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# taz.de -- Internet-G-8-Treffen: Der Widerstand der Wenigen
> Im Rahmen des G-8-Gipfels beginnt am Dienstag ein Spitzenmeeting zum
> Thema Netzpolitik. Auf EU-Ebene kämpft nur eine Handvoll Aktivisten für
> die Freiheit im Netz.
Bild: Netzpolitik wird häufig weit weg von den Usern gemacht.
Es muss manchmal ziemlich einsam gewesen sein für Christian Bahls. In
diesen Wochen, in denen er allein auf den Fluren des Europäischen
Parlaments unterwegs war, um für seine Überzeugung zu kämpfen. Gegen dieses
Stück Papier, diese EU-Direktive, die in ganz Europa Internetsperren
einführen sollte, um Videos und Bilder von Kindesmissbrauch aus dem Netz zu
tilgen. Bahls klopfte an unzählige Türen von Abgeordneten und Beamten.
Wiederholte immer wieder: Internetsperren helfen Missbrauchsopfern nicht.
Löschen statt sperren. Anders als die Lobbyisten auf der Gegenseite hatte
Bahls kein 100.000 Euro schweres Budget. Er zahlte seine Anreise aus
Rostock oft genug aus eigener Tasche. Vernachlässigte seinen Job. Und
reiste ohne einen einzigen Mitstreiter an. "Das musste halt sein", sagt er
heute. Und dass es schwer gewesen sei, Netzaktivisten in Deutschland zu
überzeugen, mitzukommen.
Internetsperren, das war im Sommer 2009 ein großes Thema in Deutschland.
Damals, als Familienministerin Ursula von der Leyen darauf drängte,
Stoppschilder im Internet aufzustellen, geheime Sperrlisten zu erstellen.
Das sei Netzzensur, erregten sich zehntausende deutsche Netzaktivisten.
Unterzeichneten Petitionen. Demonstrierten. Tauften die Ministerin
Zensursula. Nach Brüssel schaute damals kaum jemand. Dabei liefen in der EU
schon längst die Vorbereitungen, Netzsperren für ganz Europa
vorzuschreiben. In Norwegen, Schweden, Finnland, Italien gab es sie schon.
"Deutschland war nur der letzte Baustein", sagt Bahls.
Kein Einzelfall. Ob Netzneutralität, Bekämpfung von Internetpiraterie oder
Vorratsdatenspeicherung: in Brüssel und Straßburg werden häufig die Weichen
für Netzpolitik gestellt, Richtlinien erlassen, die in allen Ländern
umgesetzt werden müssen. Weit weg von den Usern, die die Freiheit des
Internets verteidigen wollen. Oft untergewühlt in dicken Maßnahmenpaketen.
Ohne dass es einen Aufschrei in den Medien oder im Netz nach sich zieht. Zu
kompliziert, zu weit weg scheint das, was in Brüssel verhandelt wird.
Öffentliche Debatten darüber gibt es kaum. Bis das, was in Brüssel
beschlossen wurde, in Deutschland oder anderen Ländern umgesetzt werden
muss. Und sich plötzlich Widerstand formiert.
## Warum tut man sich das an?
Es gibt wenige, die sich, wie Christian Bahls, in Brüssel für digitale
Bürgerrechte engagieren. Europaweit vielleicht ein paar Handvoll. Die sich
durch Aktenberge wühlen, mit den Entscheidern in Brüssel und Straßburg
reden. Die den professionellen Lobbyisten der Gegenseite, finanziert von
Internet Service Providern, Unterhaltungsindustriellen und anderen
Mächtigen, etwas entgegensetzen. David gegen Goliath. Warum man sich das
antut? "Wenn man's selbst nicht macht, macht es in der Regel kein anderer",
sagt Christian Bahls.
Wenn sich Bahls, ein blasser, hochgewachsener Mann Anfang 30, über
Netzsperren erregt, dann geht es ihm nicht nur um ein unzensiertes
Internet. Sondern auch um den Schutz von Leuten wie ihm. Opfern. Bahls
wurde als Kind selbst missbraucht. Im April 2009 gründete er darum den
Verein "Mogis", kurz für "Missbrauchsopfer gegen Internetsperren", um in
Deutschland öffentlich gegen Missbrauch anzukämpfen. Als ein Jahr später
der erste Entwurf für die EU-Netzsperren-Direktive auf dem Tisch lag, fuhr
er erstmals nach Brüssel.
Klar sei EU-Politik anfangs schwer zu verstehen, meint Bahls. "Aber das
Europäische Parlament ist offener als der Bundestag. Und die Kommission
offener als deutsche Ministerien." Er sagt, die Abgeordneten hörten ihm zu:
"Die haben auf diese Weise das erste Mal mit Betroffenen zu tun." Davon,
dass Presse und Öffentlichkeit von der europäischen Diskussion kaum Notiz
nahmen, habe er profitiert. So sei weniger emotional, vernünftiger
diskutiert worden. "Bei dieser Debatte dürfen Sie eigentlich nicht
polarisieren", sagt er. "Weil die Leute dann eine Wagenburgmentalität
entwickeln." Stolz ist er auf den Etappensieg, den er mit all seinem Reden
im Februar erzielte: Netzsperren sollen nicht EU-weit Pflicht werden, hat
ein wichtiger Ausschuss des Europäischen Parlaments beschlossen.
Aber der Weg der Netzaktivisten ist nicht mit Erfolgen gepflastert. Das
Verhandlungspingpong zwischen Rat, Kommission und Parlament ist langwierig,
bürokratisch, kompliziert. Das musste auch Kasia Katarzyna Szymielewicz
erfahren, als sie im Sommer 2010 nach Brüssel fuhr, um mit den Abgeordneten
über Vorratsdatenspeicherung zu diskutieren. "Anfangs war das
überwältigend", sagt die junge Juristin von der polnischen
Bürgerrechtsorganisation Panoptykon. "Es war einfach zu groß, ich wusste
nicht, wie die Abläufe funktionieren. Wer wer ist. Die Mentalität war eine
ganz andere." Ohne Hilfe, sagt Szymielewicz, hätte sie es nicht geschafft.
Hilfe, damit meint sie Joe McNamee. McNamee arbeitet für den Europäischen
Dachverband für digitale Bürgerrechte, kurz Edri. Oder besser: Er ist mehr
oder weniger dieser Einpersondachverband. McNamee sichtet relevante
Direktiven und Dossiers der EU. Hält die Organisationen in den
Mitgliedsländern auf dem Laufenden. Streckt seine Fühler in die
EU-Institutionen aus, um herauszufinden, was dort passiert. Und greift
Brüssel-Neulingen wie Szymielewicz unter die Arme.
## Beruflicher Marathon
Privat läuft McNamee Marathon. Beruflich irgendwie auch. "Man muss seine
Ressourcen für lange Strecken einteilen", sagt er. Aber wie viele
Idealisten, die sich für Netzpolitik auf europäischer Ebene ein Bein
ausreißen, gibt er sich tapfer. "Ich ziehe es vor, eine Person mit guten,
starken Argumenten zu sein, statt zehn Leute zu haben, die für etwas
arbeiten, was keinen Sinn ergibt", sagt er. Auch wenn er, klar, eigentlich
natürlich noch mehr Mitarbeiter brauchte.
Früher hat McNamee einmal als EU-Lobbyist für den Verband für Internet
Service Provider gearbeitet. 2009 hat er die Seite gewechselt. Erklärt, wie
schwer es ist, gutes Lobbying in Brüssel zum richtigen Zeitpunkt zu machen.
Wie verärgert manche Parlamentarier in Brüssel sind, wenn sich wütende
Bürger zu spät bei ihnen melden, um sich über ein politisches Vorhaben zu
beschweren - zu einem Zeitpunkt, zu dem der Abgeordnete keine Möglichkeit
mehr hat, etwas daran zu ändern. Sagt, dass er eigentlich dazu da ist, so
etwas zu verhindern.
"Das Schlimmste wäre, wenn Joe einen Herzinfarkt bekommen würde", sagt
Bahls. McNamee hat auch ihn rege unterstützt - anders als die deutsche
Netzszene. Über die, sagt Bahls, sei er ziemlich verbittert: "Die Leute
sagen gern: ,Das wollen wir nicht, das ist scheiße.' Aber sich konstruktiv
einbringen, das ist irgendwie nicht möglich." Im Juli läuft sein
Forschungsprojekt an der Uni aus, dann ist Bahls arbeitslos. Politik
machen, das könne er sich dann nicht mehr leisten. Wenn die Brüsseler
Direktive durch sei, wolle er aufhören. "Dann kann mich die Netzpolitik
mal."
## Dauergast in Brüssel und Straßburg
Jérémie Zimmermann macht so ungefähr das Gegenteil eines frustrierten
Eindrucks. Der zappelige Franzose mit dem dunklen Lockenkopf versucht
derzeit, kreativen Netzwiderstand gegen das von Präsident Sarkozy
organisierte [1][Internet-G-8-Treffen] zu organisieren, das am Dienstag in
Brüssel beginnt. Er ist aber auch Dauergast auf den Fluren von Brüssel und
Straßburg, kämpft gegen strenge Maßnahmen zur Bekämpfung von dem, was die
Unterhaltungslobby gern "Internetpiraterie" nennt. Erreichte, dass das
Telekom-Paket entschärft wurde, dass das Antipiraterieabkommen Acta infrage
gestellt wurde.
Überhaupt sei netzpolitischer Aktivismus auf EU-Ebene nicht schwerer als in
Frankreich. Weil es in vielen Ländern netzpolitische Organisationen gebe,
mit denen er sich die Arbeit teilt, vielfältige Kampagnen entwickelt.
Einmal flog Zimmermanns Organisation "La Quadrature du Net" 25 Aktivisten
aus acht EU-Staaten ein, um Unterschriften gegen eine Passage im
Acta-Abkommen zu sammeln. Zimmermann zeigte ihnen, wo sie die Abgeordneten
abfangen können. Wie man sie anspricht. Zahlte ihre Anreise, ihr Essen,
ihre Zimmer. 10.000 Euro kostete das - Geld, das sein Verein von der Open
Society Foundation von George Soros bekommen hat. Dieselbe Stiftung
finanziert auch die Arbeit von Szymielewicz.
Sie können etwas verändern in Brüssel, meint Zimmermann. Wenn ein
überzeuger Bürger bei Abgeordneten anrufe, habe er viel größeren Einfluss
als ein professioneller, hoch bezahlter Lobbyist. Weil die Parlamentarier
daran nicht gewöhnt sind. Einmal habe sich ein arroganter Abgeordneter nach
einer Abstimmung an der Bar bei ihm beschwert. Ihm vorgeworfen, an all
diesen aggressiven Bürgeranrufen schuld gewesen zu sein. Da habe er
geantwortet: "Was finden Sie besser? Wenn sich niemand dafür interessiert,
was Sie hier tun?"
23 May 2011
## LINKS
[1] http://www.eg8forum.com/index.html
## AUTOREN
Meike Laaff
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