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# taz.de -- Montagsinterview mit Klaus Eschen: "Von meinem Vater habe ich sehen…
> Klaus Eschen ist eigentlich eher ein nüchterner Jurist. Nur bei einem
> Thema übermannt ihn die Rührung: Wenn er vom Schicksal seines Vaters
> Fritz Eschen erzählt.
Bild: Warum er kein Promi-Anwalt geworden ist: "Mir fehlte der Narzissmus. Es w…
taz: Herr Eschen, Sie haben vor zwei Jahren Ihre Anwalts-und Notartätigkeit
an den Nagel gehängt. Womit verbringen Sie jetzt Ihre Zeit?
Klaus Eschen: Ich bewege mich wie ein Flaneur mit meiner Kamera durch die
Stadt und halte Veränderungen fest. Momentan faszinieren mich die Bahnhöfe
der Ringbahn, die einmal quer durch alle sozialen Sektoren der Stadt fährt
- was man schon an der Bahnhofsarchitektur ablesen kann. Aber ich bin
selten mit meinen Bildern zufrieden.
Ihr Vater Fritz Eschen war einer der bekanntesten deutschen
Reportagefotografen. Verspüren Sie den Ehrgeiz, in seine Fußstapfen zu
treten?
Durch meinen Vater habe ich das Fotografieren quasi osmotisch durch die
Haut aufgenommen. Als ich zehn war, schenkte er mir meine erste Kamera. Er
nahm mich auch oft mit, wenn er fotografierte. Von ihm habe ich sehen
gelernt.
Wie ging das?
Er hat mich gelehrt, nicht nur auf die äußere Gestalt eines Hauses oder
eines Menschen zu achten, sondern darauf, was das Charakteristische an ihm
ist. Seine Arbeiten hatten nichts Statisches, er hat Fotos nie gestellt und
nur Leute fotografiert, die ihn interessierten. Vielleicht fotografiere ich
darum auch nicht systematisch, sondern nur, wenn ich Lust dazu verspüre.
Als Rentner leben Sie jetzt nach Lust und Laune?
Durchaus. Ich lebe nicht üppig, aber ich kann leben. Ums Geld ging es mir
ohnehin nie. Anwalt war ich ja nur bis 1993. Dann bin ich Notar im
brandenburgischen Teltow geworden - nicht um reich zu werden, sondern weil
mich die Probleme der linken Mittelschicht in Berlin gelangweilt haben. In
diesen Lehrerkonflikten und Ehestreitigkeiten, die aus bürgerlicher
Rechthaberei entspringen, wollte ich keine Rolle spielen.
Notare verdienen gut.
Ich habe mich in Teltow als Verbraucherschützer gefühlt. Ich bin bewusst in
den Osten, um deutlich zu machen, dass der Rechtsstaat Schutz bietet. Und
nicht nur eine Bedrohung ist, als die ihn viele DDR-Bürger zunächst
empfanden. Ich erklärte den Leuten, dass sie weder dem Verkäufer noch dem
Makler glauben dürfen, sondern nur ihren Augen. Bei Maklern war ich deshalb
unbeliebt. Aber das ist ja auch meine Aufgabe, die Schwachen vor Schaden zu
schützen.
Sind Sie ein politischer Mensch?
Ja, aber kein partei-, sondern ein berufspolitischer: So begann unser
Engagement im Sozialistischen Anwaltskollektiv …
… das Sie 1969 mit Christian Ströbele und Horst Mahler gegründet haben.
Uns ging es darum, die Grundsätze des Rechtsstaats in den juristischen
Alltag zu holen. Im Berlin der 1960er Jahre galt ein Anwalt, der die
Strafprozessordnung für seine Mandanten in Anspruch nahm, als Querulant.
Mahler war der Erste, der bestimmte Dinge in den Strafprozess einführte.
Das Recht, selbstbestimmt Beweisanträge zu stellen, bestimmte Zeugen in
bestimmter Reihenfolge aufzurufen. Unser Anwaltskollektiv eroberte sich die
Gestaltungshoheit im Prozess. Und Mahler lieferte uns die Rezepte dafür.
Wie auch immer er sich später entwickelt hat - dafür sind wir ihm bis heute
dankbar.
Ströbele und Mahler sind heute sehr bekannt. Auch Otto Schily spielt in dem
2009 ins Kino gekommenen Dokumentarfilm "Die Anwälte" eine wichtige Rolle.
Warum sind Sie immer so Hintergrund geblieben?
Mir fehlte der nötige Narzissmus. Es war mir wichtiger, die Basis zu
bedienen. Spektakuläre Prozesse führen kann jeder. Ich kümmerte mich um
Drogenabhängige, um Lehrlinge, denen gekündigt wurde. Um die, von denen
heute keiner mehr als "68er" redet.
Sie sagten mal, nicht die prominenten Protagonisten hätten damals die
Gesellschaft verändert, sondern Krankenschwestern und junge Anwälte. Damit
meinten Sie sich selbst?
Auch. Rudi Dutschke und all diese Autoritäten wären nichts gewesen, wenn
nicht zum Beispiel viele Krankenschwestern ein Bewusstsein von ihrer Stärke
entwickelt hätten. Wenn nicht die Hausfrauen aufgestanden wären und gesagt
hätten: Wir bestimmen jetzt mit, wie in der Familie gelebt wird. Eigene
Wege zu ebnen, war wichtig. Wir haben die Schülerinnen vertreten und die
Studenten, denen die Eltern den Unterhalt gestrichen haben, weil sie
demonstrierten. Wir leisteten also unseren Beitrag mithilfe der Justiz.
Nun haben Sie die Rolle getauscht. Sie treten nicht mehr als Anwalt auf,
sondern als Zeitzeuge: In der Ausstellung "Berlin unterm Notdach" mit
Bildern Ihres Vaters erzählen Sie Besuchern von der Nachkriegszeit. Fühlt
man sich da nicht furchtbar alt - so wie die letzten
Holocaust-Überlebenden?
Wenn Sie so wollen, bin ich ein Holocaust-Überlebender mit
Migrationshintergrund. Meine Mutter ist in Philadelphia geboren und zu
Beginn der 20er Jahre mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen. Sie als
Amerikanerin galt bei den Nazis als arisch. Mein Vater aber, dessen Familie
seit Generationen in und um Berlin ansässig gewesen war, galt als Jude.
Wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten, wären Mischkinder wie ich die
Nächsten gewesen, die sie drangenommen hätten.
Ihr Bruder hat die Nazizeit auch so nicht überlebt.
1943 wurden mein neunjähriger Bruder Thomas, meine Mutter und ich
evakuiert, erst nach Ostpreußen, dann ins Sudetenland. Dort bekam er eine
Blinddarmentzündung. Mit dem Auto eines Fuhrwerksbesitzers wurde Thomas ins
nächste Krankenhaus geschafft, meine Mutter durfte nicht mitfahren. Als sie
von einem Krämerladen aus anrief, wurde ihr gesagt, dass er gestorben war.
Der Arzt hatte sich geweigert, ihn zu operieren, weil er nicht rein arisch
war. Ich war vier und stand neben meiner Mutter, als sie die Nachricht
bekam.
Wo war Ihr Vater?
Er musste in Berlin Zwangsarbeit leisten. Wir konnten uns nur Briefe
schreiben. Im Juli 1945 kehrten meine Mutter und ich nach Berlin zurück.
Das geschah größtenteils zu Fuß.
Wie hat Ihr Vater das Kriegsende erlebt?
Er war in unserem Haus am Bundesplatz, damals Kaiserplatz, das im Krieg
stehen geblieben war. Die Rote Armee beschoss vom Kaiserplatz aus den
Zoobunker. Als die Wehrmacht zurückwich, kümmerte er sich sich nicht um die
Geschosse, sondern lief auf die Straße. Und genoss die Luft. Er war
plötzlich wieder ein Mensch und ein vollwertiger Staatsbürger! Jemand, der
wieder überall hin durfte, wieder einen Fotoapparat haben durfte. Und
plötzlich kam eine Menge Leute an, die von ihm die Versicherung haben
wollten, dass sie immer anständig zu ihm gewesen waren.
Fritz Eschens Bilder sind ausgesprochen distanziert, wenn er Erwachsene
fotografiert hat. Kindern hingegen ist er ganz nah. Wie erklären Sie sich
das?
Das ist Ausdruck seiner Ambivalenz. Dass er gleichzeitig Sieger und
Besiegter war. Er war befreit und auf Seite der Sieger. Aber diese Stadt,
die zerstört war, war auch seine Heimat. Sein Berlin, das ihm vorher
streitig gemacht wurde. Das war wie eine zerstörte, einseitige Liebe. Er
ging nach der Befreiung mit einer einfachen Kamera durch die Stadt und
fotografierte die Amerikaner. An den Schaukasten einer ehemaligen Drogerie
hängte er ein Schild: "I take your picture". Die amerikanischen Soldaten
kamen und ließen sich Erinnerungsfotos machen. Filme und ein Labor hatte er
noch. Wir haben ihm aus der Evakuierung seine alte Rolleiflex mitgebracht,
die er als Jude zuvor nicht besitzen durfte.
Haben Sie mit Ihrem Vater viel über die Kriegszeit gesprochen?
Sehr viel. Mein Vater war ein sehr politischer Mensch. Ein antiautoritärer,
konservativer Preuße. Pünktlich und sorgfältig, aber unkonventionell. Seine
Widerständigkeit äußerte sich zum Beispiel so: Als Jude durfte er in
Wilmersdorf nicht auf der Parkbank sitzen. Wenn wir auf den Spielplatz
gingen, nahm er sich einen Klappstuhl mit und setzte sich neben die Bank.
Das Signal war: Ich lasse mich hier nicht von der Platte fegen. Es gab eine
Reihe Mütter, die sich demonstrativ zu uns setzten. Andere zogen ihre
Kinder weg. Der Spielplatz war ein politischer Ort.
Ihre Mutter Lipsy Thumm gehörte zu den Frauen, die 1943 in der Rosenstraße
für die Freilassung ihrer inhaftierten jüdischen Männer demonstrierten.
Wäre Ihr Vater sonst deportiert worden?
Natürlich! Während der "Fabrikaktion" im Februar 1943 wurden die in
Mischehe lebenden Juden an ihren Arbeitsstellen eingesammelt und in der
Rosenstraße inhaftiert. Die nicht in "privilegierter" Mischehe lebenden
Juden kamen gleich in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße. Meine
Mutter gehörte zu den Frauen, die sich wehrten. Ich weiß das noch gut, weil
sie uns Kinder zu Hause allein ließ, was ungewöhnlich war.
Wie war Ihre Mutter?
Sie war eine unabhängige Frau, künstlerisch begabt, gelernte
Krankenschwester. Vielleicht wird sie dadurch am besten charakterisiert,
dass sie meinen Vater am 6. Dezember 1933 geheiratet hat. Als man als
deutsches, arisches Mädchen keinen Juden mehr heiratete - was sie vor ihrer
Familie rechtfertigen musste.
Sie hatten keinen Grund, gegen Ihre Eltern zu rebellieren, oder?
Nein, ich habe es immer als enormes Privileg empfunden, solche Eltern zu
haben. Wenn ich in der Schule Konflikte hatte oder ungerecht behandelt
wurde, waren meine Eltern immer gleich da. Dieses Erleben von Solidarität
hat mich sehr geprägt.
Ist Ihr Vater für Sie ein Vorbild?
Er war für mich der beste Fotograf der Welt und eine ausgesprochene
Autorität, eine unheimlich zuverlässige Instanz. Er hat, wie ich, immer nur
gemacht, was ihn interessierte. Weil er sich sagte: Das Leben ist zu kurz,
um sich zu verbiegen. Deshalb ging es uns im Grunde häufig finanziell
schlecht. Es gab Zeiten, wo er sich von meinem Postsparbuch 5 Mark borgte,
damit er sich auf einer Versammlung seines Presseverbands Kaffee und Kuchen
leisten konnte. Ich bekam das Geld immer mit Zinsen zurück.
Ihr Vater hat zwei Söhne verloren - Ihr Halbbruder aus erster Ehe wurde mit
seiner Mutter im KZ ermordet. Sie wuchsen nach dem Krieg als Einzelkind
auf. Was bedeutete das?
Zu seinen Lebzeiten durfte ich nie länger als drei, vier Wochen weg sein,
ich durfte auch nicht Rad fahren. Er hat das sonst nicht ausgehalten. Das
war seine Traumatisierung, die sich auf mein Leben ausgewirkt hat. Ich wäre
gern mit einem Stipendium ins Ausland gegangen. Aber das ging nicht. In den
letzten Lebensjahren meines Vaters, als meine Mutter schon tot war, habe
ich mich unheimlich eingeengt gefühlte durch diese klammernde Liebe. Als er
dann gestorben war, fühlte ich mich ihm wieder enorm verbunden.
Starb Ihr Vater versöhnt mit Deutschland?
Das ist eine schwierige Frage. Er hatte ja nicht nur negative Erlebnisse.
Zum Beispiel hatte er einen Freund, mit dem er Briefmarken tauschte. Das
war ein SS-Offizier, der ihn immer in Uniform besuchte, weil er sagte: "Zu
meinen Freunden schleiche ich mich nicht in Zivil." Auch im
Luftschutzkeller gab es einen SS-Mann, der sagte: "Der Eschen kommt mit zu
uns, der kann doch nicht von seiner Familie getrennt sitzen." Obwohl das
gegen die Vorschrift war. Es gab immer wieder Formen von solidarischem
Verhalten, die es ihm unmöglich machten, die Leute pauschal abzulehnen.
Ihr Vater hat mehr als 90.000 Fotos gemacht. Der Nachlass ist im Besitz der
Deutschen Fotothek in Dresden. War in Westberlin niemand interessiert?
In Deutschland gab es damals kein Interesse an Fotografien, jedenfalls
nicht an journalistischen. Einer kommerziellen Agentur wollte ich den
Nachlass nicht geben, die hätten sich nur die Rosinen rausgepickt und den
Rest weggeworfen. 1967 lernte ich einen Lektor aus Dresden kennen, vom
Verlag der Kunst. Er stellte den Kontakt zur Fotothek her - damals eine
Sektion der Staatsbibliothek der DDR. Denen verkaufte ich es für einen
symbolischen Preis von 15.000 Ostmark. Unter zwei Bedingungen: dass der
Bestand zusammenbleibt. Und dass jeder, der von wo aus der Welt auch immer,
Fotos haben will, sie bekommt. Das haben sie eingehalten.
Meinen Sie, Ihre Eltern wären stolz auf Sie gewesen?
Das frage ich mich tatsächlich oft. Für den Teil meiner Familie, der die
Nazizeit in der Emigration überlebte, war ich ein schwarzes Schaf. Die
haben das mit dem Sozialistischen Anwaltskollektiv überhaupt nicht
begriffen. Als mein Onkel Hans gesteckt bekam, dass ich in dem Frankfurter
Kaufhausbrandprozess 1968 ohne Robe auftrat und deshalb ein Verfahren
kriegen sollte, schrieb er mir empört, ich solle das sofort in Ordnung
bringen, das sei eine Schande! Aber ich glaube, mein Vater hätte begriffen,
was ich gemacht habe. Weil er im Grunde auch ein Widerständiger, ein
Außenseiter war.
29 May 2011
## AUTOREN
Nina Apin
Plutonia Plarre
## TAGS
Studentenbewegung
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