Sie versprach während der Pressekonferenz öffentlich, die EU werde die | |
Kritik Dodiks aufnehmen und das gesamtstaatliche Justizsystem unter die | |
Lupe nehmen. | |
Auch einer weiteren Forderung Dodiks scheint sie wohl entgegenzukommen. | |
Schon lange ist dem Serbenführer die Anwesenheit des Hohen Repräsentanten | |
ein Dorn im Auge. Noch hat der jetzige Hohe Repräsentant Valentin Inzko die | |
Macht, bosnische Politiker mit den sogenannten Bonn Powers abzusetzen. | |
Genau das fürchtet Dodik. | |
Das Büro des Hohen Repräsentanten könnte von Sarajevo nach Brüssel verlegt | |
werden, verlautet es jetzt aus diplomatischen Quellen in Sarajevo. Noch ist | |
nicht das letzte Wort gesprochen. Die USA, Großbritannien, Deutschland, | |
Österreich und die Türkei stellen sich bisher hinter Inzkos Politik. | |
Gleichzeitig wurden aber die internationalen Truppen in Bosnien und | |
Herzegowina drastisch reduziert - die Bundeswehr etwa ist nur noch mit acht | |
Mann unter österreichischem Befehl vertreten. | |
Ashtons Kompromiss mit Dodik, schreibt ein Kommentator in der Zeitung | |
Oslobodjenje, löse die Krise nicht. Dodik werde langfristig seine Politik | |
der Unterminierung des Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina fortsetzen. | |
17 May 2011 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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